Das Augenmusik-Festival ist vorbei, jetzt kommt ein Theoriefestival über den Neuen Konzeptualismus.
Einleitung
Das folgende ist überhaupt keine abschließende Bilanz, aber ein Überblick über Methoden des „Neuen Konzeptualismus“, wie er in den letzten Jahren in Erscheinung getreten ist.
Das Ganze ist meine Sicht der Dinge, ich mache das aus Lust auf Theoretisieren, Erkenntnissuche und Kunstkonsum. Regelmäßige Leser werden viele Beispiele schon kennen.
Andere können den Neuen Konzeptualismus gerne anders deuten und andere Beispiele anbringen.
Mein Konzept-Begriff ist ziemlich streng; nicht aus Gründen irgendeiner persönlichen Ausgrenzung, sondern um theoretische Klarheit zu behalten. In der Praxis gibt es natürlich auch viele Misch- und gemäßigtere Formen. Ich überblicke auch beileibe nicht den ganzen Fundus an bestehenden Stücken zu dem Thema.
Meine zentrale Definition von Konzeptualismus ist von Sol LeWitt übernommen: The idea is a machine that produces the work of art. Andersrum gesagt: Wenn es an dem Komponisten ist zu überlegen, ob nun der nächste Ton f oder doch besser fis sein soll, dann ist es kein Konzeptualismus, denn das Konzept („die Maschine“) müsste diese Entscheidung treffen. Der Konzeptualist setzt mit einer übergeordneten Idee / an anderen Aspekten von Musik an, die Details obliegen nicht seiner expressiven Gestaltung. Ein gestalterisches Prinzip wird seinem eigendynamischen Verlauf überlassen. Darum, und ich weiß dass das einige anders sehen, erachte ich bspw. Improvisation nicht für Konzeptualismus – jedenfalls nicht, wenn die Impro gut ist, denn bei Improvisation werden ja ständig Detailentscheidungen vom Spieler getroffen. Nur wenn die Detailentscheidungen sehr stark von einem Konzept geprägt sind, kann ich es konzedieren. Und darum ist auch die geschätzte Hälfte meiner Musik praktisch gar nicht konzeptuell – an dem Stück „Der ‚Weg der Verzweiflung’ (Hegel) ist der chromatische“ habe ich 1,5 Jahre gearbeitet und mir jede f/fis-Entscheidung zehnmal überlegt. Trotzdem nennen das Stück dann manche auch gleich konzeptuell… Kann ihnen nicht helfen, man hört es doch deutlich. Für mich gehört es zur Reihe der Stücke, denen ich das Label „Musik mit Musik“ gegeben habe, worunter ich Hypercollagen verstehe. Allerdings ist (bei mir) der Konzeptualismus aus diesem Appropriations-Ansatz heraus entstanden, da ein wesentliches Moment des Neuen Konzeptualismus ebenfalls die Arbeit mit Vorgefundenem ist.
Eine Art Definition von musikalischer Konzeptkunst habe ich mit meinen „Sätzen über musikalische Konzeptkunst“ versucht.
Es gibt auch einen Wikipedia-Artikel über Konzeptmusik, den nicht ich verfasst habe, der aber teilweise Formulierungen von mir verwendet.
Wenn auch die Idee das Primäre ist, gibt es bei Konzeptstücken alle Grade von ästhetischer Erscheinungsweise, vom unaufführbaren Stück (oder die Aufführung ist nicht nötig), das nur sprachlich oder bildlich mitgeteilt wird und dessen musikalisch-klangliche Dimension also imaginär ist, über multimediale Konstellationen, bei denen eine Zusatzinformation in einem nicht-musikalischen Medium (Text, Video, Performance) hinzugefügt wird, Musik im Netz, in die man nur kurz mal reinhört, bist hin zu Stücken, die mehr oder weniger aus dem Konzept heraus „normale“ Musikstücke werden. Manche Ideen lassen sich in vielen verschiedenen Realisierungen umsetzen, all jene verweisen damit auf den ideellen Kern, oder die sinnliche Ebene wird zugunsten der Vermittlung der dahinterliegenden Idee bewusst vernachlässigt, durch Unterlaufen ästhetischer Standards.
Alle Erscheinungsweisen gehören zum Neuen Konzeptualismus, sein Erkennungsmerkal ist die Medienvielfalt. Darum halte ich es, anders als Harry Lehmann, für plausibel, von einem „Ismus“ zu sprechen. Die Medienvielfalt bedeutet: Auffächerung oder auch Zersetzung des Werkbegriffs; eine der Innovationen des NK ist eine formale. Zum Neuen Konzeptualismus gehören Konzertstücke ebenso wie der Wortwitz auf Facebook. Das hat etwas von „Anti-Kunst“, jedenfalls geht es gegen einen Werkbegriff bzw. ein Kunstverständnis, das in der Neuen Musik eine starke Tradition ausgebildet hat, bisweilen zehrt der NK auch von jener Tradition ex negativo. Aber Negation war in der Kunst immer der Innovationsmotor, im Verhältnis zur opulenten Vokalpolyphonie am Ende der Renaissance nahm sich die frühbarocke homophone Sachlichkeit Heinrich Schützens ebenfalls wie Anti-Kunst aus – übrigens eminent politisch geprägt, dem Protestanten Schütz war die Wortverständlichkeit der nunmehr ins Deutsch übersetzten geistlichen Texte wichtig.
Der NK sieht eine außerakustische, aber immer noch künstlerische (ob das auch noch eine „ästhetische“ ist, halte ich für eine schwierige Frage) Realität von Musik. Ihre Einheit und Form ist die Idee, die sich in verschiedenen Medien „unters Volk“ bringen lässt.
Zentral für ein Konzeptstück ist die starke Idee. Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass diese generierende Idee eine gute, geistvolle, aussagekräftige, pointierte sein muss.
Anders als in skrupulös für den Konzertsaal komponierter Musik veröffentlicht der Konzeptualist aber auch mal eine kleine Idee, einen kurzen Witz. Der Konzeptualismus kann große Einzelwerke hervorbringen, er besteht aber auch aus vielen kleinen Gedankensplittern. Er ist Denkform und Lebenspraxis. Niemand soll sich beschweren, dass der Konzeptualismus nicht so funktioniert wie eine Partitur von Beat Furrer. Der Neue Konzeptualismus hat ganz andere Maßstäbe, wer von herkömmlichen Musik-Begriffen nicht wegkommt, der möge gar nicht erst mit Kritik anfangen. Hier geht es um den erweiterten Musikbegriff. Entweder hat man dafür einen Sinn oder nicht. Kritiken, die mit falschen Voraussetzungen daherkommen, nehme ich nicht ernst.
Eine Idee ist, nach dem Aphorismus Robert Musils, „das kleinste mögliche Ganze“. Der Neue Konzeptualismus erschließt Sinneinheiten in der Musik. Er ist Recherche, vergleichbar der Materialrecherche im 20. Jahrhundert. Man kann aus der Erfahrung des „Information Overload“, wie er durch die Digitale Revolution geschieht, zwei Konsequenzen ziehen – die riesige Menge gestalten oder im Gegenteil einen äußersten Minimalismus entgegenhalten. Der NK tut letzteres, wiewohl eine Idee die riesigen Mengen zum Thema haben kann.
Nach folgenden Gesichtspunkten habe ich eine große Anzahl von Stücken rubriziert:
1. Vorgefundenes
a) Readymade: etwas zur Musik erklären
b) Geometrische Sonifikation
c) Sonifikation in Tonhöhen ohne Geometrie
d) Sonifikation von / mit Dauern
e) Sonifikationszahlen müssen aus Vorlage erst gewonnen werden
f) Re-Sonifikation
g) Sonstige Sonifikation
h) Sonifikation und Filterung
i) Neuordnung
j) Ausschneiden und Zusammentragen
k) Parameter ändern
l) Anhäufung
m) Addition
n) Subtraktion
o) Noten gewinnen
p) Technische Neuinterpretation von Musik / Re-Enactment
q) Übertragung von Kunstwerken anderer Medien
2. Kontext-Differenz
a) Titel und Musik
b) Kontext: Herstellung, Autorschaft, Ökonomie
3. Synthetischer Konzeptualismus
4. Instrument Design
a) neue Instrumente
b) schwer zu spielende / unmögliche Instrumente
c) Instrumentenzerstörung
5. Imaginäre Musik
Diese Rubriken werden in der nächsten Zeit mit Beispielen vorgestellt.
Sehr schöner Überblick, danke :-)
Ergänzung zu Medienvielfalt und erweitertem Musikbegriff:
Nivellierung der Differenz zwischen Hören und Sehen, jeglicher Formen von Klängen und Bildern; Gleichwertigkeit, auch vom Material her, von Hören und Sehen
Fragen
wie verhält sich die Idee zur Realität, zu dem was sie fokussiert? Idee ist noch zu abstrakt. Ist sie immer subversiv, wie Patrick Frank meint? Oder stiftet sie allgemeiner eine Differenzen zur Realität bzw. zu dem, worauf sie – inhaltlich – abzielt?
Ich sehe gerade keine Möglichkeit, dieses Verhältnis der Idee allgemein zu beschreiben. Das kann Differenz, Kommentar, Provokation sein. Der Grad der Subversivität ist keine sehr handfeste Sache, das muss man dann an Einzelfällen besprechen.