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Neuer Konzeptualismus – Methoden 1h) Sonifikation und Filterung

1h) Sonifikation und Filterung

Ein Readymade wird nicht als Ganzes umgesetzt, sondern bei der Umsetzung charakteristisch gefiltert.

 

Anton Wassiljew filtert akustisch die zentralen Wörter „Arbeit“ und „Kapital“ aus Marx’ Hauptwerk.

 

 

Ähnlich hat er den Text der russischen Nationalhymne danach untersucht, in welchem Mengenverhältnis die Nennung des Präsidenten und des Volkes stehen:

 

 

Die Dialektik von Subjekt und Objekt habe ich aus Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ herauspräpariert. Man achte auf die Dramatik ab Minute 3.

 

 

Oder die Begriffe „Sein“ und „Zeit“ aus Heideggers „Sein und Zeit“:

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1g) sonstige Sonifikation

1g) sonstige Sonifikation

 

In „Zahlensymbolik heute“ wird eine Zahl, die in einer aktuellen Zeitungsmeldung genannt wird, in die Menge von Tönen übersetzt.

 

„Wir wollen jetzt aber wieder Geld direkt hörbar machen, und zwar ganz einfach: pro Euro einen Ton. Wir nehmen einfach einen Akkord Klavierakkord und dessen Töne werden gespielt, und jeder Ton steht für einen Euro. Zum Beispiel der Eintrittspreis für heute abend, Parkett, Erwachsene, 15 Euro, also 15 Töne. [Kurze Musik]
Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Inders, 24 Euro. [Kurze Musik]
Das Monatsgehalt von Josef Ackermann 2009: 1,1 Millionen Euro! [Endlose Musik]“

 


(Aus „Feeds. Hören TV“ – Musiktheater im Revier Gelsenkirchen 2010)

 

 

Und dann gibt es noch die Anti-Sonifikation:

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1f) Re-Sonifikation

f) Re-Sonifikation

Daten von akustischen Messungen werden wiederum sonifiziert. Also Ent-sonifizierung und Re-sonifizierung.

 

In den berühmten „Voices and Piano“ überträgt Peter Ablinger die Sprechmelodie von gegebenen Sprachaufnahmen in Klaviermelodien, die Wahrnehmung ist dem Zwiespalt ausgesetzt, ob sie der Semantik des Textes oder der musikartigen Wirkung des Klaviers folgen soll. Zudem wird gerade die Art Übertragung (Digitalisierung!) Thema, da wir sowohl Original als auch die Übertragung hören.

 

 

Oder auch in der Version für Playerpiano, ohne Original, dafür mit Untertitel – ein technisches Wunderwerk.

 

 

Alberto Bernal hat eine alte zerkratze Schallplatte mit einem Chopin-Nocturne wiederum als Klaviertöne lesen lassen, die Kratzer werden ebenso zu Tönen wie die Chopin-Töne – und die Ironie der Geschichte ist, dass es gar nicht wirklich eine alte Schallplatte ist, sondern eine gute Aufnahme, die er durch einen Schallplattenemulator geschickt hat.

http://www.albertobernal.net/Werke/Musik/bernal_musik%2010.mp3

http://www.albertobernal.net/Werke/Musik/Musik_en.html

 

Ähnlich hat Peter Ablinger eine leere Schallplatte re-sonifiziert, also allein die Plattengeräusche.

 

http://ablinger.mur.at/i+r_pno+rec.html

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1e) Sonifikationszahlen müssen erst aus Vorlage gewonnen werden

1e) Sonifikationszahlen müssen erst aus Vorlage gewonnen werden

Mit einer Idee wird aus einer Vorlage, die zunächst keine direkt umsetzbaren Zahlen enthält, ein Datensatz gewonnen, der sich dann sonifizieren lässt. De facto geht es um möglichst antitraditionalistische Textvertonungen…

 

Anton Wassiljew nimmt ein Kapitel aus „Mein Kampf“ und liest die Buchstaben als Ascii-Werte, die wiederum als MIDI-Werte für Töne interpretiert werden.

 

 

Ich habe ein Zufallsverfahren für sämtliche Gedichte Paul Celans angewandt:

 

 

Oder Georg Trakls Gesamtwerk als Binärcode übertragen auf die Schreibweise von Geigenfingersätzen:

 

 
In „Mention of Rhythm in the Introduction, perhaps“ wird dann auch – ein Kennzeichen und vielleicht auch eine Innovation des Neuen Konzeptualismus – der Diskurs über Musik selbst Material.

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1d) Sonifikation von/mit Dauern

d) Sonifikation von / mit Dauern

Eine gegebene Dauer wird aufgegriffen und zur musikalischen Dauer, oder gegebene Daten werden zu musikalischen Dauern.

 

 

Jarrod Fawler nimmt die Kapitelnummerierungen von Wittgensteins berühmtem „Tractatus“ und lässt ein Klickgeräusch in Dauernproportionen gemäß der Nummerierung erklingen. Den Anspruch Wittgensteins, ein vollständig logisches System der Philosophie darzustellen, kommentiert er mit einer maximal trockenen „Musik“, die genau diese Logik in einer Extremform ästhetisiert, also wahrnehmbar macht (Ausschnitt bei 43’33“).

 

 

In „Shed“ habe ich die Dauernprogression von 100-Meterlauf-Weltrekorden auf Musik angewandt.

 

 

Die berühmte Dauer von 4’33“ habe ich mehrmals umgesetzt:

 

Duration of Silence
Simon & Garfunkel, “Sound of Silence”, stretched to 4’33” duration.

Depeche Mode, “Enjoy the Silence” (2004 version), stretched to 4’33” duration.

 

 

 

„1452 hat Guillaume Dufay zur Einweihung des Florentiner Doms die Motette „Nuper Rosarum Flores“ komponiert, bei der er die genauen architektonischen Maße des Doms in musikalische Proportionen umgesetzt hat. Also, zum Beispiel entspricht die Anzahl der Noten des ersten Teils genau der Länge des Längsschiffs in Fuß, usw.

Was Sie hier nun sehen, ist der Grundriss des Dortmunder Bordells „Ladylike“. Es gibt den zeigt mit Stab Eingangsbereich, in dem der Service gebucht und auch gleich bezahlt wird, hier die Garderobe, dann den Empfangsraum mit den Mädchen, mit denen sich der Mann an der Bar vergnügt, bevor er sich mit ihnen in eine der Lounges oder in den Whirlpool oder auf die gemeinsame Spielwiese begibt.

Die Architektur ist exakt auf die sexuellen Bedürfnissen des durchschnittlichen männlichen Dortmunders zugeschnitten. Wir werden diese Proportionen nun für den Tristan-Remix der Ouvertüre verwenden.“

[Aus „Feeds. Hören TV“. Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, 2010]

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1c) Sonifikation in Tonhöhen (ohne Geometrie)

c) Sonifikation in Tonhöhen (ohne Geometrie)

Ein gegebener Datensatz wird in Tonhöhen transferiert.

 

Tom Johnson, Narayana’s Cows: Johnson macht aus dem Familienstammbaum einer Kuhherde eine Melodie, die nach und nach entfaltet wird, wobei sich im Zuge dieser Evolution ein mathematisches Problem ergibt, das Johnson nun quasi-musikalisch löst – oder auch nicht? Das Stück ist in der Instrumentation offen, man findet mehrere Versionen auf YouTube. Ich habe bei der Gaudeamus Music Week 2010 eine Version für Moderator und großes Ensemble gehört, das war eine regelrechte Show – viel Akklamation.

 

 

In meiner Performance „Rich harmonies“ habe ich die 6-aus-49 – Lottoziehungen seit Einführung der Lotterie auf den 49 Tasten eines Vieroktavharmoniums gespielt. Zufallsmusik nach der gehaltsästhetischen Wende.

 

 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1b) geometrische Sonifikation

Sonifikation

Existierende Daten werden nach einer bestimmten Idee in Klänge umgesetzt. Die Umsetzung erzeugt einen Kommentar zu der Datenvorlage, von der Übertreibung bis zum Kontrapunkt. Die Sonifikation ist eine technische Umsetzung von Daten, anders als eine expressive Ausdeutung von etwas. Es lassen sich mehre Sonifikationsmethoden unterscheiden.

 

1 b) geometrische Sonifikation

Ein direktes Verfahren, bei dem grafische Vorlagen als Koordinatensystem betrachtet werden, dem die übliche Verteilung von Tonhöhe und Zeit auf y- und x-Achse entspricht. Xenakis hat darauf hingewiesen, dass die Notenschrift ein kartesianisches Koordinatensystem bildet – aber bereits vor Descartes entwickelt wurde.

In meiner „Charts Music“ habe ich Aktienkurse zum Höhepunkt der Finanzkrise 2009 als Melodien in eine Kinderkompositionssoftware eingespeist, wodurch ein Widerspruch entsteht zwischen Desasterdaten und Happysound. Das Konzept wird in vielen Varianten durchgeführt, aus diesen Varianten habe ich dann eine Form komponiert – ein Verfahren, das ich oft anwende, „zusammengesetzter Konzeptualismus“.

 

 

In meinen „Scanner Studies“ werden Buchstaben und andere Zeichen streng geometrisch gelesen, im Widerspruch zur normalen semantischen Erfassung beim Lesen. Wiederum ein zusammengesetztes Stück.

 

 

 

 

Ähnlich (aber unabhängig von mir) hat Alberto Bernal Komponistenportraits oder Protestschilder von Demonstrationen in Spanien sonifiziert („NO-Studies„):

 

 

 

 

In meinen „Kinect Studies“ sind beispielsweise Alltagshandlungen zur Klangsteuerung umfunktioniert (bei 3’16“):

 

 

bei 3’10“:

 

Oder auch eine Erhängung, in dem Fall ist die x-Achse die Tonhöhenachse, wie auf der Klaviatur (2’50“):

 

In „Eine Art Verlust“ wird das Scannen von der Notationserkennungssoftware „Cappella Scan“ bewerkstelligt, Vorlage waren sämtliche Gedichte von Ingeborg Bachmann, mit Notenlinien versehen:

 


(Bei Stücken wie diesem ist natürlich völlig klar, dass das kein Mensch sich ganz anhört – ich habe es jedenfalls ist. Ist ja auch nur ein YouTube-Video, ich nenne so was eine „YouTube Installation“.)

 

Jens Brand hat gleich die ganze Erde als Satellitendaten genommen und die Berge und Täler als Schallrillen eines virtuellen Riesenplattenspielers sonifiziert:

http://www.g-turns.com/

 

In meinen „Irmat Studies“ (wieder eine zusammengesetzte Form) sind es Menschen auf der Straße (1’54“), die Linien eine Fingerkuppe (6’21“), ein Zahlenblock (13’53“) oder menschliche Gesichter (22’17“), die partiell sonifiziert werden:

 

 

Frank Hilbergs Polemik gegen „Konzept-Wahn“

Die neue Ausgabe der MusikTexte beginnt mit einem Editorial von Frank Hilberg, in dem er sich über den „Konzept-Wahn“ auslässt. Der Text ist dermaßen eine Jauchegrube an primitiver Polemik, dass ich ganz bestimmt keinen Satz daraus hier in meinem schönen Blog zitieren werde. Er steht online:

http://musiktexte.de/.media/Kommentar_140.pdf

Ich habe eine Erwiderung an Hilberg verfasst, die in der nächsten Ausgabe der Musiktexte erscheinen wird. Stefan Hetzel hat schon mal in seinem Blog kommentiert.

Neuer Konzeptualismus – Methoden 1a) Readymades

1. Vorgefundenes

Der Hauptansatz des Neuen Konzeptualismus ist fraglos die Verarbeitung von Vorgefundenem. Das Vorhandensein der gigantischen Datenmengen im totalen Archiv des Internets lädt dazu ein, diese Daten zu aufzugreifen, zu editieren – auch künstlerisch. Und Algorithmen können just die Maschinen sein, von denen LeWitt sprach. Der Gebrauch von Bestehendem und Ansätze einer künstlerischen Entfaltung der immanenten Gehalte von Vorlagen resultiert zudem aus dem Wunsch, die Musik stärker an die Lebenswelt anzuschließen.

a) Readymade: etwas zur Musik erklären

Der klassische, reinste Fall: Etwas Vorgefundenes, das bislang nicht als Musik rezipiert wurde, wird zur Musik erklärt. Im Einzelfall stellt sich die Frage, was gefunden wurde, und mit welcher Methode es zum Kunstwerk gerahmt wird.

Peter Ablinger hat viele musikalische Readymades geschaffen, beispielsweise durch Anbringen von Stuhlreihen,

(Weiß/Weißlich 14, Sitzen und Hören)

durch Aufstellen eines Kopfhörers, auf dem man genau dasselbe hört wie ohne,

(Weiß/Weißlich 23, Kunstkopf / Kopfhörer)

durch Hinweise („Hinweisstücke“)

„vorhandene“ Versionen von WEISS / WEISSLICH 7:
ein Wasserfall
ein Springbrunnen
ein Ventilator
die Zentralheizung
der Regen
der Wind
Autobahnen
das Meer
etc.

oder Ortsbeschreibungen.

WEISS / WEISSLICH 10, Orte
10a: Kreuzgang mit Brunnenhaus, Lilienfeld, Niederösterreich
10b: Autobahntunnel, Plabutsch, Graz
10c: Klamm, Burgau am Attersee
10d: Weißdornhain, Grieben, Hiddensee

Oder eine Probensituation wird zum Konzert erklärt.

Die erste Aufführung am 26.10.2006 in Berlin im Ballhaus Naunynstrasse, hatte den Untertitel „KEIN KONZERT“ und war eine Art öffentlicher Probe wo die Spieler den Notentext erst on stage erhielten

(Kein Konzert)

Sein Schüler Alberto Bernal hat mit Notenlinien gewissermaßen einen Sockel für die ästhetische Betrachtung geschaffen, wobei hier moralisch heikle Aussichtspunkte gewählt werden.

(Impossible Music #12 + 15)

Auch ein Link, versehen mit einem Titel, kann ein Readymade erstellen, wie ich es getan habe:

Oder andere Beschreibungen:

Neuer Konzeptualismus – Methoden

Das Augenmusik-Festival ist vorbei, jetzt kommt ein Theoriefestival über den Neuen Konzeptualismus.

Einleitung

Das folgende ist überhaupt keine abschließende Bilanz, aber ein Überblick über Methoden des „Neuen Konzeptualismus“, wie er in den letzten Jahren in Erscheinung getreten ist.
Das Ganze ist meine Sicht der Dinge, ich mache das aus Lust auf Theoretisieren, Erkenntnissuche und Kunstkonsum. Regelmäßige Leser werden viele Beispiele schon kennen.
Andere können den Neuen Konzeptualismus gerne anders deuten und andere Beispiele anbringen.

Mein Konzept-Begriff ist ziemlich streng; nicht aus Gründen irgendeiner persönlichen Ausgrenzung, sondern um theoretische Klarheit zu behalten. In der Praxis gibt es natürlich auch viele Misch- und gemäßigtere Formen. Ich überblicke auch beileibe nicht den ganzen Fundus an bestehenden Stücken zu dem Thema.

Meine zentrale Definition von Konzeptualismus ist von Sol LeWitt übernommen: The idea is a machine that produces the work of art. Andersrum gesagt: Wenn es an dem Komponisten ist zu überlegen, ob nun der nächste Ton f oder doch besser fis sein soll, dann ist es kein Konzeptualismus, denn das Konzept („die Maschine“) müsste diese Entscheidung treffen. Der Konzeptualist setzt mit einer übergeordneten Idee / an anderen Aspekten von Musik an, die Details obliegen nicht seiner expressiven Gestaltung. Ein gestalterisches Prinzip wird seinem eigendynamischen Verlauf überlassen. Darum, und ich weiß dass das einige anders sehen, erachte ich bspw. Improvisation nicht für Konzeptualismus – jedenfalls nicht, wenn die Impro gut ist, denn bei Improvisation werden ja ständig Detailentscheidungen vom Spieler getroffen. Nur wenn die Detailentscheidungen sehr stark von einem Konzept geprägt sind, kann ich es konzedieren. Und darum ist auch die geschätzte Hälfte meiner Musik praktisch gar nicht konzeptuell – an dem Stück „Der ‚Weg der Verzweiflung’ (Hegel) ist der chromatische“ habe ich 1,5 Jahre gearbeitet und mir jede f/fis-Entscheidung zehnmal überlegt. Trotzdem nennen das Stück dann manche auch gleich konzeptuell… Kann ihnen nicht helfen, man hört es doch deutlich. Für mich gehört es zur Reihe der Stücke, denen ich das Label „Musik mit Musik“ gegeben habe, worunter ich Hypercollagen verstehe. Allerdings ist (bei mir) der Konzeptualismus aus diesem Appropriations-Ansatz heraus entstanden, da ein wesentliches Moment des Neuen Konzeptualismus ebenfalls die Arbeit mit Vorgefundenem ist.

Eine Art Definition von musikalischer Konzeptkunst habe ich mit meinen „Sätzen über musikalische Konzeptkunst“ versucht.
Es gibt auch einen Wikipedia-Artikel über Konzeptmusik, den nicht ich verfasst habe, der aber teilweise Formulierungen von mir verwendet.

Wenn auch die Idee das Primäre ist, gibt es bei Konzeptstücken alle Grade von ästhetischer Erscheinungsweise, vom unaufführbaren Stück (oder die Aufführung ist nicht nötig), das nur sprachlich oder bildlich mitgeteilt wird und dessen musikalisch-klangliche Dimension also imaginär ist, über multimediale Konstellationen, bei denen eine Zusatzinformation in einem nicht-musikalischen Medium (Text, Video, Performance) hinzugefügt wird, Musik im Netz, in die man nur kurz mal reinhört, bist hin zu Stücken, die mehr oder weniger aus dem Konzept heraus „normale“ Musikstücke werden. Manche Ideen lassen sich in vielen verschiedenen Realisierungen umsetzen, all jene verweisen damit auf den ideellen Kern, oder die sinnliche Ebene wird zugunsten der Vermittlung der dahinterliegenden Idee bewusst vernachlässigt, durch Unterlaufen ästhetischer Standards.

Alle Erscheinungsweisen gehören zum Neuen Konzeptualismus, sein Erkennungsmerkal ist die Medienvielfalt. Darum halte ich es, anders als Harry Lehmann, für plausibel, von einem „Ismus“ zu sprechen. Die Medienvielfalt bedeutet: Auffächerung oder auch Zersetzung des Werkbegriffs; eine der Innovationen des NK ist eine formale. Zum Neuen Konzeptualismus gehören Konzertstücke ebenso wie der Wortwitz auf Facebook. Das hat etwas von „Anti-Kunst“, jedenfalls geht es gegen einen Werkbegriff bzw. ein Kunstverständnis, das in der Neuen Musik eine starke Tradition ausgebildet hat, bisweilen zehrt der NK auch von jener Tradition ex negativo. Aber Negation war in der Kunst immer der Innovationsmotor, im Verhältnis zur opulenten Vokalpolyphonie am Ende der Renaissance nahm sich die frühbarocke homophone Sachlichkeit Heinrich Schützens ebenfalls wie Anti-Kunst aus – übrigens eminent politisch geprägt, dem Protestanten Schütz war die Wortverständlichkeit der nunmehr ins Deutsch übersetzten geistlichen Texte wichtig.

Der NK sieht eine außerakustische, aber immer noch künstlerische (ob das auch noch eine „ästhetische“ ist, halte ich für eine schwierige Frage) Realität von Musik. Ihre Einheit und Form ist die Idee, die sich in verschiedenen Medien „unters Volk“ bringen lässt.

Zentral für ein Konzeptstück ist die starke Idee. Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass diese generierende Idee eine gute, geistvolle, aussagekräftige, pointierte sein muss.
Anders als in skrupulös für den Konzertsaal komponierter Musik veröffentlicht der Konzeptualist aber auch mal eine kleine Idee, einen kurzen Witz. Der Konzeptualismus kann große Einzelwerke hervorbringen, er besteht aber auch aus vielen kleinen Gedankensplittern. Er ist Denkform und Lebenspraxis. Niemand soll sich beschweren, dass der Konzeptualismus nicht so funktioniert wie eine Partitur von Beat Furrer. Der Neue Konzeptualismus hat ganz andere Maßstäbe, wer von herkömmlichen Musik-Begriffen nicht wegkommt, der möge gar nicht erst mit Kritik anfangen. Hier geht es um den erweiterten Musikbegriff. Entweder hat man dafür einen Sinn oder nicht. Kritiken, die mit falschen Voraussetzungen daherkommen, nehme ich nicht ernst.

Eine Idee ist, nach dem Aphorismus Robert Musils, „das kleinste mögliche Ganze“. Der Neue Konzeptualismus erschließt Sinneinheiten in der Musik. Er ist Recherche, vergleichbar der Materialrecherche im 20. Jahrhundert. Man kann aus der Erfahrung des „Information Overload“, wie er durch die Digitale Revolution geschieht, zwei Konsequenzen ziehen – die riesige Menge gestalten oder im Gegenteil einen äußersten Minimalismus entgegenhalten. Der NK tut letzteres, wiewohl eine Idee die riesigen Mengen zum Thema haben kann.

Nach folgenden Gesichtspunkten habe ich eine große Anzahl von Stücken rubriziert:

1. Vorgefundenes

a) Readymade: etwas zur Musik erklären
b) Geometrische Sonifikation
c) Sonifikation in Tonhöhen ohne Geometrie
d) Sonifikation von / mit Dauern
e) Sonifikationszahlen müssen aus Vorlage erst gewonnen werden
f) Re-Sonifikation
g) Sonstige Sonifikation
h) Sonifikation und Filterung
i) Neuordnung
j) Ausschneiden und Zusammentragen
k) Parameter ändern
l) Anhäufung
m) Addition
n) Subtraktion
o) Noten gewinnen
p) Technische Neuinterpretation von Musik / Re-Enactment
q) Übertragung von Kunstwerken anderer Medien

2. Kontext-Differenz

a) Titel und Musik
b) Kontext: Herstellung, Autorschaft, Ökonomie

3. Synthetischer Konzeptualismus

4. Instrument Design

a) neue Instrumente
b) schwer zu spielende / unmögliche Instrumente
c) Instrumentenzerstörung

5. Imaginäre Musik

Diese Rubriken werden in der nächsten Zeit mit Beispielen vorgestellt.