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Gesicht ersetzen

Arturo Castro setzt sich digitale Masken auf. Funktioniert verblüffend, wenn die Originale dazu eingeblendet werden.

(via Dangerous Minds)

Die Musiker auf der „Titanic“

Auf Anweisung des Kapitäns, um Panik zu vermeiden, spielten sie praktisch bis zum Ertrinken.

(Den Hinweis verdanke ich Marko Ciciliani, nach einem Werk von Garvin Bryars.)

Stockhausen über geistiges Eigentum, 1960

Erstaunliche Aussagen von Karlheinz Stockhausen über „geistiges Eigentum“, in dem Vortrag „Vieldeutige Form“ von 1960:

Geistigen Diebstahl gibt es nur so lange wie man geistiges Eigentum gelten läßt. Wem gehören die Ideen? Sind meine Ideen meine Ideen? Nein, ja, nein, ja, nein.
[…]
Wenn ich keine Ideen hab, ist nichts zu machen. Ich muß warten, bis sie kommen. Wenn ich mich auf die faule Haut lege und gar nicht mit ihnen rechne, kommen sie und halten mich vom Schlaf ab. Gehören sie mir also, diese Tauben, die einem in den Mund fliegen?
Gibt es denn meine Musik? Deine Musik? Seine Musik? Eure Musik? Kann ich was für meine Einfälle? Welcher Verdienst macht mich zum geistigen Eigentümer?
Mich berührt es nicht – nicht mehr – wenn jemand mir etwas stiehlt; wenn einer musikalische Gedanken wiederholt oder neu anstreicht, so, wie man bei einem geklauten Auto die Farbe wechselt; und wenn ein anderer musikalische Formulierungen verwendet, die ich vorher gefunden habe. Kurz: Wenn jemand nachher tut, was ich vorher tue.
Sollte das Prinzip des Eigentums vom Vorher und Nachher bestimmt sein? Wer zuerst kommt, mahlt am besten? Dann interessiert es mich überhaupt nicht. Wenn ein Gedanke oder eine Sache etwas für mich sein soll, muß es mir sein, was es für mich ist, ganz unabhängig vom Früher oder Später, vom Vorher oder Nachher. Aber das gibt es ja nicht. Ich hab es ja gleich gesagt: geistiges Eigenrum interessiert mich nicht.

Abgesehen davon interessiert mich das Problem des geistigen Eigentunis natürlich sehr, seit es mich nicht mehr interessiert. Je mehr Ideen man nämlich verschenkt und unachtsam herumliegen läßt, je weniger man sich um sie kümmert, um so mehr bekommt man. Das unökonomischste Prinzip, das mir je durch den Kopf gegangen ist: Je mehr du vergibst, umso mehr du kriegst. Ich kenne eine ganze Reihe Komponisten, die Angst haben, ihre Ideen mitzuteilen, bevor sie sie fixiert oder gar gedruckt und mit ihrem Firmennamen versehen haben. Sie sagen mir: wenn ich die Einfälle mitteile, bevor ich sie fixiert habe, verliere ich die Lust und die Ausdauer, sie noch zu behalten und auszuarbeiten. Ich habe diese Angst mit Stumpf und Stiel aus mir herausgerissen. Was mir durch die Lappen geht, ist mir gleichgültig, und jeder kann von mir wissen, was mir einfällt – zu jeder Zeit.

Abgedruckt in: Karlheinz Stockhausen, Texte zur Musik Band 2, S. 257f.

Den Hinweis verdanke ich Michael Iber, der diesen Ausschnitt als O-Ton (vorgetragen von Heinz-Klaus Metzger) in einer HR2-Radiosendung über Stockhausen in Darmstadt bringt.

Living in a Box – Partitur online

Die Partitur von Living in a Box, meinem letztjährigen Stück für das Ensemble Modern, steht jetzt online:

http://www.archive.org/download/JohannesKreidler-LivingInABox-Partitur/kreidler__living_in_a_box_partitur.pdf

„Douze Notations“ von Pierre Boulez, Filmversion

Konzerte einfach nur mit Standkamera abzufilmen, wie man’s immer häufiger sieht, ist nicht gerade attraktiv.
Der Pianist Illya Filshtinskiy hat die „Douze Notations“ von Pierre Boulez als Filme aufgenommen. Ich denke, er kriegt das ganz gut hin: visuell schön, aber minimalistisch, ohne dass es zur Videokunst wird und von der Musik ablenkt. Es hilft natürlich noch, dass es sich um bekannte Klassiker der Moderne handelt.
Hier drei Beispiele, hier der Rest (#6 fehlt):

(via Lukas Hellermann)

Marina Abramovićs „The Artist is present“ als Computerspiel

So schnell geht das heute mit der digitalen Aktualisierung der historischen Avantgarde: Marina Abramovićs letztjährige, allerdings wirklich sensationelle MoMA-Performance The Artist is present hat Pippin Barr als Online-Computerspiel im Stil von Larry 1 (also auch noch retro-isiert) programmiert.

Man geht in’s MoMA (sofern es offen hat, das Spiel hält sich an die realen Öffnungszeiten), bezahlt Eintritt, geht an den alten Meistern vorbei und kann sich dann anstellen. Aber nicht drängeln! Herrlich dämlich und eine schöne Form des Walhallas.

Hier kann jeder selber hingehn und sich anstellen. Wohl am besten morgens kommen:
http://www.pippinbarr.com/games/theartistispresent/TheArtistIsPresent.html

Es kann wirklich fesseln.

(via Unhappy Readymade)

Früher auf Kulturtechno: Digitale Reenactments von Beuys, Abramovic, Export

Roman Opalkas Zahlenbilder

In meiner Sammlung von Kunst mit großen Quantitäten habe ich noch gar nicht den Altmeister gezeigt: Roman Opalka.

Wikipedia:

In 1965, in his studio in Warsaw, Roman Opałka began painting a process of counting – from one to infinity. Starting in the top left-hand corner of the canvas and finishing in the bottom right-hand corner, the tiny numbers were painted in horizontal rows. Each new canvas, which the artist called a ‚detail‘, took up counting where the last left off. Each ‚detail‘ is the same size (196 x 135 cm), the dimension of his studio door in Warsaw. All details have the same title, „1965 / 1 – ∞“; the concept had no end, and the artist pledged his life to its execution: ‚All my work is a single thing, the description from number one to infinity. A single thing, a single life.‘

Over the years there were changes to the ritual. In Opałka’s first details he painted white numbers onto a black background. In 1968 he changed to a grey background ‚because it’s not a symbolic colour, nor an emotional one‘, and in 1972 he decided he would gradually lighten this grey background by adding 1 per cent more white to the ground with each passing detail. He expected to be painting virtually in white on white by the time he reached 7 777 777: ‚My objective is to get up to the white on white and still be alive.‘ As of July 2004, he had reached 5.5 million. Adopting this rigorously serialized approach, Opałka aligned himself with many other artists of the time who explored making art through systems and mathematics, like Daniel Buren, On Kawara, and Hanne Darboven.

Als Opalka diesen August starb, war er in der 5. Million und die Bilder schon annähernd weiß. Für Ölgemälde Opalkas werden auf dem Kunstmarkt derzeit bis zu 1.200.000 US-Dollar bezahlt.

(via Triangulation)

An Weberns Grab

Heute vor 66 Jahren wurde der große Komponist Anton Webern versehentlich erschossen.

Wikipedia:

Am 15. September 1945 wurde Anton Webern in Mittersill bei Zell am See, wohin er aus Angst vor der Roten Armee geflüchtet war, unbeabsichtigt von einem US-amerikanischen Soldaten erschossen. Der Soldat sollte an einer Razzia im Haus Weberns teilnehmen, da dessen Schwiegersohn des Schwarzmarkthandels verdächtigt wurde. Als Webern vor die Tür trat, um eine Zigarette zu rauchen, stieß er mit einem der Soldaten, die das Haus umstellt hatten, zusammen und es löste sich der tödliche Schuss.

Am Wochenende war ich jenem Alpen-Örtchen Mittersill, wo seit 16 Jahren immer im September das Komponistenforum Mittersill stattfindet, und wozu ich heuer, wie der Österreicher sagt, eingeladen war (Kulturtechno berichtete, Fotos).

Das ist das Haus, vor dem sich der Vorfall ereignete. Links an der Wand hängt eine von der IGNM gestiftete Tafel. Die Straße heißt heute Anton-Webern-Gasse.

Rauchen ist tödlich: das Grab auf dem Friedhof der Pfarrkirche Mittersill.

Mein Lieblingsstück von Webern ist das Konzert Op.24. Neue Sachlichkeit at its best.

Frei nach Kafka:
An Weberns Grab gestanden. Geweint.

Das Mischpult als No-Input-Instrument

Ein Mischpult ist dafür da, klanglichen Input zu mischen. Aber man kann es auch ohne Input als Instrument verwenden, wie Marco Ciciliani mit seinen „No-Input-Mixer“-Performances zeigt.

Die Klänge werden durch Rückkopplungen erzeugt. Außer dass durch das virtuose Spielen die Oberfläche schneller verschleißt, nimmt das Mischpult hierbei keinen Schaden.

Ich finde daran interessant, dass ein Gerät, das explizit fürs Mixen gemacht ist, abgekoppelt wird und stattdessen sich selbst mixt. Gewissermaßen die Umkehrung der Remix-Kultur.

Stille als Musik, 1897

Ich hatte hier schon einen Vorläufer von John Cages berühmtem Stille-Stück 4’33“: Erwin Schulhoffs In Futurum von 1919.

Marco Ciciliani hat mich nun darauf aufmerksam gemacht, dass bereits 1897 der französische Schriftsteller Alphonse Allais einen „Marche funèbre“ skizziert hat, der nur aus Stille besteht.

Hier eine YouTube-Aufnahme des Stücks.

In dem Zusammenhang finde ich noch eine Bemerkung in Walter Kempowskis Tagebuch zum 11. September 2001 interessant:

In Bremen wurde die Schweigeminute mittels eines elektrischen Klaviers illuminiert.

Auch da wurde die Stille musikalisiert, um nicht zu sagen: Cage / Schulhoff / Allais unfreiwillig aufgeführt.

Ich will dennoch meinen, dass Cage die Ehre gebührt, die Stille in die Musik eingeführt zu haben, da er es auch philosophisch unterfütterte und ostentativ durchsetzte; er hat auch den richtigen Zeitpunkt dafür gefunden. Außerdem sind 4’33“ = 273 Sekunden; der absolute Temperaturnullpunkt liegt bei -273° Celsius. Das hat Dieter Schnebel festgestellt.