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Der will nicht nur spielen

In der neuen Ausgabe des Magazins „Spektrum“ der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, das sich dem Thema „Homo Ludens“ widmet, ist auch ein Text von mir abgedruckt.

 

Johannes Kreidler

Der will nicht nur spielen

 

Wesen des Spiels ist, dass es einen Rahmen hat, und was auch immer darin passiert, es kann zu keinen negativen Konsequenzen außerhalb des Rahmens führen. Nachher wird das Spielbrett verstaut. Im Spiel stirbt man Tausende Tode und lebt doch weiter, es lassen sich Tausende an Spielgeld gewinnen, die wohl oder übel auch nicht heraustransferierbar sind. Selbst wer die Spielregeln bricht, steigt lediglich aus dem Spiel aus – schlimmstenfalls ist er der Spielverderber. (Spiele um Geld gelten laut Lexikon nicht als Spiele.)

Darum sind Spiele pädagogisch und zum Vergnügen unverzichtbar. Zum Kennenlernen, zum Ausprobieren, zum Austoben, zum Gewinn von Erfahrung, von Wissen, von Geschicklichkeit, brauchbar dann fürs wirkliche Leben: Jedes Computerspiel ist Trainingslager für den wirklichen Kampf gegen die Killeralgorithmen von Google und Amazon. Und die Fußballweltmeisterschaft ist submlimierter, spaßgewordner Weltkrieg.

Ich sehe nicht, dass es sich bei der Musik um eine Form von Spiel handelt. Sie hat ihre Spielphase oder Spielmomente – wenn am Instrument geübt wird, wenn der Komponist im Studio experimentiert –, aber die Aus- und Aufführung ist kein Spiel, auch wenn sie hoffentlich Vergnügen bereitet. Was der Hörer erlebt, ist kein Modell, kein Abreagieren und kein Hirnjogging, sondern ist – ebenso wie ein Gedicht lesen oder ein Gemälde betrachten – der ästhetische Ernstfall, in einem existenziellen Medium, mit unabsehbaren Konsequenzen für das weitere Wahrnehmen, Denken und Handeln. In der Musik muss etwas auf dem Spiel stehen.

 

Das Magazin steht vollständig online.

 

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Aphorismen des Tages:

 

Individualitätsstiftende Zweifel

Deduktion
Schlacht
Peters Scheide

Staatsminister durch Songs suggeriert

Filmversion verdoppeln

Kapitalismus *)

TYPOLOGIE Verführung

Welt)

5 Kommentare

  1. Guter Aufsatz, speziell der letzte Absatz spricht mir doch aus der Seele. Eine Anmerkung möchte ich machen:

    In sogenannten Online-Videospielen, meistens der Gattung MMORPG, ist Geld heraustransferierbar. Und zwar in so großen Massen, dass es mittlerweile eine regelrechte Industrie gibt, die davon lebt, sich virtuelles Geld und virtuelle Gegenstände mit echtem Geld abkaufen zu lassen. Man braucht nur z.B. „world of warcraft gold“ in eine Suchmaschine einzugeben, um einen Eindruck zu gewinnen. Dabei handelt es sich um Firmen, deren schlecht bezhalte Angestelle diverse Online-Spiele „spielen“ und in diesen Spielgeld und virtuelle Gegenstände „erspielen“, um diese dann gegen echtes Geld zu verkaufen. Häufig wird diese Arbeit auch von Bots erledigt, die die Spielfiguren steuern und die repetitiven Aufgaben zum „Geld scheffeln“ erledigen.

    Mittlerweile bieten auch immer mehr Computerspielehersteller selbst virtuelles Geld oder Gegenstände zum Kauf an und meistens (!) basiert darauf heutzutage das Geschäftsmodell. Längst gibt es nicht nur sogenannte B2P (Buy to Play, einmal zahlen) oder P2P (Pay to play, monatliche Gebühr) sondern F2P (Free to play, Software ist umsonst aber man kann bzw. muss unter bestimmten Umständen virtuelle Gegenstände kaufen) Spiele. Nach einigen Jahren der Skepsis und Vorbehalte ist das Geschäftsmodell F2P völlig mainstreamkompatibel.

    Mit dem virtuellen Geld oder Gegenständen können die Spieler ihre Spielfiguren ausrüsten. Also z.B. ein neues Schwert mit dem man dann schneller Gegner töten kann. Bei dieser Art von Computerspielen ist längst nicht mehr klar, wer Spieler ist oder ob diese Games überhaupt so pauschal als Spiel definiert werden können. Denn nicht nur virtuelles und echtes Geld wechseln den virtuellen und realen Raum übergangslos, sondern auch virtuelle und reale Gewalt: Mir ist mindestens ein Fall bekannt, in dem sogar ein Spieler getötet wurde, wegen Vorkomnissen im Spiel. Im MMO Eve Online soll es reiche Menschen geben, die Spieler anstellen (d.h. soviel Geld im Monat zahlen, dass man davon leben kann), um erfolgreiche Organisationen von Spielern zu leiten, die in der virtuellen Welt (aber durchaus auch ausserhalb) zu Ruhm und Macht kommen. In Computerspielen wird also auch (in dem Fall leider) längst nicht mehr nur gespielt bzw. man muss eine neue Definition finden, um was es sich bei solcher Computersoftware wie MMORPGS handelt.

    Den Part mit Computerspielen als Trainingslager gegen Killeralgorithmen von Google und Amazon verstehe ich leider nicht. Wie meinst Du das ? Der Mainstreamgamer ist völlig vom Kapitalismus absorbiert und unkritisch gegenüber Google und Co, ich sehe nicht wie er in (Computer)spielen trainiert.

  2. Kreidler sagt:

    Auch in Las Vegas „spielt“ man, und natürlich um Geld. Ich hatte bei Wikipedia gelesen, dass Spiele um Geld streng genommen nicht als „Spiele“ gelten, aber in der momentanen Artikel-Version steht das nicht mehr.

    Ich würde schon meinen, dass man mit genügend Erfahrung mit Algorithmen bei EgoShootern auch erkennen könnte, dass Google & Amazon bestimme algorithmische Muster am Laufen hat. Ob das dann ein „kritisches“ Training ist, das mag noch dahingestellt sein.

  3. knopfspiel sagt:

    Ich habe mit dem Text so meine Probleme.

    1) Ästhetischer Ernstfall kann in Musik der Fall sein, muss aber nicht; das gleiche gilt für Spiele.
    Ein Profi-Musiker bei einer Aufführung in einer Konzertsituation ist in einer für ihn ernsten Lage – vergleichbar mit einem Profi-Schachspieler in einem Turnier. Hausmusik hingegen ist tatsächlich außerhalb ihres Rahmens folgenlos.

    2) Ästhetische Erfahrungen sind auch in Spielen möglich.
    Was zugegebenermaßen nur selten realisiert bzw. überhaupt bemerkt wird. Hingegen der Musik pauschal zu unterstellen, es gehe ihr immer um ästhetische Fragen, finde ich angesichts der Masse an Popularmusik und den vielen unterschiedlichen Geisteshaltungen, mit denen Musik gehört wird, eigentlich absurd.
    Dass Musik für mich oft etwas sehr ernstes ist, kann ich eben auch nicht verallgemeinern.
    Mir scheint außerdem, dass du den Ernst, mit dem manche Leute Brettspiele oder Computerspiele spielen, unterschätzt. Es gibt natürlich Spiele, die keinerlei Platz für ästhetische Entscheidungen lassen, aber eben auch solche, die dafür viel Freiraum geben.

    Dass einem durch das Spielen Algorithmen von Google klarer werden sollen… naja, das scheint mir ziemlich abwegig, es sei denn, man spielt Börsenspiele oder irgendetwas, was direkt mit Suchalgorithmen zu tun hat. Dazu fällt mir aber ehrlich gesagt gerade kein Beispiel ein.

    liebe Grüße

  4. Kreidler sagt:

    Ich verstehe die Bedenken; zu meinem Text gehört dazu, dass ich aus einer speziellen Warte schreibe, von Seiten der professionellen Musikausübung im Bereich der ernsten Musik. (Der Text steht ja im Magazin der Musikhochschule Stuttgart, also einer Schule für professionelle Musikausübung.)

    Dass Computerspiele immer mehr in Richtung Kunst gehen können, ist eine spannende Sache und verdient gewiss allmählich auch Würdigung; das habe ich hier (noch) ausgeklammert.

    Auch die Sache mit den Algorithmen ist wohl aus einer recht professionellen Warte aus geschrieben. Aber wenn ich einen Ego-Shooter sehe und beobachte, wie der Algorithmus versucht, einen aufregenden Gegner zu erzeugen (nicht zu voraussehbar, aber auch nicht zu willkürlich), dann sehe ich auch gleich die Parallel zu Kaufempfehlungen auf Amazon zB.

  5. „Dass Computerspiele immer mehr in Richtung Kunst gehen können“

    Da ist soviel Potenzial, dass es einfach eine Schande ist, dass so wenig passiert. Am ehesten findet man noch was in der Indie Szene.