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Kategorie Theorie

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1j) Ausschneiden und Zusammentragen

1j) Ausschneiden und Zusammentragen

Aus dem Archiv wird etwas bestimmtes herausgeschnitten, die Ergebnisse werden dann als Katalog kompiliert.

 

Erik Carlson hat die Anfangsakkorde von Aufnahmen der „Eroica“ gesammelt und chronologisch gereiht:

 

 

(Robert Fink hat dasselbe mit den Akkorden aus dem Sacre gemacht.)

 

Ich habe für mein Musiktheater „Feeds. Hören TV“ über 50 verschiedene Metalstile gesammelt:

 

 

Oder aus alten Computerspielen die Musiken gesammelt, der erklingen, wenn der Held stirbt:

 

 

Henrique Iwao hat sämtliche Sirenenstellen aus Edgard Varèses Oeuvre gesammelt:

 

 

Oder sämtliche „Baby“-Stellen bei Britney Spears:

 

 

(Und alle „Yeahs“ der Beatles, rückwärts chronologisch.)

 

Jemand hat wiederum Aufnahmen von Cages berühmtem Stille-Stück geremixt:

 

 

Und solche Sammlungen sind auch eine Strategie der Internet-Popkultur, mit allen möglichen charakteristischen Momenten aus Hollywoodfilmen (bestimmte Kameraeinstellung, bestimmte Wörter, bestimmte Sprünge, etc.) werden sogenannte Supercuts erstellt. Im Kunstkontext berühmt geworden ist Christian Marclays „Clock“, einem 24stündigen Film, bestehend aus lauter Filmszenen, in denen jeweils die aktuelle Uhrzeit irgendwo zu erfahren ist.

 

Nicht nur gefiltert, sondern noch stark verstärkt (“normalisiert”) hat Kirill Shirokov die Anfangsstillen von CD-Aufnahmen:

 

 

Ich habe öfters in Stücken das Verfahren angewandt, eine kurze Melodie durch viele verschiedene Stilarrangements von Kompositionssoftwares wie „Songsmith“ oder „Band in a Box“ zu jagen und diese dann zu kompilieren:

 

 

Henrique Iawos Gitarrenstück „Panotico Dn“ beginnt damit, dass derselbe Ton auf alle erdenklichen Arten gespielt wird.

 

Niclas Thobaben hat das Prinzip auf Noten angewandt und sämtliche Handabbildungen in Helmut Lachenmanns “Pression” zusammengetragen:

 

 

Link zum Anfangspost der Reihe: Definitionen und Übersicht

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1i) Neuordnung

1i) Neuordnung

Eine Vorlage wird zerteilt und auf bestimmte Weise neu geordnet.

 

Ich habe, in Analogie zu Ravels Bolero, eine Algorithmus programmiert, der jede Vorlage in kleine Schnippsel teilt und diese dann nach Lautstärke ordnet:

 

 

Anton Wassiljew nimmt sich MIDI-Dateien bekannter Werke nach verschiedenen Parametern vor:

 

 

Erik Carlson ordnet Bach’s Ciaconna nach Tonhöhen und notiert es aus:

 

 

Oder reiht alle gesungenen Wörter von Schuberts Winterreise alphabetisch:

 

 

Etwas abstrakter habe ich ein Einspielungen einer chromatischen Skala anschließend neu ordnen lassen:

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1h) Sonifikation und Filterung

1h) Sonifikation und Filterung

Ein Readymade wird nicht als Ganzes umgesetzt, sondern bei der Umsetzung charakteristisch gefiltert.

 

Anton Wassiljew filtert akustisch die zentralen Wörter „Arbeit“ und „Kapital“ aus Marx’ Hauptwerk.

 

 

Ähnlich hat er den Text der russischen Nationalhymne danach untersucht, in welchem Mengenverhältnis die Nennung des Präsidenten und des Volkes stehen:

 

 

Die Dialektik von Subjekt und Objekt habe ich aus Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ herauspräpariert. Man achte auf die Dramatik ab Minute 3.

 

 

Oder die Begriffe „Sein“ und „Zeit“ aus Heideggers „Sein und Zeit“:

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1g) sonstige Sonifikation

1g) sonstige Sonifikation

 

In „Zahlensymbolik heute“ wird eine Zahl, die in einer aktuellen Zeitungsmeldung genannt wird, in die Menge von Tönen übersetzt.

 

„Wir wollen jetzt aber wieder Geld direkt hörbar machen, und zwar ganz einfach: pro Euro einen Ton. Wir nehmen einfach einen Akkord Klavierakkord und dessen Töne werden gespielt, und jeder Ton steht für einen Euro. Zum Beispiel der Eintrittspreis für heute abend, Parkett, Erwachsene, 15 Euro, also 15 Töne. [Kurze Musik]
Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Inders, 24 Euro. [Kurze Musik]
Das Monatsgehalt von Josef Ackermann 2009: 1,1 Millionen Euro! [Endlose Musik]“

 


(Aus „Feeds. Hören TV“ – Musiktheater im Revier Gelsenkirchen 2010)

 

 

Und dann gibt es noch die Anti-Sonifikation:

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1f) Re-Sonifikation

f) Re-Sonifikation

Daten von akustischen Messungen werden wiederum sonifiziert. Also Ent-sonifizierung und Re-sonifizierung.

 

In den berühmten „Voices and Piano“ überträgt Peter Ablinger die Sprechmelodie von gegebenen Sprachaufnahmen in Klaviermelodien, die Wahrnehmung ist dem Zwiespalt ausgesetzt, ob sie der Semantik des Textes oder der musikartigen Wirkung des Klaviers folgen soll. Zudem wird gerade die Art Übertragung (Digitalisierung!) Thema, da wir sowohl Original als auch die Übertragung hören.

 

 

Oder auch in der Version für Playerpiano, ohne Original, dafür mit Untertitel – ein technisches Wunderwerk.

 

 

Alberto Bernal hat eine alte zerkratze Schallplatte mit einem Chopin-Nocturne wiederum als Klaviertöne lesen lassen, die Kratzer werden ebenso zu Tönen wie die Chopin-Töne – und die Ironie der Geschichte ist, dass es gar nicht wirklich eine alte Schallplatte ist, sondern eine gute Aufnahme, die er durch einen Schallplattenemulator geschickt hat.

http://www.albertobernal.net/Werke/Musik/bernal_musik%2010.mp3

http://www.albertobernal.net/Werke/Musik/Musik_en.html

 

Ähnlich hat Peter Ablinger eine leere Schallplatte re-sonifiziert, also allein die Plattengeräusche.

 

http://ablinger.mur.at/i+r_pno+rec.html

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1e) Sonifikationszahlen müssen erst aus Vorlage gewonnen werden

1e) Sonifikationszahlen müssen erst aus Vorlage gewonnen werden

Mit einer Idee wird aus einer Vorlage, die zunächst keine direkt umsetzbaren Zahlen enthält, ein Datensatz gewonnen, der sich dann sonifizieren lässt. De facto geht es um möglichst antitraditionalistische Textvertonungen…

 

Anton Wassiljew nimmt ein Kapitel aus „Mein Kampf“ und liest die Buchstaben als Ascii-Werte, die wiederum als MIDI-Werte für Töne interpretiert werden.

 

 

Ich habe ein Zufallsverfahren für sämtliche Gedichte Paul Celans angewandt:

 

 

Oder Georg Trakls Gesamtwerk als Binärcode übertragen auf die Schreibweise von Geigenfingersätzen:

 

 
In „Mention of Rhythm in the Introduction, perhaps“ wird dann auch – ein Kennzeichen und vielleicht auch eine Innovation des Neuen Konzeptualismus – der Diskurs über Musik selbst Material.

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1d) Sonifikation von/mit Dauern

d) Sonifikation von / mit Dauern

Eine gegebene Dauer wird aufgegriffen und zur musikalischen Dauer, oder gegebene Daten werden zu musikalischen Dauern.

 

 

Jarrod Fawler nimmt die Kapitelnummerierungen von Wittgensteins berühmtem „Tractatus“ und lässt ein Klickgeräusch in Dauernproportionen gemäß der Nummerierung erklingen. Den Anspruch Wittgensteins, ein vollständig logisches System der Philosophie darzustellen, kommentiert er mit einer maximal trockenen „Musik“, die genau diese Logik in einer Extremform ästhetisiert, also wahrnehmbar macht (Ausschnitt bei 43’33“).

 

 

In „Shed“ habe ich die Dauernprogression von 100-Meterlauf-Weltrekorden auf Musik angewandt.

 

 

Die berühmte Dauer von 4’33“ habe ich mehrmals umgesetzt:

 

Duration of Silence
Simon & Garfunkel, “Sound of Silence”, stretched to 4’33” duration.

Depeche Mode, “Enjoy the Silence” (2004 version), stretched to 4’33” duration.

 

 

 

„1452 hat Guillaume Dufay zur Einweihung des Florentiner Doms die Motette „Nuper Rosarum Flores“ komponiert, bei der er die genauen architektonischen Maße des Doms in musikalische Proportionen umgesetzt hat. Also, zum Beispiel entspricht die Anzahl der Noten des ersten Teils genau der Länge des Längsschiffs in Fuß, usw.

Was Sie hier nun sehen, ist der Grundriss des Dortmunder Bordells „Ladylike“. Es gibt den zeigt mit Stab Eingangsbereich, in dem der Service gebucht und auch gleich bezahlt wird, hier die Garderobe, dann den Empfangsraum mit den Mädchen, mit denen sich der Mann an der Bar vergnügt, bevor er sich mit ihnen in eine der Lounges oder in den Whirlpool oder auf die gemeinsame Spielwiese begibt.

Die Architektur ist exakt auf die sexuellen Bedürfnissen des durchschnittlichen männlichen Dortmunders zugeschnitten. Wir werden diese Proportionen nun für den Tristan-Remix der Ouvertüre verwenden.“

[Aus „Feeds. Hören TV“. Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, 2010]

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1c) Sonifikation in Tonhöhen (ohne Geometrie)

c) Sonifikation in Tonhöhen (ohne Geometrie)

Ein gegebener Datensatz wird in Tonhöhen transferiert.

 

Tom Johnson, Narayana’s Cows: Johnson macht aus dem Familienstammbaum einer Kuhherde eine Melodie, die nach und nach entfaltet wird, wobei sich im Zuge dieser Evolution ein mathematisches Problem ergibt, das Johnson nun quasi-musikalisch löst – oder auch nicht? Das Stück ist in der Instrumentation offen, man findet mehrere Versionen auf YouTube. Ich habe bei der Gaudeamus Music Week 2010 eine Version für Moderator und großes Ensemble gehört, das war eine regelrechte Show – viel Akklamation.

 

 

In meiner Performance „Rich harmonies“ habe ich die 6-aus-49 – Lottoziehungen seit Einführung der Lotterie auf den 49 Tasten eines Vieroktavharmoniums gespielt. Zufallsmusik nach der gehaltsästhetischen Wende.

 

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1b) geometrische Sonifikation

Sonifikation

Existierende Daten werden nach einer bestimmten Idee in Klänge umgesetzt. Die Umsetzung erzeugt einen Kommentar zu der Datenvorlage, von der Übertreibung bis zum Kontrapunkt. Die Sonifikation ist eine technische Umsetzung von Daten, anders als eine expressive Ausdeutung von etwas. Es lassen sich mehre Sonifikationsmethoden unterscheiden.

 

1 b) geometrische Sonifikation

Ein direktes Verfahren, bei dem grafische Vorlagen als Koordinatensystem betrachtet werden, dem die übliche Verteilung von Tonhöhe und Zeit auf y- und x-Achse entspricht. Xenakis hat darauf hingewiesen, dass die Notenschrift ein kartesianisches Koordinatensystem bildet – aber bereits vor Descartes entwickelt wurde.

In meiner „Charts Music“ habe ich Aktienkurse zum Höhepunkt der Finanzkrise 2009 als Melodien in eine Kinderkompositionssoftware eingespeist, wodurch ein Widerspruch entsteht zwischen Desasterdaten und Happysound. Das Konzept wird in vielen Varianten durchgeführt, aus diesen Varianten habe ich dann eine Form komponiert – ein Verfahren, das ich oft anwende, „zusammengesetzter Konzeptualismus“.

 

 

In meinen „Scanner Studies“ werden Buchstaben und andere Zeichen streng geometrisch gelesen, im Widerspruch zur normalen semantischen Erfassung beim Lesen. Wiederum ein zusammengesetztes Stück.

 

 

 

 

Ähnlich (aber unabhängig von mir) hat Alberto Bernal Komponistenportraits oder Protestschilder von Demonstrationen in Spanien sonifiziert („NO-Studies„):

 

 

 

 

In meinen „Kinect Studies“ sind beispielsweise Alltagshandlungen zur Klangsteuerung umfunktioniert (bei 3’16“):

 

 

bei 3’10“:

 

Oder auch eine Erhängung, in dem Fall ist die x-Achse die Tonhöhenachse, wie auf der Klaviatur (2’50“):

 

In „Eine Art Verlust“ wird das Scannen von der Notationserkennungssoftware „Cappella Scan“ bewerkstelligt, Vorlage waren sämtliche Gedichte von Ingeborg Bachmann, mit Notenlinien versehen:

 


(Bei Stücken wie diesem ist natürlich völlig klar, dass das kein Mensch sich ganz anhört – ich habe es jedenfalls ist. Ist ja auch nur ein YouTube-Video, ich nenne so was eine „YouTube Installation“.)

 

Jens Brand hat gleich die ganze Erde als Satellitendaten genommen und die Berge und Täler als Schallrillen eines virtuellen Riesenplattenspielers sonifiziert:

http://www.g-turns.com/

 

In meinen „Irmat Studies“ (wieder eine zusammengesetzte Form) sind es Menschen auf der Straße (1’54“), die Linien eine Fingerkuppe (6’21“), ein Zahlenblock (13’53“) oder menschliche Gesichter (22’17“), die partiell sonifiziert werden:

 

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1a) Readymades

1. Vorgefundenes

Der Hauptansatz des Neuen Konzeptualismus ist fraglos die Verarbeitung von Vorgefundenem. Das Vorhandensein der gigantischen Datenmengen im totalen Archiv des Internets lädt dazu ein, diese Daten zu aufzugreifen, zu editieren – auch künstlerisch. Und Algorithmen können just die Maschinen sein, von denen LeWitt sprach. Der Gebrauch von Bestehendem und Ansätze einer künstlerischen Entfaltung der immanenten Gehalte von Vorlagen resultiert zudem aus dem Wunsch, die Musik stärker an die Lebenswelt anzuschließen.

a) Readymade: etwas zur Musik erklären

Der klassische, reinste Fall: Etwas Vorgefundenes, das bislang nicht als Musik rezipiert wurde, wird zur Musik erklärt. Im Einzelfall stellt sich die Frage, was gefunden wurde, und mit welcher Methode es zum Kunstwerk gerahmt wird.

Peter Ablinger hat viele musikalische Readymades geschaffen, beispielsweise durch Anbringen von Stuhlreihen,

(Weiß/Weißlich 14, Sitzen und Hören)

durch Aufstellen eines Kopfhörers, auf dem man genau dasselbe hört wie ohne,

(Weiß/Weißlich 23, Kunstkopf / Kopfhörer)

durch Hinweise („Hinweisstücke“)

„vorhandene“ Versionen von WEISS / WEISSLICH 7:
ein Wasserfall
ein Springbrunnen
ein Ventilator
die Zentralheizung
der Regen
der Wind
Autobahnen
das Meer
etc.

oder Ortsbeschreibungen.

WEISS / WEISSLICH 10, Orte
10a: Kreuzgang mit Brunnenhaus, Lilienfeld, Niederösterreich
10b: Autobahntunnel, Plabutsch, Graz
10c: Klamm, Burgau am Attersee
10d: Weißdornhain, Grieben, Hiddensee

Oder eine Probensituation wird zum Konzert erklärt.

Die erste Aufführung am 26.10.2006 in Berlin im Ballhaus Naunynstrasse, hatte den Untertitel „KEIN KONZERT“ und war eine Art öffentlicher Probe wo die Spieler den Notentext erst on stage erhielten

(Kein Konzert)

Sein Schüler Alberto Bernal hat mit Notenlinien gewissermaßen einen Sockel für die ästhetische Betrachtung geschaffen, wobei hier moralisch heikle Aussichtspunkte gewählt werden.

(Impossible Music #12 + 15)

Auch ein Link, versehen mit einem Titel, kann ein Readymade erstellen, wie ich es getan habe:

Oder andere Beschreibungen: