Skip to content

Kleine Weltreise – Tagebuch #27

Noch Gedanken zu weiteren Kritiken am Neuen Konzeptualismus (siehe vorher auf Kulturtechno).

Das sei doch Eigen-PR: Die kleingeistigste von allen Kritiken. Vulgär. Wir leben im Kapitalismus, auch die Neue Musik ist ein Markt, also kann schlechterdings jede Handlung als PR-Handlung geschmäht werden. Deine Frisur, die ist doch PR!
Dass es auch ein Interesse an der Sache gibt, scheint bei diesen Kritikern jenseits der FDP-Vorstellungskraft zu liegen. Das PR-Genöle ist eigentlich unterhalb jedes Diskursniveaus.
Wäre an der Sache nichts dran, würde ihr keine PR dieser Welt helfen. Ich kann auch keine Argumentationsführung sehen, die erkennen ließe, dass der NK „PR“ nötig hätte. Vielleicht kommen die, die so reden, deshalb drauf, weil sie insgeheim für sich selber PR nötig sehen. Ich weiß es nicht, will es auch nicht wissen.

Dass der Neue Konzeptualismus nicht neu sei? Jaja, man kann alles relativieren. Siehe dazu meine Texte Neu und Alt sowie Neuer Konzeptualismus oder Neo-Konzeptualismus?.
Wer keine Neuigkeit als solche anerkennen will, kann das immer herleiten, kann immer abstrahieren. Ein Klavierstück? Aber du weißt schon, es gibt bereits andere Klavierstücke..?! Ein Musikstück? Ist nichts neues, Musik gibt es doch bereits seit 30.000 Jahren. Ein Mensch auf der Bühne? Menschen hatten wir schon. Ein Minimum an Begeisterungsfähigkeit ist der Kunstrezeption halt doch zu eigen, vielleicht ist es auch politisch-genereller eine Frage von Optimismus und Glaube an / Hoffnung auf Fortschritt. Dann hat man vielleicht einen Sinn für die Beispiele und Argumente, die ich im Text Das Neue an der Konzeptmusik vorbringe.

„Warum der ‚Ismus‘?“ „Was soll die ‚Begriffsschublade‘?“
Ich habe die Bezeichnung „Neuer Konzeptualismus“ in Darmstadt – dem Ort für Diskurs – 2012 mit meinem Vortrag vorgeschlagen. Eine Diskussion entstand, der Begriff wurde nicht schlagartig, aber im Lauf der folgenden Zeit aufgegriffen. Nach dem Vortrag habe ich den Begriff erst wieder verwendet, nachdem ich gesehen habe, dass er auch von anderen gebraucht wird.
Ich mag Sprache. Um über Musik zu sprechen, brauchen wir Namen, Begriffe. Wem die Musik damit beschnitten wird, der hat keine musikalische Begabung. Nur weil wir den Ausdruck „verminderter Septakkord“ haben, schmälert das doch nicht die Wirkung des besagten Akkords. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, mich verpflichtet der NK zu gar nichts, aber er gibt eine Orientierung auf dem weiten Feld, im dichten Wald (Gestrüpp) der Neuen Musik.
Es wird wohl auf ewig einen Widerstreit geben zwischen denen, die Sprache für etwas Produktives (Hegel) halten und denen, die darin etwas Wirklichkeitsschmälerndes (Adorno) sehen. Letzteren möchte ich allerdings raten, sich aus dem Diskurs auszuklinken und ‚einfach‘ Musik zu hören, statt Theorie-/Intellektuellenfeindlichkeit zu verbreiten – was paradoxerweise dann dennoch im Textmedium geschieht…

Leider geht es in den meisten Fällen, in denen diese Kritiken auftreten, gar nicht ernsthaft um diese Fragen wie der, welchen Stellenwert Sprache für die Musik hat, nicht um den Austausch von Argumenten, sondern um Abwehrreflexe, Rhetorik, Grabenkampf, Verteilungsneid. Wenn wenigstens das reflexiv wieder integriert würde, wären wir auch weiter.

[In meinem demnächst erscheinenden Text „Der erweiterte Musikbegriff“ werden diese Punkte ausführlich und konkret auf die Kritiken/Kritiker bezogen ausgeführt.]

Kleine Weltreise – Tagebuch #26

Hier wird desinfiziert, wie ich es noch nicht erlebt habe. Beim Anflug auf Argentinien gingen die Stewardessen und Stewards vor aller Augen durch das ganze Flugzeug mit Spray; das Auto, in dem ich zum Hotel chauffiert wurde, trug den Duft von Desinfektion in seinen Polstern; auch das Hotelzimmer riecht verdächtig süßlich. Es ist gar nicht ironisch, dass Buenos Aires „Gute Luft“ heißt.

 

Short Cuts

Jetzt hab ich den richtigen Vergleich: Das Grün von Tattoos sieht aus wie Grünspan.

Trauerarbeit. Kein gutes Wort. Ist dann nicht mehr weit bis zur Trauerökonomie.

Das Geheimnis als Währung in den omnipräsenten Tauschbeziehungen, Privates/Privatheit als Investitionsmasse. „Erotisches Kapital“. Was wir privat halten, tun wir entweder, weil es uns für andere nicht interessant erscheint, oder aber weil es Verschleuderung von Vermögen wäre, ein schlechter Deal.

Fokus. An etwas denken, ist das so wie man einen Gegenstand anschaut, oder so wie man etwas bestimmtes hört. An etwas denken ist außerhalb von Zeit und Raum, also dieses etwas, nicht der Vorgang, insofern außerhalb der genannten Vergleiche.

„Ein ‚Ich‘ ist niemals in sich selbst“ (Derrida)

Zum Narzissmus gehören immer zwei.

 

Das abschließende Künstlergespräch in Melbourne, geleitet von einer Radiojournalistin: Statt irgendwelcher Fragen zum Werk gab es Aufgaben der Art „Nennen Sie ihr Lieblingswort und wiederholen Sie es 10 mal.“ „Machen Sie einen Klang, der etwas ausdrückt.“ Sollte wohl au style conceptuel sein. Das hatte dann zur Folge, dass Sachen rumgeworfen und umgeschmissen wurden, ich hab mir bei einer Aktion derart die Hand selbst versohlt, dass sie jetzt noch weh tut. Die meisten Beteiligten fanden es eher blöd, niemand hat damit gerechnet, man wäre gerne vorbereiteter gewesen; Journalisten werten Spontaneität in der Tat viel zu hoch. Im Vergleich zu vielen anderen Gesprächen finde ich aber doch immerhin gut, dass sie so gut vorbereitet war inkl. Powerpoint. Wie viele schlechte Panels hab ich schon erlebt, und fast immer, weil die Moderation schlecht war.

 
+++

Klänge, die man besonders morgens gerne hört. Hörpsychologie der Tageszeiten und Körpersituationen. So, wie der Blick „auf etwas ruht“, das Ohr in einen Klang reinkuscheln. Wie bei einer Tinnitusmaske.

 

Kleine Weltreise – Tagebuch #25

Die Argentinier
lachen über den
erneuten Staatsbankrott nur noch

Weltreise. Welten. Es ist ja Unsinn, von „Welten“ zu sprechen, das ist Rhetorik. Entweder man hat einen Ausdruck für „alles“ und das umfasst dann auch alles, oder der Ausdruck hat keinen Wert. Welt ist alles, davon gibt es dann nicht mehrere. „Welten“ ist so ähnlich wie der/die/das „Einzigste“. Man macht es nur, weil es sprachlich eben geht, von „Welt“ kann man einen Plural bilden, „Welten“. Von „Alles“ gibt es keinen Plural, würde sich einfach nicht nach einem deutschen Wort anhören, diese zwei „Allesse“ hier. (Auch „Musiken“ ist grenzwertig.)
Die Leibnizsche Provokation, wir lebten „in der besten aller möglichen Welten“, ein Quatschsatz, aber eine geniale Provokation. Voltaire, reagierend auf das Erdbeben von Lissabon, kommentierte: Wenn DAS die BESTE ALLER MÖGLICHEN WELTEN sein soll, DANN will ich erst mal DIE ANDEREN sehen..!
Derrida sagt, wir seien „weltlos“; das kann man originell finden. Bei ihm gibt es auch das Oxymoron „vorursprünglich“.

 
26 Miniaturen

1. Ein 30stimmiger Sinustonakkord, in den 2 Sekunden lang weißes Rauschen eingefügt ist

2. Feldaufnahme eines Schuhgeschäfts, zusammen mit der Feldaufnahme eines deutschen Waldes

3. 5 akzentuierte Tamtamschläge, im selben Rhythmus danach 5 Vokalaktionen

4. 2 eng aneinander liegende (beinahe-)Sinustöne, denen eine längere Pause folgt, in der man noch meint, elektronische Artefakte zu hören

5. Der erste Takt einer frühen Beethoven-Klaviersonate, danach Tonrepetitionen

6. Hohes Rauschen, unterbrochen von einem Symphonieorchester

7. Schmirgelpapierklänge, zusammen mit einer rudimentären Geigenmelodie

8. Alle Konzepte des Fluxus-Workshop-Buches, gleichzeitig vorgelesen

9. C-Dur, danach c-moll, schließlich a-moll

10. Das Zerbrechen einer Triangel. Das Verbrennen eines Woodblocks. Mit einem harten Gummischlägel auf dem verbrennenden Woodbock spielen

11. Verschieden gefilterte Rauschen, stets mit Decrescendo

12. Ein Feld von Akkordpaaren, stets glissandiert ein Akkord zum zweiten

13. 50stimmige Klavierakkorde mit extrem schnellem Arpeggio

14. Die 6 Gitarrensaiten kauen, mikrofoniert

15. Schallplatten als hängende Becken im Drumset

16. Ein kurzer Vortrag über die Herstellung von Darmsaiten

17. In 5 verschiedenen Geschwindigkeiten einen Schlüssel ins Schloss schieben

18. Bruderkuss zweier Dirigenten

19. 50 Triller auf einer großen Kirchenorgel

20. Vergleichende Audioaufnahmen von Reinigungsverhalten

21. 5 Rotationen mit dafür geeigneten Objekten

22. Der Kauf eines Hammers, mikrofoniert

23. Klänge, die 2 Köpfe miteinander produzieren können

24. Diatonische Akkorde, zu denen atonal, später mikrotonal gesungen wird

25. Lautheit, die immer unmöglicher wird

26. Der Unterschied zwischen reiben und streicheln (Klaviertasten)

Kleine Weltreise – Tagebuch #24

Methode an die Freude
Buenos Aires

Flughafenkontrollen. Nacktscanner können sie bauen, aber keine Scanner, für die man den Laptop in der Handgepäcktasche lassen kann. Schikanieren ist ein tiefliegender menschlicher Zug. Schikane ist eine Währung. Das alberne Gespräch beim Betreten Australiens, was machen Sie hier usw. Ein Terrorist würde sich spätestens hier natürlich verraten, klaro. Was sich allein verrät: der Schikanenterror.

Das Allerschlimmste ist das Gürtel ausziehen vor dem Scanner. Hose festhalten. Ich muss da an den Widerstandskämpfer Erwin von Witzleben denken, dem die Braunen Schergen vor der Volksgerichtssitzung den Gürtel wegnahmen, und der Abgemagerte zum Gespött des ganzen Saals während seiner Verteidigung seine Hose festhalten musste. (Todesurteil)

Gürtel ausziehenmüssen ist erniedrigend. Vielleicht ist das Gürtelausziehenmüssen ja von der Zuckerlobby durchgesetzt, damit die Leute sich fetter essen. Verschwerungstheorie.
Jetzt aber Schluss mit Weinerlichkeit. Sicherheitsvorschriften waren noch nie demokratisch. Selbst in der Schweiz hat das Volk doch bestimmt noch nie über Flughafenprozederes abgestimmt.

 

Am letzten Tag in Melbourne hab ich in einer Ausstellung eine Arbeit gesehen, die mir noch nachgeht. Der Künstler Khaled Sabsabi hat den offiziellen Anfeuerungsverein der hiesigen Footballmannschaft in einem neutral-grauen Studioraum seine Anfeuerungschöre schreien lassen. Mit einer geschickten Kameraeinstellung war die Energie der (ausschließlich) Männer stark spürbar und gleichzeitig das absurde Ambiente des leeren Studios. Die Anfeuerung ins Nichts, bzw. war es auf zwei Monitoren, die sich nah gegenüber standen, also gegenseitig anfeuernd, und wenn man dazwischen stand wurde man selbst angefeuert, das war sehr irritierend.
Entkontextualisieren kann ein wirksames Konzept wirksamer Kunstgriff sein. Man könnte in das neutrale Studio auch eine Kassiererin setzen, die Waren über den Scanner schiebt, etc. Spahlinger hat für eine Radiosendung mal einen Posaunisten die dritte Posaunenstimme einer Brucknersymphonie allein spielen lassen. Ich mach mal ein Video mit einer Gürtelausziehperformance.

Kleine Weltreise – Tagebuch #23

Engaged Minimalism

Das Liquid Architecture Festival ist ein Festival für experimentelle Musik, das in Australien und Singapur (es wandert innerhalb von 5 Wochen von Melbourne über Brisbane nach Sydney und Singapur) jährlich stattfindet – dieses Jahr in Melbourne ein Publikumszuwachs von 200 auf 1500 Gäste; das neue Kuratorenteam hat ganze Arbeit geleistet. Heuer hat es sich zum Thema das gemacht, was ich den „erweiterten Musikbegriff“ oder Seth Kim-Cohen „an expanded sonic practice“ nennt. Aus dem Festivalmanifest:

All Sounds Are Implicated

DANNI ZUVELA, JOEL STERN

There’s a position between ‘sound in itself’ and ‘non-cochlear’ approaches that is not uninterested in what it sounds like, just more interested in what its effects are, what the forces are that produce it. This position hears, but also reads sound. Sound, as a text to be read:

• results from unexpectedly intersecting forces;
• is the site of multiple disciplinary crossings;
• is the sound itself, its social character and its effects;

“An expanded sonic practice would include the spectator, who always carries, as constituent parts of his or her subjectivity, a perspective shaped by social, political, gender, class and racial experience. It would necessarily include consideration of the relationships to and between process and product, the space of production versus the space of reception, the time of making relative to the time of beholding. Then there are history and tradition, the conventions of the site of encounter, the context of performance and audition, the mode of presentation, amplification, recording, reproduction. Nothing is out of bounds. To paraphrase Derrida, there is no extra-music.” (Seth Kim-Cohen)

• dealing not just with what is but may be;

“No music has the slightest esthetic worth if it is not socially true, if only as a negation of untruth; no social content of music is valid without an esthetic objectification.” (Kim-Cohen)

This is our position.

Die Konzerte in Melbourne, der Station des Festivals, bei der ich beteiligt war, legten den Fokus vor allem auf die Soloperformance des Künstlers selbst, was hier, fern der „klassischen“ Tradition, viel selbstverständlicher ist. Konzerte, bei denen ein Ensemble Musik nach Partitur aufführt, gab es praktisch nicht.
Ein Konzert beispielsweise hatte den Arbeitstitel „Der Vortrag als musikalisches Readymade“.

Die Radikalität, mit der die Kuratoren das Feld von Musik erweitern, wird bei diesem Beispiel deutlich: Die Kuratorin Danni Zuvela will nächstes Jahr im Festival einen Workshop aufs Programm setzen, in dem Sexarbeiterinnen – ein in Australien derzeit ebenso wie in Deutschland diskutiertes Thema – zu Wort kommen sollen. Keine Ästhetisierung, kein Soundwalk über den Straßenstrich und schon gar nicht irgendeine Inszenierung, sondern Sexarbeiterinnen, die ihre Positionen darlegen. Was das mit Musik zu tun hat? Die Tatsache, dass es in einem Festival für experimentelle Musik stattfindet. 21. Jahrhundert.

Was das Festival auf Facebook von der Performance des deutschen Gasts zeigt. 10 Likes.

Kleine Weltreise – Tagebuch #22

Da ist er, der Spießer, der Bauer, der sich nicht auf was Fremdes einlassen will oder kann.

Gestern ging man nach Festivalende zusammen essen, einige Künstler und die Intendanz, auf Wunsch einer beteiligten Chinesin zum Chinesen. Das war so mit einem großen Topf, zweigeteilt (Fleisch/Veggie) in der Mitte des runden Tisches auf einer heißen Platte, in dem man dann alle möglichen Sachen, die man sich bestellte, kochte. Voll schön, oder?

Ich will im Restaurant essen. Nicht kochen. Das war alles so ein mühsames, anstrengendes Prozedere, ich hatte tierisch Hunger und außerdem hatte man gleich nach dem letzten Podiumsgespräch schon mehrere Biere zu sich genommen, ständig musste man am Tisch wieder klären, welche Seite des Topfes ist jetzt die vegetarische, nicht dass man die nächsten Fleischscheiben in den falschen Pott gibt (was irgendwann natürlich doch passierte), ist das schon durch, mal prüfen, nein, doch noch nicht, dieses komische Etwas, was war das noch mal, kocht man das auch oder isst man das roh, kann mir jemand die Sauce reichen, die gerade ganz am anderen Ende des Tisches steht. Oh, jetzt hat es beim Reinschmeißen aber gespritzt. Wieviel Fisch sollen wir noch machen? Die Bedienung muss Kochwasser nachgießen, das dampft hier aber auch..!
Kochen ist die Aufgabe des Kochs. Ich finde auch, die Portionierung und die Würzung ist seine Aufgabe, ja, die Kunst des Kochs. Ich will eine wohldosierte Komposition auf einem Teller serviert bekommen, will mir nicht mein Essen erst zusammenklauben und noch nicht mal nach Öl fragen und nachwürzen müssen. Ich will ein Kunstwerk, ein Meisterwerk, eine verantwortungsvolle Kreation des Küchenchefs bekommen. Wobei ich eine Sache am chinesischen, ich glaube das kann man generell sagen am asiatischen, stäbchenzuessenden Essen schätze, dass es keine Knochen enthält und schon in mundgerechte Stücke geschnitten ist (mit Stäbchen kann man ja auch schlechterdings nichts schneiden..!). DAS wiederum missfällt mir am europäischen Essen: Dass man das erst auf dem Teller zerlegen und womöglich noch von nicht-essbarem (Knochen) trennen muss. Der Teller ist nicht der Schlachthof. Auf den Teller gehört nur Essbares. Ok, einiges sieht ungeschnitten besser aus, Auge isst mit und so. Aber Knochen haben auf dem Teller nichts verloren, man serviert Essen auch nicht mit irgendwelchen Verpackungsresten.

Ich bin der faulste Esser und der größte Genießer: Ich will beim Essen gehen halt essen.

Da isst (höhö) er, der Schöngeist, der Dandy, der sich die Finger nicht schmutzig machen will. Aber eine Sache war wirklich gut in dem Restaurant und gehört sofort weltweit übernommen (ich dachte mir das schon als Kind, dass es sowas doch geben müsse): Am Tisch befand sich ein Knopf, mit dem man die Bedienung herbeirufen konnte. Ich will im Restaurant nämlich auch nicht dieses Rumgucken und Gehample, das bisweilen verzweifelte Winken und Rufen nach einer Bedienung aufführen. Sch‘will essen, genießen und mich dabei gerne gepflegt unterhalten.

Kleine Weltreise – Tagebuch #21

#Volksaufklärung 1

Wenn ich noch einmal dieses Möchtegern-originelle, auf dem Niveau von „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum“-Sprüchlein höre, dass man im Gegensatz zu den Augen die Ohren ja nicht verschließen könne. Manche Menschen haben sich offenbar noch nie in ihrem Leben mit den Händen die Ohren zugehalten.

 

Beim Konzert am Donnerstag hat eine Gruppe von Kunststudenten eine Münzskulptur ausgestellt, deren Wert, 500 Australische $, per Crowdfunding eingeworben wurde, und bei der man sich bedienen konnte. Nachdem sich ein paar Mutige das eine oder andere Münzchen für ein Getränk stibietzten, kam ein Besoffener, pinkelte erst mal an die Museumstür und sackte dann alles ein, wobei ihm andere noch zu Hilfe kamen ob der schweren Münzenlast. Immerhin hielt er es dann für geboten, auch dem Konzert beizuwohnen. Der Verdacht, dass das inszeniert war, lag nicht fern, aber wenn dann muss das ein genialer Schauspieler gewesen sein. Nein, das war nicht inszeniert, vielleicht auch ein bisschen schade, dass gleich alles abgeräumt wurde.

(Fotos von der FB-Seite des Liquid Architecture Festivals)

Geld verschenken ist immer wieder eine gut funktionierende Provokation. Schlingensief wollte mal 100.000 DM vom Reichstag runterschmeißen. Ich hatte mal das Projekt entworfen, bei dem Leute fürs Hören Neuer Musik Geld bekommen. Beides wurde leider von Intendanten abgelehnt.

Nochmal gewitzt ist der Künstler Ceri Hann, der Münzen im realen Wert von -5000$ „verschenkt“: Er hat sie mit einer zusätzlichen Prägung versehen, was illegal ist und worauf 5000$ Strafe steht. Er hat mir gestern eine solche -5000$-Münze in die Hand gedrückt. Ääh, danke..

Im Gespräch kam dann noch die Idee eines binärkritischen Kunstobjekts auf, eine Münze, die in einen Flummi eingelassen ist, womit Kopf/Zahl-Werfen verunmöglicht wird.

 

#Volksaufklärung 2

Gerecht_linkigkeit für alle Hand_arbeiterinnen?
Ich wills ohne Wertung mal feststellen: Die deutsche Sprache (die französische und englische ebenso) diskriminert Linkshänder und alle anderen _Handkonstruktionen:

Recht, gerecht, senkrecht, lotrecht, aufrecht, richtig
vs.
linkisch, gelinkt werden, auf links ziehen
etc.

Der Sprachgebrauch müsste, wie bei der Genderberücksichtigung, geändert werden. Rechts_Linksanwält_Innen müsste es dann heißen. Warum nicht.

Ps. Wie nennt man in der Mongolei eigentlich Mongoloide?

Kleine Weltreise – Tagebuch #20

Dieses notorische „How are you?“ bei jeder Begrüßung im englischsprachigen Raum, an jeder Supermarktkasse, ist KRANK und führt geradewegs zur NSA.

 

Immanuel Kant spricht in der Kritik der Urteilskraft in §33 von der Schönheit und nennt als Beispiel die Tulpe.

In der Tat wird das Geschmacksurteil durchaus immer, als ein einzelnes Urteil vom Objekt, gefällt. Der Verstand kann durch die Vergleichung des Objekts im Punkte des Wohlgefälligen mit dem Urteile anderer ein allgemeines Urteil machen: z. B. alle Tulpen sind schön; aber das ist alsdann kein Geschmacks-, sondern ein logisches Urteil, welches die Beziehung eines Objekts auf den Geschmack zum Prädikate der Dinge von einer gewissen Art überhaupt macht; dasjenige aber, wodurch ich eine einzelne gegebene Tulpe schön, d. i. mein Wohlgefallen an derselben allgemeingültig finde, ist allein das Geschmacksurteil. Dessen Eigentümlichkeit besteht aber darin: daß, ob es gleich bloß subjektive Gültigkeit hat, es dennoch alle Subjekte so in Anspruch nimmt, als es nur immer geschehen könnte, wenn es ein objektives Urteil wäre, das auf Erkenntnisgründen beruht, und durch einen Beweis könnte erzwungen werden.

In „Die Wahrheit in der Malerei“ nimmt Derrida wiederum Bezug darauf und wiederholt auf etlichen Seiten die Betrachtung der Tulpe. An einer Stelle heißt es:

Die Tulpe, wenn sie schön ist, diese unersetzbare Tulpe, von der ich spreche und die ich, indem ich spreche, ersetze, die aber in dem Maße unersetzbar bleibt, wie sie schön ist, diese Tulpe hier ist schön, weil ohne Zweck, ist vollständig, weil von ihrem Zweck/Ende abgeschnitten, durch einen reinen Schnitt.

Daraus habe ich die Formulierung „Diese Tulpe, von der ich spreche, und die ich, indem ich spreche, ersetze.“ Herausgenommen und in der Performance vorgestern viele Male wiederholt, jedesmal anders – quasi – musikalisiert mit Powerpoint-Notationsminiaturen.

Im Vortrag gestern habe ich außerdem „Charts Music“ gezeigt, woraufhin der Künstler Ceri Hann mich auf einen hochinteressante Zusammenhang aufmerksam gemacht hat, die mir auch selber hätte einfallen dürfen, ich hatte mal davon gelesen:

Der erste gut dokumentierte Fall einer Spekulationsblase ereignete sich 1637 in Holland, in dem „Goldenen Zeitalter“, in dem all die berühmten niederländischen Maler tätig waren und der Kolonialhandel mit Indien blühte. 1637 aber gab es diese Spekulationsblase in Holland, und zwar durch den Handel bzw. die Spekulation mit: Tulpen!

http://de.wikipedia.org/wiki/Tulpenmanie

Das lädt zur Reflexion ein. Der erste Fall eines aktienartigen Wirtschaftszusammenbruchs ereignete sich aufgrund der Spekulation auf: Schönheit. Und ausgerechnet mit der Blume, die bei Kant eine so andere Betrachtung hat und die auch bei Derrida derart übernommen wurde. Ohnehin fast etwas befremdlich, dass in der Philosophie nicht die Rose, die Blume par excellence, sondern die Tulpe herangezogen wird. Jedenfalls führte der Tulpencrash zum ersten großen Fall von wirtschaftlichem Vertrauensverlust. Das kann man weiterspinnen zum Tod von Marilyn Monroe, die heiße Luft unter ihrem Rock und dem Fall* in China, wo einer seine Frau verklagt hat, weil sie ihm hässliche Kinder geboren hat – ihr habt richtig gelesen, er hat sie erfolgreich auf Schadensersatz verklagt, denn sie hatte sich vor der Hochzeit etlichen Schönheitsoperationen unterzogen, von denen er nichts wusste. Bei den Kindern dann kam die Wahrheit ans Licht.

Selbst wenn Schönheit keine Angelegenheit der Kunst mehr sein sollte, bleibt sie eine des Heiratsmarktes.

Memo an mich: @home dem weiter nachgehen, könnte Stoff für eine Musiktheaterszene geben.

 
*Es ist nicht ganz klar, ob die Geschichte echt oder ein Fake ist. Ist mir in dem Zusammenhang aber egal, die Idee ist real genug.

Kleine Weltreise – Tagebuch #19

Getränking
Manifestival

Die Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie (= die Philosophen) zu verändern.
Karlismus Marxismus
Die Subdominante gab den Schießbefehl
Parteibüro Max/Msp
Adorno/Horkheimer
Walter/Benjamin
Heiner, du Müller!
Neuer Konzept-Dualismus

Klavierkonzept a-moll
Violinkonzept D-Dur
Konzept für Cello und Orchester
Tripelkonzept
Brandenburgische Konzepte

Dorf Welt
Morton was a Feldman
Jackson was a Pollock
Behauptung
Enthauptung
ISIS und Osiris
Es ist komplizensiert
Stalinismen der Kunstgeschichte

They are all looking into their Artphones.

Im Konzert gestern – mit über 300 kunsthungrigen jungen Leuten im Publikum – hat ein Künstler bekannte Popsongs kritisch umgetextet und dargeboten. „Hey Jude“ von den Beatles ging dann zB über die Gentrifizierung Melbournes. Dazu zeigte er auf der Videoprojektion die Immobilienanzeigen von ‚Studios‘, die als „Artist-like“ nun nicht mehr an Künstler, sondern, superteuer, an Reiche zu vergeben sind, die sich gerne den Touch von Kunst geben. Interessant fand ich dabei den ästhetischen Effekt, der davon ausging, als auf der Leinwand der Immobilienmakler gezeigt wurde, und zwar mit vollem Namen und Profilfoto. Die Grenzüberschreitung in den Intimbereich des Geldes. Ähnlich wurden in Hamburg vor ein paar Jahren in einem Theaterstück über soziale Ungleichheit am Ende die Namen der 100 reichsten Hamburger verlesen. Solche Namensnennung ist brutal-konkret, man kann sich kaum eine stärkere Geste gegen alles Abstrakte in der Kunst vorstellen. Früher hieß es, auf der Theaterbühne könne man keine nackten Menschen und keine Tiere zeigen, denn beides würde jede Theaterillusion zerstören. Davon sind wir freilich sowieso weit weg, aber man könnte dem Repertoire des Antiillusionismus noch das Mittel der Nennung realer Namen hinzufügen. Und paradoxerweise ist gerade dieser Moment des Antiillusionismus stark ästhetisch.

„Letzte Warnung an die Deutsche Bank: Beim nächsten Mal werden Namen und Begriffe genannt.“ (Joseph Beuys)

Kleine Weltreise – Tagebuch #18

Nohannes Neindler
Diktatur der Musik
Wer ab 1.10. nicht neukonzeptuell-diesseitig komponiert wird ERSCHOSSEN!

Wir sind die Steinzeit der Zukunft. Für die Zukunft wünsche ich mir eine schöne Vergangenheit.

Wenn es eine Zeitmaschine gäbe, gäbe es keine Zeit.
Melbourne liegt 10 Stunden vor Mitteleuropa. Zeitverschiebungs-Différance. Jetlag, die Synkope der Globalisierung.

Melbourne ist die Stadt mit der besten Lebensqualität.
http://www.spiegel.de/reise/aktuell/melbourne-wien-vancouver-staedte-mit-der-besten-lebensqualitaet-a-986949.html

Die Menschen sehen britisch, die Stadt sieht amerikanisch aus.
Ich dachte, ich werde mir in Melbourne mal ein Auto mieten. Aber ist ja Linksverkehr hier, schon als Fußgänger lebensgefährlich. Nicht mal Fahrrad trau ich mich. Die Fußgänger pflegen hier tatsächlich (anders als in Großbritannien) auch auf dem Bürgersteig den Linksverkehr.

Ein Kanguru hab ich auch schon hupfen gesehen, gleich beim Flughafen, allerdings in einem Gehege. Aus dem Taxi heraus erspähte ich es überraschend hinter einem Hügel federnd in einer halbkreisförmigen Kurve auftauchen und hinter der grünen Kuppe mit dem Satz wieder verschwinden, wie das Hüpfende zu tun pflegen. Der Kopf ging während der hinterbeins abstoßenden Hochbewegung wie zum Ausgleich automatisch etwas in die Ducke. Warum wirkt das ulkig, so als ob diese Fortbewegungsart eine Strafe für schlechtes Benehmen darstellt, die das arme Geschöpf auf ewig ausführen muss, zum Gespött der ‚Normalen‘? Ein Springteufel. Im Gehegel: qualitativer Sprung.

Morgens Besuch des Ozeans, ein paar Muscheln eingesammelt.
Auf dem Rückweg kreuze ich zwei mal eine Demo von ca. 60 Teenagern, die lautstark dafür protestieren, keine Hosen anzuhaben, mit Transparenten („God hates Pants“) und gut einstudierten Sprechchören. Natürlich tragen sie keine Hosen, sie marschieren in Unterhosen zwischen den Wolkenkratzern um die Blöcke. Brüllen Passanten an, sich die Hosen auszuziehen.