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„Neuer Konzeptualismus“ oder „Neo-Konzeptualismus“?

Kaum ist vom „Neuen Konzeptualismus“ die Rede, treten auch schon die auf den Plan, die das korrigiert wissen wollen und stattdessen von „Neo-Konzeptualismus“ sprechen.

Was soll das heißen, „Neo-„? In der Musikgeschichte gibt es einen „Neo-Ismus“, den Neoklassizismus. Der berief sich dezidiert auf die Klassik (und auch auf Barock und Rokoko), also längst vergangene Stile, bekannte Beispiele sind die „Symphonie Classique“ von Prokofiev oder „Pulcinella“ von Strawinsky. Das war damals eine gewitzte Idee: die verschrienen Modernisten adaptieren auf einmal die wohlbekannte und allseits beliebte Klassik. Eben noch schockierende Avantgardisten, überraschen sie jetzt mit Retro.

Ich kenne keinen einzigen Vertreter des Neuen Konzeptualismus, der von sich behaupten würde, dass er einen „Neo-Konzeptualismus“ betreibt in dem Sinne, wie sich der Neoklassizismus verstanden hat. Ist an Peter Ablingers „Voices an Piano„, an Jens Brands „G-Player“ oder an meiner „Fremdarbeit“ irgendetwas ‚Neo-‚? Der Neue Konzeptualismus hat freilich seine Vorgänger, er bezieht sich manchmal auch auf historische konzeptuelle Werke. Aber eine Art von provokanter Nostalgie als grundlegender Ansatz, wie es beim Neoklassizismus der Fall war, liegt hier überhaupt nicht vor. Ohnehin ist es so, dass Konzeptmusik, ganz anders als etwa die Klassik, bislang gar nicht kanonisiert ist, es gibt kein einziges Lexikon, in dem Konzeptmusik definiert ist, und schon gar nicht ist sie als -Ismus geschichtlich eingeordnet, von einer Breitenakzeptanz ganz zu schweigen. Insofern ist es Unsinn, nun gleich von „Neo-Konzeptualismus“ zu sprechen, wenn noch nicht mal bekannt ist, was denn „Konzeptualismus“ in der Musik bislang genau gewesen sein soll. Wer so spricht, ist paradoxerweise geschichtsvergessen oder hat mißgünstige Hintergedanken, weil ihm offenbar an einer schnellen Relativierung gelegen ist.

(„Neo“ ist generell heute eher negativ konnotiert, jedenfalls in meinem politischen Umfeld: neoliberal, neokonservativ, Neonazi…)

Es steht für mich außer Frage, dass der Neue Konzeptualismus spezifisch Neues in die Musik bringt, sein Ausdruck ist durch und durch gegenwartsbezogen, seine Agenda progressiv. Im Januar wird dazu der Aufsatz „Das Neue an der Konzeptmusik“ von mir in den Neuen Zeitschrift für Musik erscheinen; das Heft wird ein Themenheft darüber sein.

2 Kommentare

  1. Ich denke, wir reden aneinander vorbei. Ich möchte weder das Innovative, Institutionenkritische, auch Unverschämte und Herausfordernde am Neuen Konzeptualismus in Abrede stellen, noch seinen Gegenwartsbezug, noch seine Zukunftsgerichtetheit. Im Gegenteil: Indem ich in meinem diese Debatte auslösenden Blogbeitrag http://stefanhetzel.wordpress.com/2013/09/10/gehaltsasthetik-und-sonifikation-gedanken-zu-lehmanns-musikphilosophie-8/ von Neo-Konzeptualismus sprach, wollte ich den Neuen Konzeptualismus in eine Tradition mit einer mir *sympathischen*, aber leider hierzulande weitgehend unbekannt (oder, sagen wir besser: folgenlos) gebliebenen e-musikalischen Unterströmung der 1960er Jahre stellen. Diese Strömung ist tatsächlich, da bin ich mit dir ja völlig einig, bis heute namenlos geblieben: „Conceptual music“ bzw. „Konzeptmusik“ als kunsthistorisch etablierter Begriff ist mir nicht bekannt.

    Was es gibt, sind Arbeiten von Yoko Ono, LaMonte Young, dem frühen Steve Reich etc. Im englischsprachigen Wikipedia-Artikel „Conceptual art“ entdeckte ich zudem eben das Folgende:

    „1962: FLUXUS Internationale Festspiele Neuester Musik in Wiesbaden with, George Maciunas, Joseph Beuys, Wolf Vostell, Nam June Paik and others.“

    Evidenz genug?

    Vielleicht kannst du ja angesichts dieser historischen Lage, wird mir eben klar, das „Neu“ im „Neuen Konzeptualismus“ (*dieser* Begriff stammt stammt schließlich von dir – du hast ihn ohne Not eingeführt!) schlicht streichen und „Konzeptmusik“ als solche für dich beanspruchen! Die o. g. Heldinnen der 1960er Jahre wären dann eben Vorläuferinnen dieses Musik-Konzepts (ja, auch der musikalische Konzeptualismus ist *ein* Musik-Konzept, ebenso wie Minimal music oder Improvisierte Musik, oder Lachenmanns Neue Musik).

  2. Kreidler sagt:

    Ja, das „neu“ müsste vielleicht nicht unbedingt sein, ich bedenke es. „Konzeptmusik“ klingt auch gut.

    Man könnte halt sagen, dass die jetzige Häufung von Konzeptualisten verhältnismäßig neu ist, in Abkehr von bislang stark vorherrschendem Strukturdenken, Immanentismus und klassischem Aufführungsmodus.

    (Fluxus ist nur bedingt passend, sonst wär’s jetzt tatsächlich ein „Neo-Fluxus“, aber davon spricht nun wirklich keiner.)