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Archiv der Artikel die mit kleineweltreise getagged sind.

Kleine Weltreise – Tagebuch #32

Berlin
Welt-All-Tag
Einen Countertenor immer nur tief singen lassen.

Egal ob Island, Australien oder Argentinien: Die Künstler sind links. Und überall wird Rauchen wirksam bekämpft, in Australien am heftigsten, eine Packung Zigaretten kostet über 20Euro. Vergangenheitsaufarbeitung: In Australien wird der Aborigine-Genozid immer noch in der Schule verschwiegen, während Argentinien reinen Tisch mit der ehemaligen Militärdiktatur macht. Dennoch schaute ein Argentinier im Gespräch etwas verächtlich auf Bolivien, weil dort Nazis wie Klaus Barbie unterkamen. Nunja, Eichmann und Mengele waren in Argentinien. In Bolivien gibt es Menschen, die „Kreidler“ heißen – diese Verwandte sind aber schon 1908 hierhergekommen.
Island wie Argentinien hatten in diesem jungen Jahrhundert bereits einen Staatsbankrott. Und beide vor nicht so langem einen Krieg mit England – Argentinien den Falklandkrieg, Island den Kabeljaukrieg, mit zwei Toten (Isländern). + +
Sowohl in Australien wie in Argentinien hatte es erst den Anschein, als ob ich locker mit dem Jetlag zurechtkäme, erst ab dem dritten Tag ging biorhythmisch alles drunter & drüber. War halt doch etwas faul im Staate. Modulation zum falschen Zeitpunkt.

Sehr schön sind in Buenos Aires die Restaurants, in großen, weiten Räumen mit viel Licht und großen Fenstern.

Leider hat’s die letzten Tage so geregnet, dass nicht viel mehr an Visite möglich war.

Dachte, die ewiglangen Flüge würden eine Tortur werden, aber das ging ziemlich easy, dank guter Vorbereitung. Für so was immer Fensterplätze reservieren.
Und zu guter Letzt am Flughafen von Buenos Aires: Kein Laptopauspacken, kein Gürtelabschnallen, eine viertelsherzige Leibesvisitation; ich hätte da eine Schusswaffe oder mehrere Messer durchgekriegt.

So, genug exhibitioniert. Das nächste Reisetagebuch wird dann ein reines Sextagebuch.

Kleine Weltreise – Tagebuch #31

Gewaltsästhetische Hände

Es sind insgesamt 73 Stunden in der Luft bei dieser Reise. Ökologischer Fußabdruck: knietief. „Flying kills poor people“ hat im Juli in Berlin ein Aktivist bei einer Podiumsdiskussion des Theaterfestivals Foreign Affairs mit sichtlichem Vergnügen an der moralischen Überlegenheit postuliert. Das hat gesessen. Er lebt in einer Kommune in Frankreich, Kunst besteht für ihn weniger im Bemalen von Leinwänden als im gemeinschaftlichen Kartoffelanbauen. Wie er stattdessen reist, hat er nicht gesagt. Ein Mac stand trotzdem vor ihm auf dem Tisch.
Vorschlag: Im Flugzeug auf den Displays Aufklärungsfilme über Praktiken der Erdölkonzerne in Nigeria zeigen, oder gleich eine Live-cam von den Pipelines, die immer wieder mal explodieren beim Versuch der Einheimischen, etwas von „ihrem“ Öl abzuzapfen. Da sterben dann oft über 100 Menschen. Flugzeuge töten arme Menschen.

So ist es: Unsere Kultur, unser Lebensstandard, gründet auf Gewalt.

Ich hör jetzt noch aus dem Spätwerk von Carl Orff.

Google-Fotos aus dem Sündenpfuhl:

Kleine Weltreise – Tagebuch #30

„Wenn ein Ereignis eintreffen soll, so muß es, jenseits jeder Herrschaft, auf eine Passivität treffen. Es muß auf eine exponierte Verletzlichkeit stoßen.“ (Derrida)

 

Short Cuts

Ein Klang, den man sich nicht merken kann. Statisch und trotzdem total flüchtig.
>das geht wirklich, hab ich mal gehört (auch aufgezeichnet) in einem Internetradio, ein elektronisches Gemisch, halb öde, auch deshalb nicht zu merken. Ein permanentes Diminuendo, ohne zu verklingen.

Inkommensurabilität, Inkomparabilität. Nahezu nichts auf der Welt ist vergleichbar, die wenigsten Sachen lassen sich in Zahlen messen. Das wird allerdings vom Geld so krass verschleiert, dass man auch die nicht oder noch-nicht mit einem monetären Preis taxierten Dinge ebenfalls meint, vergleichen zu können. Am allerübelsten ist dann die Devise „Was keinen Preis hat, hat keinen Wert“.

In Australien eine Flasche Wein klauen: to liberate a bottle of wine.
– She didn’t clear the map of Tasmania –

Tagebuch führen = sich an die Gegenwart erinnern.

Es gibt das MALBA, das MAMBA und das MACBA: das Museo de Arte Latinamericano de Buenos Aires, das Museo de Arte Moderno de Buenos Aires und das Museo de Arte Contemporáneo de Buenos Aires. Im MAMBA eine tolle Ausstellung des ortsansässigen Konzeptualisten Fabio Kacero. Lässt Kinder eine Ausgabe der Phänomenologie des Geistes vollmalen, macht ein Buch aus lauter gesammelten Widmungen in Büchern, oder eine Liste tausender erfundener Wörter (bei denen interessanterweise aber fast keines dabei war, das wie ein fiktives deutsches Wort aussah).

Eine subtil-komponierte Audio-Collage aus lauter Tagesschau-Stellen, in denen das Wort „Instrument“ als politische Metapher verwendet wird.
Evaluation – Ein Instrument zur Qualitätssicherung in der Gesundheitsförderung.
Six Sigma – ein Instrument zur Qualitätssteigerung
Work-Life-Balance: Ein Instrument zur Mitarbeiterbindung
50 Jahre entwicklungspolitische Länderprüfungen (Peer Reviews) der OECD: ein Instrument der Qualitätssicherung und des gemeinsamen Lernens.
Rüstungsboard – ein Instrument der Transparenz.
Unirankings – ein Instrument der Hochschulwahl?
Selbstbestimmung – Ein Instrument der Spaltung
Mikro-versicherungen sind daher ein Instrument der sozialen Sicherung
Eugenik – Ein Instrument der herrschenden Klasse
Sprache als ein Instrument der Macht. Strategien der arabischen politischen Rhetorik
Sex als Machtinstrument – wenn die Kommunikation nicht mehr stimmt.
Provozierter „Konfessionskrieg“ als Machtinstrument.
Giorgio Agamben im Gespräch Die endlose Krise ist ein Machtinstrument.
Zeitungspresse als NS-Machtinstrument
„Angst und Schweigen als Machtinstrument – Was können wir aus der Vergangenheit lernen?

Sämtliche möglichen Akkordgriffe innerhalb eines Gitarrenbundes.

Jede Feldaufnahme ist eine Schlachtfeldaufnahme.

Sämtliche Werktitel der aufgeführten Stücke in Donaueschingen 1921-2014 auf Melodien von Soldatenliedern singen.

Noch mal zur Weltsprache: Nicht Englisch, sondern Technik wird zur Weltsprache (Jünger). Auf Smartphones wischen sie alle rum. Dazu gehört dann auch, dass hier in Buenos Aires in der Kneipe Warsteiner gezapft wird. Die Einheimischen trinken es, also hab ich’s auch. Was soll’s, Praktikabilität ist auch ein Argument, Prioritäten. Minimalismus, Simplify your Life – Google, Apple, McDonald’s.

Professohr an der Musikhorchschule.

Die Notre-Dame-Schule hat deratige Ohrwürmer komponiert, ich hab einen Perotinnitus.

Kugelschreier.

Die Treffer Nr. 46-52 (die Jahre Evitas als First Lady) bei der Bildersuche mit dem Begriff „Buenos Aires“:

Kleine Weltreise – Tagebuch #29

Weltsprache. Ich hatte vor ein paar Monaten mal auf Facebook einen Text verlinkt, in dem es hieß, man könne eigentlich getrost 6 Sprachen weltweit behalten, der Rest kann sterben gehn. Das hat eine meiner hitzigsten FB-Diskussionen ausgelöst. Was ich an dem Artikel als Impuls durchaus berechtigt fand: Im Zustand der Globalisierung, der weltweiten Vernetzung, braucht es nun wirklich eine (1) Lingua Franca. Die gibt es ja, Englisch. Ich finde: Jeder Erdenbürger hat die Pflicht, im Dienste der Völkerverständigung, des Weltfriedens, Englisch zu lernen. Zwei oder noch mehr Sprachen wäre natürlich besser, aber ist zu ressourcenraubend, solange die Gentechnik dem Menschen nicht IQs im satten dreistelligen Bereich beschert, lieber eine Fremdsprache, aber die dann doch über 20 Wörter hinaus; und zwar wirklich _jeder Mensch auf dieser Erde. Dass das Englisch ist, ist halt so, haben die Amis Glück gehabt und können sich was drauf einbilden. Na gut, vielleicht wird es irgendwann so viele Chinesen geben, dass Mandarin Überhand nimmt.

In Island konnte ich mich auf dem Land in der Bäckerei fließend auf Englisch mit dem Verkäufer unterhalten; in Buenos Aires kann so gut wie niemand Englisch, selbst in der Tourist Information (!) war die einzige Verständigungsmöglichkeit die mit Händen und Füßen. Man könnte ja annehmen, die Argentinier können Englisch halt nicht, weil sie es so gut wie nie brauchen – aber warum kann es dann der Isländische Landbäckereiverkäufer? Alle Vielfalt und Diversität nutzt nichts, wenn es nicht auch ein Medium des Austauschs gibt. Ich finde, es ist ein Affront an die Demokratie, an die Freiheit weltweiten Reisens und Kommunizierens, an den möglichen Fortschritt durch kulturellen Austausch, kein Englisch zu können. Eine Unverschämtheit gegenüber jedem Fremden. Nicht ich habe Spanisch zu lernen, wenn ich (temporär) nach Argentinien komme, sondern die Argentinier wenigstens elementar die Sprache, auf die sich alle Menschen einigen könnten, Englisch. Ich hab mir ja auch die verdammte Mühe gemacht, es zu lernen, bin nicht gut in fremden Sprachen, kostet viel Lebenszeit (es ist immer noch viel zu schlecht für mein Empfinden). Sorry, dass das Journal mitunter so’n Nörgelforum ist – BESTEUERT ENGLISCH-SPRACHDEFIZITE!

Kleine Weltreise – Tagebuch #28

Monty Pythoneske Performance: Ein Musiker ging mit mir durch das labyrinthische Staatstheater und später in der verwinkelten Stadt, aber aus Höflichkeit ließ er mich ständig vorausgehen – kenne ich denn den Weg?!

Che Guevara firmiert als „Großer“ des Landes neben Evita, Borges und Piazzolla auf Restaurantspeisekarten. Wusste nicht, dass er Argentinier war. „Che“ ist hier ein Grußwort. Ernesto Guevara hatte noch mal Bolivars Traum von den Vereinigten Staaten von Südamerika.

Gleich fällt einem auf, dass es in Argentinien nahezu keine Schwarzen gibt. Nicht, dass es hier früher keine Sklaven aus Afrika gegeben hätte, zwischenzeitig bestand ein Drittel der Bevölkerung aus ‚Negersklaven‘, aber viele der Männer fielen in Kriegen wie dem großen lateinamerikanischen Krieg (Paraguay), während man die schwarzen Frauen, anders als in den USA und Brasilien, als Partner nicht schmähte; hoffentlich kann man auch sagen: vice versa. Das schwarze Pigment ist in Argentinien vollständig vermischt.

In der Stadt ist 24 Stunden am Tag Leben, man kann mitten in der Nacht in ein gut besuchtes Restaurant gehen.
Buenos Aires muss einmal eine Schönheit gewesen sein. Viele große Häuser von der vorigen Jahrhundertwende, die jetzt schmutzig und heruntergekommen sind.

Letztes Jahr wurde hier im Staatstheater von Buenos Aires Lachenmanns Mädchen mit den Schwefelhölzern gegeben. Angeblich hat das Publikum beim Applaus schließlich „Olé, Olé..!“ gesungen. Wenn es dem armen Mädchen hilft…
Ich fand das nie ein Ideal, dass das Publikum einem sogleich um den Hals fällt, kriege bisweilen regelrecht Ekelgefühle bei Komponisten, die ihre Musik darauf anlegen; haben wohl zu Hause zu wenig oder zu viel Liebe abgekriegt. Gefallsucht, nur die herrschende Meinung bestätigend. Wenn es mir doch mal passiert, ist Revision angesagt. Nach der Matthäuspassion, nach Weberns Aphorismen ebenso wie nach einer Vorführung von Saló oder der Hamletmaschine, in Anbetracht von Duchamps Pissoir sind andere Reaktionen geboten als „Olé, Olé!“ zu singen.

Kleine Weltreise – Tagebuch #27

Noch Gedanken zu weiteren Kritiken am Neuen Konzeptualismus (siehe vorher auf Kulturtechno).

Das sei doch Eigen-PR: Die kleingeistigste von allen Kritiken. Vulgär. Wir leben im Kapitalismus, auch die Neue Musik ist ein Markt, also kann schlechterdings jede Handlung als PR-Handlung geschmäht werden. Deine Frisur, die ist doch PR!
Dass es auch ein Interesse an der Sache gibt, scheint bei diesen Kritikern jenseits der FDP-Vorstellungskraft zu liegen. Das PR-Genöle ist eigentlich unterhalb jedes Diskursniveaus.
Wäre an der Sache nichts dran, würde ihr keine PR dieser Welt helfen. Ich kann auch keine Argumentationsführung sehen, die erkennen ließe, dass der NK „PR“ nötig hätte. Vielleicht kommen die, die so reden, deshalb drauf, weil sie insgeheim für sich selber PR nötig sehen. Ich weiß es nicht, will es auch nicht wissen.

Dass der Neue Konzeptualismus nicht neu sei? Jaja, man kann alles relativieren. Siehe dazu meine Texte Neu und Alt sowie Neuer Konzeptualismus oder Neo-Konzeptualismus?.
Wer keine Neuigkeit als solche anerkennen will, kann das immer herleiten, kann immer abstrahieren. Ein Klavierstück? Aber du weißt schon, es gibt bereits andere Klavierstücke..?! Ein Musikstück? Ist nichts neues, Musik gibt es doch bereits seit 30.000 Jahren. Ein Mensch auf der Bühne? Menschen hatten wir schon. Ein Minimum an Begeisterungsfähigkeit ist der Kunstrezeption halt doch zu eigen, vielleicht ist es auch politisch-genereller eine Frage von Optimismus und Glaube an / Hoffnung auf Fortschritt. Dann hat man vielleicht einen Sinn für die Beispiele und Argumente, die ich im Text Das Neue an der Konzeptmusik vorbringe.

„Warum der ‚Ismus‘?“ „Was soll die ‚Begriffsschublade‘?“
Ich habe die Bezeichnung „Neuer Konzeptualismus“ in Darmstadt – dem Ort für Diskurs – 2012 mit meinem Vortrag vorgeschlagen. Eine Diskussion entstand, der Begriff wurde nicht schlagartig, aber im Lauf der folgenden Zeit aufgegriffen. Nach dem Vortrag habe ich den Begriff erst wieder verwendet, nachdem ich gesehen habe, dass er auch von anderen gebraucht wird.
Ich mag Sprache. Um über Musik zu sprechen, brauchen wir Namen, Begriffe. Wem die Musik damit beschnitten wird, der hat keine musikalische Begabung. Nur weil wir den Ausdruck „verminderter Septakkord“ haben, schmälert das doch nicht die Wirkung des besagten Akkords. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, mich verpflichtet der NK zu gar nichts, aber er gibt eine Orientierung auf dem weiten Feld, im dichten Wald (Gestrüpp) der Neuen Musik.
Es wird wohl auf ewig einen Widerstreit geben zwischen denen, die Sprache für etwas Produktives (Hegel) halten und denen, die darin etwas Wirklichkeitsschmälerndes (Adorno) sehen. Letzteren möchte ich allerdings raten, sich aus dem Diskurs auszuklinken und ‚einfach‘ Musik zu hören, statt Theorie-/Intellektuellenfeindlichkeit zu verbreiten – was paradoxerweise dann dennoch im Textmedium geschieht…

Leider geht es in den meisten Fällen, in denen diese Kritiken auftreten, gar nicht ernsthaft um diese Fragen wie der, welchen Stellenwert Sprache für die Musik hat, nicht um den Austausch von Argumenten, sondern um Abwehrreflexe, Rhetorik, Grabenkampf, Verteilungsneid. Wenn wenigstens das reflexiv wieder integriert würde, wären wir auch weiter.

[In meinem demnächst erscheinenden Text „Der erweiterte Musikbegriff“ werden diese Punkte ausführlich und konkret auf die Kritiken/Kritiker bezogen ausgeführt.]

Kleine Weltreise – Tagebuch #26

Hier wird desinfiziert, wie ich es noch nicht erlebt habe. Beim Anflug auf Argentinien gingen die Stewardessen und Stewards vor aller Augen durch das ganze Flugzeug mit Spray; das Auto, in dem ich zum Hotel chauffiert wurde, trug den Duft von Desinfektion in seinen Polstern; auch das Hotelzimmer riecht verdächtig süßlich. Es ist gar nicht ironisch, dass Buenos Aires „Gute Luft“ heißt.

 

Short Cuts

Jetzt hab ich den richtigen Vergleich: Das Grün von Tattoos sieht aus wie Grünspan.

Trauerarbeit. Kein gutes Wort. Ist dann nicht mehr weit bis zur Trauerökonomie.

Das Geheimnis als Währung in den omnipräsenten Tauschbeziehungen, Privates/Privatheit als Investitionsmasse. „Erotisches Kapital“. Was wir privat halten, tun wir entweder, weil es uns für andere nicht interessant erscheint, oder aber weil es Verschleuderung von Vermögen wäre, ein schlechter Deal.

Fokus. An etwas denken, ist das so wie man einen Gegenstand anschaut, oder so wie man etwas bestimmtes hört. An etwas denken ist außerhalb von Zeit und Raum, also dieses etwas, nicht der Vorgang, insofern außerhalb der genannten Vergleiche.

„Ein ‚Ich‘ ist niemals in sich selbst“ (Derrida)

Zum Narzissmus gehören immer zwei.

 

Das abschließende Künstlergespräch in Melbourne, geleitet von einer Radiojournalistin: Statt irgendwelcher Fragen zum Werk gab es Aufgaben der Art „Nennen Sie ihr Lieblingswort und wiederholen Sie es 10 mal.“ „Machen Sie einen Klang, der etwas ausdrückt.“ Sollte wohl au style conceptuel sein. Das hatte dann zur Folge, dass Sachen rumgeworfen und umgeschmissen wurden, ich hab mir bei einer Aktion derart die Hand selbst versohlt, dass sie jetzt noch weh tut. Die meisten Beteiligten fanden es eher blöd, niemand hat damit gerechnet, man wäre gerne vorbereiteter gewesen; Journalisten werten Spontaneität in der Tat viel zu hoch. Im Vergleich zu vielen anderen Gesprächen finde ich aber doch immerhin gut, dass sie so gut vorbereitet war inkl. Powerpoint. Wie viele schlechte Panels hab ich schon erlebt, und fast immer, weil die Moderation schlecht war.

 
+++

Klänge, die man besonders morgens gerne hört. Hörpsychologie der Tageszeiten und Körpersituationen. So, wie der Blick „auf etwas ruht“, das Ohr in einen Klang reinkuscheln. Wie bei einer Tinnitusmaske.

 

Kleine Weltreise – Tagebuch #25

Die Argentinier
lachen über den
erneuten Staatsbankrott nur noch

Weltreise. Welten. Es ist ja Unsinn, von „Welten“ zu sprechen, das ist Rhetorik. Entweder man hat einen Ausdruck für „alles“ und das umfasst dann auch alles, oder der Ausdruck hat keinen Wert. Welt ist alles, davon gibt es dann nicht mehrere. „Welten“ ist so ähnlich wie der/die/das „Einzigste“. Man macht es nur, weil es sprachlich eben geht, von „Welt“ kann man einen Plural bilden, „Welten“. Von „Alles“ gibt es keinen Plural, würde sich einfach nicht nach einem deutschen Wort anhören, diese zwei „Allesse“ hier. (Auch „Musiken“ ist grenzwertig.)
Die Leibnizsche Provokation, wir lebten „in der besten aller möglichen Welten“, ein Quatschsatz, aber eine geniale Provokation. Voltaire, reagierend auf das Erdbeben von Lissabon, kommentierte: Wenn DAS die BESTE ALLER MÖGLICHEN WELTEN sein soll, DANN will ich erst mal DIE ANDEREN sehen..!
Derrida sagt, wir seien „weltlos“; das kann man originell finden. Bei ihm gibt es auch das Oxymoron „vorursprünglich“.

 
26 Miniaturen

1. Ein 30stimmiger Sinustonakkord, in den 2 Sekunden lang weißes Rauschen eingefügt ist

2. Feldaufnahme eines Schuhgeschäfts, zusammen mit der Feldaufnahme eines deutschen Waldes

3. 5 akzentuierte Tamtamschläge, im selben Rhythmus danach 5 Vokalaktionen

4. 2 eng aneinander liegende (beinahe-)Sinustöne, denen eine längere Pause folgt, in der man noch meint, elektronische Artefakte zu hören

5. Der erste Takt einer frühen Beethoven-Klaviersonate, danach Tonrepetitionen

6. Hohes Rauschen, unterbrochen von einem Symphonieorchester

7. Schmirgelpapierklänge, zusammen mit einer rudimentären Geigenmelodie

8. Alle Konzepte des Fluxus-Workshop-Buches, gleichzeitig vorgelesen

9. C-Dur, danach c-moll, schließlich a-moll

10. Das Zerbrechen einer Triangel. Das Verbrennen eines Woodblocks. Mit einem harten Gummischlägel auf dem verbrennenden Woodbock spielen

11. Verschieden gefilterte Rauschen, stets mit Decrescendo

12. Ein Feld von Akkordpaaren, stets glissandiert ein Akkord zum zweiten

13. 50stimmige Klavierakkorde mit extrem schnellem Arpeggio

14. Die 6 Gitarrensaiten kauen, mikrofoniert

15. Schallplatten als hängende Becken im Drumset

16. Ein kurzer Vortrag über die Herstellung von Darmsaiten

17. In 5 verschiedenen Geschwindigkeiten einen Schlüssel ins Schloss schieben

18. Bruderkuss zweier Dirigenten

19. 50 Triller auf einer großen Kirchenorgel

20. Vergleichende Audioaufnahmen von Reinigungsverhalten

21. 5 Rotationen mit dafür geeigneten Objekten

22. Der Kauf eines Hammers, mikrofoniert

23. Klänge, die 2 Köpfe miteinander produzieren können

24. Diatonische Akkorde, zu denen atonal, später mikrotonal gesungen wird

25. Lautheit, die immer unmöglicher wird

26. Der Unterschied zwischen reiben und streicheln (Klaviertasten)

Kleine Weltreise – Tagebuch #24

Methode an die Freude
Buenos Aires

Flughafenkontrollen. Nacktscanner können sie bauen, aber keine Scanner, für die man den Laptop in der Handgepäcktasche lassen kann. Schikanieren ist ein tiefliegender menschlicher Zug. Schikane ist eine Währung. Das alberne Gespräch beim Betreten Australiens, was machen Sie hier usw. Ein Terrorist würde sich spätestens hier natürlich verraten, klaro. Was sich allein verrät: der Schikanenterror.

Das Allerschlimmste ist das Gürtel ausziehen vor dem Scanner. Hose festhalten. Ich muss da an den Widerstandskämpfer Erwin von Witzleben denken, dem die Braunen Schergen vor der Volksgerichtssitzung den Gürtel wegnahmen, und der Abgemagerte zum Gespött des ganzen Saals während seiner Verteidigung seine Hose festhalten musste. (Todesurteil)

Gürtel ausziehenmüssen ist erniedrigend. Vielleicht ist das Gürtelausziehenmüssen ja von der Zuckerlobby durchgesetzt, damit die Leute sich fetter essen. Verschwerungstheorie.
Jetzt aber Schluss mit Weinerlichkeit. Sicherheitsvorschriften waren noch nie demokratisch. Selbst in der Schweiz hat das Volk doch bestimmt noch nie über Flughafenprozederes abgestimmt.

 

Am letzten Tag in Melbourne hab ich in einer Ausstellung eine Arbeit gesehen, die mir noch nachgeht. Der Künstler Khaled Sabsabi hat den offiziellen Anfeuerungsverein der hiesigen Footballmannschaft in einem neutral-grauen Studioraum seine Anfeuerungschöre schreien lassen. Mit einer geschickten Kameraeinstellung war die Energie der (ausschließlich) Männer stark spürbar und gleichzeitig das absurde Ambiente des leeren Studios. Die Anfeuerung ins Nichts, bzw. war es auf zwei Monitoren, die sich nah gegenüber standen, also gegenseitig anfeuernd, und wenn man dazwischen stand wurde man selbst angefeuert, das war sehr irritierend.
Entkontextualisieren kann ein wirksames Konzept wirksamer Kunstgriff sein. Man könnte in das neutrale Studio auch eine Kassiererin setzen, die Waren über den Scanner schiebt, etc. Spahlinger hat für eine Radiosendung mal einen Posaunisten die dritte Posaunenstimme einer Brucknersymphonie allein spielen lassen. Ich mach mal ein Video mit einer Gürtelausziehperformance.

Kleine Weltreise – Tagebuch #23

Engaged Minimalism

Das Liquid Architecture Festival ist ein Festival für experimentelle Musik, das in Australien und Singapur (es wandert innerhalb von 5 Wochen von Melbourne über Brisbane nach Sydney und Singapur) jährlich stattfindet – dieses Jahr in Melbourne ein Publikumszuwachs von 200 auf 1500 Gäste; das neue Kuratorenteam hat ganze Arbeit geleistet. Heuer hat es sich zum Thema das gemacht, was ich den „erweiterten Musikbegriff“ oder Seth Kim-Cohen „an expanded sonic practice“ nennt. Aus dem Festivalmanifest:

All Sounds Are Implicated

DANNI ZUVELA, JOEL STERN

There’s a position between ‘sound in itself’ and ‘non-cochlear’ approaches that is not uninterested in what it sounds like, just more interested in what its effects are, what the forces are that produce it. This position hears, but also reads sound. Sound, as a text to be read:

• results from unexpectedly intersecting forces;
• is the site of multiple disciplinary crossings;
• is the sound itself, its social character and its effects;

“An expanded sonic practice would include the spectator, who always carries, as constituent parts of his or her subjectivity, a perspective shaped by social, political, gender, class and racial experience. It would necessarily include consideration of the relationships to and between process and product, the space of production versus the space of reception, the time of making relative to the time of beholding. Then there are history and tradition, the conventions of the site of encounter, the context of performance and audition, the mode of presentation, amplification, recording, reproduction. Nothing is out of bounds. To paraphrase Derrida, there is no extra-music.” (Seth Kim-Cohen)

• dealing not just with what is but may be;

“No music has the slightest esthetic worth if it is not socially true, if only as a negation of untruth; no social content of music is valid without an esthetic objectification.” (Kim-Cohen)

This is our position.

Die Konzerte in Melbourne, der Station des Festivals, bei der ich beteiligt war, legten den Fokus vor allem auf die Soloperformance des Künstlers selbst, was hier, fern der „klassischen“ Tradition, viel selbstverständlicher ist. Konzerte, bei denen ein Ensemble Musik nach Partitur aufführt, gab es praktisch nicht.
Ein Konzert beispielsweise hatte den Arbeitstitel „Der Vortrag als musikalisches Readymade“.

Die Radikalität, mit der die Kuratoren das Feld von Musik erweitern, wird bei diesem Beispiel deutlich: Die Kuratorin Danni Zuvela will nächstes Jahr im Festival einen Workshop aufs Programm setzen, in dem Sexarbeiterinnen – ein in Australien derzeit ebenso wie in Deutschland diskutiertes Thema – zu Wort kommen sollen. Keine Ästhetisierung, kein Soundwalk über den Straßenstrich und schon gar nicht irgendeine Inszenierung, sondern Sexarbeiterinnen, die ihre Positionen darlegen. Was das mit Musik zu tun hat? Die Tatsache, dass es in einem Festival für experimentelle Musik stattfindet. 21. Jahrhundert.

Was das Festival auf Facebook von der Performance des deutschen Gasts zeigt. 10 Likes.