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Kleine Weltreise – Tagebuch #20

Dieses notorische „How are you?“ bei jeder Begrüßung im englischsprachigen Raum, an jeder Supermarktkasse, ist KRANK und führt geradewegs zur NSA.

 

Immanuel Kant spricht in der Kritik der Urteilskraft in §33 von der Schönheit und nennt als Beispiel die Tulpe.

In der Tat wird das Geschmacksurteil durchaus immer, als ein einzelnes Urteil vom Objekt, gefällt. Der Verstand kann durch die Vergleichung des Objekts im Punkte des Wohlgefälligen mit dem Urteile anderer ein allgemeines Urteil machen: z. B. alle Tulpen sind schön; aber das ist alsdann kein Geschmacks-, sondern ein logisches Urteil, welches die Beziehung eines Objekts auf den Geschmack zum Prädikate der Dinge von einer gewissen Art überhaupt macht; dasjenige aber, wodurch ich eine einzelne gegebene Tulpe schön, d. i. mein Wohlgefallen an derselben allgemeingültig finde, ist allein das Geschmacksurteil. Dessen Eigentümlichkeit besteht aber darin: daß, ob es gleich bloß subjektive Gültigkeit hat, es dennoch alle Subjekte so in Anspruch nimmt, als es nur immer geschehen könnte, wenn es ein objektives Urteil wäre, das auf Erkenntnisgründen beruht, und durch einen Beweis könnte erzwungen werden.

In „Die Wahrheit in der Malerei“ nimmt Derrida wiederum Bezug darauf und wiederholt auf etlichen Seiten die Betrachtung der Tulpe. An einer Stelle heißt es:

Die Tulpe, wenn sie schön ist, diese unersetzbare Tulpe, von der ich spreche und die ich, indem ich spreche, ersetze, die aber in dem Maße unersetzbar bleibt, wie sie schön ist, diese Tulpe hier ist schön, weil ohne Zweck, ist vollständig, weil von ihrem Zweck/Ende abgeschnitten, durch einen reinen Schnitt.

Daraus habe ich die Formulierung „Diese Tulpe, von der ich spreche, und die ich, indem ich spreche, ersetze.“ Herausgenommen und in der Performance vorgestern viele Male wiederholt, jedesmal anders – quasi – musikalisiert mit Powerpoint-Notationsminiaturen.

Im Vortrag gestern habe ich außerdem „Charts Music“ gezeigt, woraufhin der Künstler Ceri Hann mich auf einen hochinteressante Zusammenhang aufmerksam gemacht hat, die mir auch selber hätte einfallen dürfen, ich hatte mal davon gelesen:

Der erste gut dokumentierte Fall einer Spekulationsblase ereignete sich 1637 in Holland, in dem „Goldenen Zeitalter“, in dem all die berühmten niederländischen Maler tätig waren und der Kolonialhandel mit Indien blühte. 1637 aber gab es diese Spekulationsblase in Holland, und zwar durch den Handel bzw. die Spekulation mit: Tulpen!

http://de.wikipedia.org/wiki/Tulpenmanie

Das lädt zur Reflexion ein. Der erste Fall eines aktienartigen Wirtschaftszusammenbruchs ereignete sich aufgrund der Spekulation auf: Schönheit. Und ausgerechnet mit der Blume, die bei Kant eine so andere Betrachtung hat und die auch bei Derrida derart übernommen wurde. Ohnehin fast etwas befremdlich, dass in der Philosophie nicht die Rose, die Blume par excellence, sondern die Tulpe herangezogen wird. Jedenfalls führte der Tulpencrash zum ersten großen Fall von wirtschaftlichem Vertrauensverlust. Das kann man weiterspinnen zum Tod von Marilyn Monroe, die heiße Luft unter ihrem Rock und dem Fall* in China, wo einer seine Frau verklagt hat, weil sie ihm hässliche Kinder geboren hat – ihr habt richtig gelesen, er hat sie erfolgreich auf Schadensersatz verklagt, denn sie hatte sich vor der Hochzeit etlichen Schönheitsoperationen unterzogen, von denen er nichts wusste. Bei den Kindern dann kam die Wahrheit ans Licht.

Selbst wenn Schönheit keine Angelegenheit der Kunst mehr sein sollte, bleibt sie eine des Heiratsmarktes.

Memo an mich: @home dem weiter nachgehen, könnte Stoff für eine Musiktheaterszene geben.

 
*Es ist nicht ganz klar, ob die Geschichte echt oder ein Fake ist. Ist mir in dem Zusammenhang aber egal, die Idee ist real genug.