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Immateral

Schönberg = Kandinsky
Satie & Strawinsky = Picasso
Webern = Mondrian
Bartok = Kirchner
Berg = Marc
Hindemith = Dix
Varèse = Boccioni

Aber kein Duchamp, kein Malewitsch zeitgleich in der Musik.
Auch der Surrealismus fehlt.

Frei nach Kafka: Einkaufen gegangen. Geweint.

Trash-TV als Readymade-Kunstwerk. Marcel Dschungelcamp.

Immaterial

Der Sound der Popmusik, der, anders als die meist live, also reproduktiv hervorgebrachte Neue Musik, akribisch im Studio, also auf der Bühne ausgetüftelt ist, und nahezu jahrgangsweise, also nie wechselt, zeigt, wie sehr der Parameter Klangfarbe ein Identifikationsmoment hat. Mir geht es zumindest so: Wenn es um heute zeitgemäße, also veraltete Tonhöhen und Rhythmen geht, kann ich mich, was die Klangfarbe und Instrumentalaura betrifft, mit Lautsprecherklang stärker, also gar nicht identifizieren als beispielsweise mit dem Klang eines Fagotts.

Die Pendants im Akustischen zu den Geräten des Sehens. Die Brille, die Fensterglasbrille, für die Ohren. Der Gehörgang als unendlicher Gang mit virginalen Membranen, das Trommelfell als Leinwand, als Buchseite einer Inkunabel. Der Körper des Hörens ist die Partitur. Die durchlässige Haut der Membran, durch die man zwar keine Objekte stoßen kann, aber Wellen, den Stoßimpuls. Ein Tattoo, eine Tätowierung hätte nur Sinn auf dem Trommelfell, wo es niemand sehen kann.

Das Spektrum eines Rhythmus, seine umgekippten Dauern, die umgekippte Zeit ins Denken. Das Denken mit Zeit füllen. Das Kind mit dem Bade waschen.
Die Intellektualisierung der Musik seit der Atonalität hat nun einen Namen: Konzeptualismus.

Diese „dumpfe Teleologie“ über Materialdebatten zur endgültigen Intellektualisierung der Neuen Musik mit dem Musikkonzeptualismus. Anhören tut man sich Neue Musik eh nicht oft, viel mehr redet man darüber, das bringt der Konzeptualismus auf die Spitze.

„Alle Neue Musik hat konzeptuelle Anteile“ -> Achtung, Verwässerungsgefahr, auf so einen Konzeptbegriff beruft sich im Zuge der Konzeptualismusmode dann jeder.
Etliche Beispiele, die im Diskurs genannt werden, sind nicht wirklich konzeptuell. Bisweilen wird einfach alles, was heute irgendwie mit Elektronik oder Video daherkommt, konzeptuell genannt. Trittbrettfahrerei auf dem Drittbrett.

Negativer Black Metal
Negativer Speed Metal
Negativer Drone Doom Metal
Negativer Epic Hollywood Metal
Negativer Swedish Death Metal

Deleuze/Guattari, Was ist Philosophie. Was ist Musikkonzeptualismus.

Konzeptmusik ist der endgültige Bruch mit der Klassik.
Konzeptualismus macht auch die Hässlichkeit der Atonalität endlich zum Programm, sie ist äußerst hässlich.

Am Ende überlebt nicht schöne Musik, sondern diskursive. Neue Musik überlebt nicht auf der Bühne, das wenigste wird wiedergespielt, auch Schönberg wird kaum gespielt. Es überlebt
a) im Diskurs
b) als Reproduktion
die Konzerte sind Werbung dafür.

Begleitung zur Begleitung.
Könnte ja den Minusbolero oder die linke Hand einer Mozartsonate in so eine Software einspeisen, die versucht, Begleitarrangements zu generieren.
Tja und dass sowas dann immer in Endlosschleife geht, Begleitung zur Begleitung zur Begleitung, also immer ein Lucier-Konzept wird, das ist auch so ein Endpunkt der Musikgeschichte.
Oder polyphone Musik so interpretieren, dass jede Stimme die Begleitung der anderen ist, als wäre es die Begleitung zu einer Melodie. Vielleicht könnte man Goulds Mozartinterpretation so erklären.
Hab mal (natürlich auf Facebook) das Konzept notiert, von einem Klavierkonzert den Solopart orchestrieren und dazu vom Orchesterpart den Klavierauszug spielen.
Vor ca. 8 Jahren wollte ich auch mal musiktheoretisch was zu Begleitungen machen, „vom Albertibass bis zur Brucknerschen Klangfläche“.

Konzeptmusik – der Bezug zur Musik ist ein Übergangsbegriff, denn eigentlich stehen Konzepte hinter allen Medien. Der Neue Konzeptualismus, der von der Musik ausging, einhergehend mit dem conceptual writing, ist eigentlich der Konzeptualismus, der über alle Medien geht. Konzeptkünstler aller Medien, vereinigt euch! Also individualisiert euch.

Konzeptualismus ist das Durchbrechen der Schallmauer.

Der Erste Weltkrieg brachte das schwarze Quadrat und das Readymade.

Wechsel von der Bewusstseins- zur Sprachphilosophie in der Musik. Wittgensteinway B.

Immaterial

Sätze über unmusikalische Konzeptkunst

Ein Konzept, das (zeitlich) entgegenkommt. Man steht da wie eine Leinwand, auf die nun bald die Projektion fallen wird. Countdown / up.
Das Zählen und der Klang.
Die Zeit, die es braucht, einen Klang zu spielen, und die Zeit, die es braucht, einen Klang zu hören.
Räumlich gleichzeitig, zeitlich nebeneinander. Die Summe und die Differenz zweier Musikstücke.
Ein Musikstück, und dann dasselbe noch mal, in einem folgenden Zustand, wie zwei sequenzielle Fotos derselben Szene. Alle Töne haben sich etwas bewegt. Musikstücke als Fotografien ihrer Partitur. Die Teiltonreihe und die Zeittonreihe.

Der Schlitzverschluss. Der Schallschlitz.

Alles nachsingen, das andere vorsingen.

negative 16tel
negative Klangfarbe
negative Instrumente

Konzept=der Untergang

Überall die Rechnung vornehmen: minus Null. Von dir subtrahiere ich eine Null!

Metronominimalismus.
Die Erfinder der Sprache und der Zeit.

Eine Variation, die invariant ist. Die Variation, die den Zyklus zerstört. Die sich invertiert. Invertvariation. Die noch einem zweiten Konzept gehorcht. Die Verschränkung zweier Konzepte. Doppelkonzeptualismus. Ohne den Konzeptualismus aufzuweichen, ohne ihn zu entschärfen, ohne ihn wieder zur Normalmusik zu machen.
Kann man ein Konzept aufspalten in zwei Konzepte.

Wenn gilt: Die Grenzen meiner Sprache sind auch die Grenzen meiner Musik, dann gilt:
Die Grenzen meiner Musik sind auch die Grenzen meiner Welt.

Und somit sind die meisten philosophischen Fragen Verhexungen der Musik. Ein Konzept ist keine Ordnung, eine Idee kann keine Ordnung sein, Ordnung ist Systematik, Regelwerk, gute Dinge.
Das Frequenzspektrum, der Schalldruck, die Schalldruckschrift, der Horizont als Spektralakkord.

Kalifornien, 27.2.2016

Immaterial

Eine Musikrichtung, bei der Originalität programmatisch ist. Das ist doch was, das ist doch mal ein schöner Anspruch! Wann hat man sowas zuletzt formuliert? Neue Einfallheit.
Man kann in der Tradition stehen. Man kann aber auch innovativ sein.
Breakfast with Creativity. Die Musikgeschichte prämiert Innovation, nicht Restauration.
Ideenkunst.

Die Neue Musik befindet sich im Matrialchat, im „Matriarchiv“ (Derrida).
Material ist Marterial.

Oft sind mir in den letzten Jahren Leute begegnet mit der Aussage, Konzepte seien ja schön und gut, aber sie wünschen sich eben auch Ästhetisches. Vor allem nach meinem Minusbolero kamen viele freudig an, “endlich ein Konzept, das auch zu etwas sehr Ästhetischem führt!”. Einerseits habe ich alles Verständnis für dieses Ideal, andererseits empfinde ich aber doch einen Unmut, schwingt darin eben auch ein Urteil, das die prinzipielle Differenz musikkonzeptueller Musik abqualifiziert zugunsten einer doch vielleicht wieder eher gewohnteren Musikauffassung. Der Widerspruch liegt im Konzeptualismus selbst, aber erst in der Bandbreite bis hin zu den radikal anästhetischen Konzepten. In der Entfaltung dieses Horizonts lohnt sich dann wirklich, verschiedene Interpretationen zu diskutieren.

Konzeptkunst, das Unterlassen von Ausgestaltung, das sagt auch etwas aus über unnötige Arbeit, über Präsenz von Gutem.

Versehentlich, also absichtlich das falsche, also das richtige Konzept zur Musik mitteilen, also vorenthalten.

Das Erschießungskommando, bei dem eine Gruppe von Schützen abkommandiert wird, und einer erhält aber eine Platzpatrone, so dass später keinem der Gruppe mehr der Prozess gemacht werden kann, denn ein Unschuldiger ist ja darunter – man kann nur den Befehlsgeber belangen. Den Konzeptualisten.
Sich angreifbar und systematisch unangreifbar machen. Der Schütze mit der Platzpatrone ist der Mörder. Unangreifbarkeit, weil unidentifizierbar ein unschuldiges Element darin ist, bzw. ein Element Fake ist.
Eine solche Konstruktion ist postmodern.

„Realität in der Musik ist die Realität der Musik.“ (Danuser)
Musik stellt nichts dar, sie ist selbst Objekt der Darstellung.
Wenn die Musik als Musik zur Musik wird. (Heidegger)

Viele Konzepte werden zusammengebracht zu einer „Petersburger Hängung“, oder zum Duchampschen Miniaturmuseumskasten.

Konzept und Zeit
Wie kann die Zeit konzeptualisiert, ein differenziertes Gefühl von Zeit, ein Gefühl für Rekurs und Antizipation, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft konzeptualisiert werden. Wie können diese Aspekte von Zeit zur Idee werden, inwiefern sind sie es.
Sicherlich ist ein erster Ansatz die messbare Zeit. Eine Dauer aufsagen und dabei die Zeit stoppen, danach den Wert der gestoppten Zeit aufsagen und das wiederum stoppen und dann aufsagen und stoppen usw. Man könnte starten mit dem Aufsagen des Konzepts, das gestoppt wird. Stop und stoppen.
Die Vergangenheit, das sind die Samples, das Archiv, die Musik mit Musik; auch die Abwesenheit. Das Abwesen, abwesentlich. Das Reprodukt.
Dafür braucht es einen Begriff der Bewegung. Dialektik ist Zeit.
Sicherlich wäre es eine Option, Zeitumkehr, irreale Zeit zum Gegenstand der Konzeptualisierung zu machen. Alles ist gregorianischer Choral. Johann Sebastian Bach (1980-2082).
Die falsche Stoppuhr, das defekte Metronom, das perfekte Metronom. Die Belichtungszeit, die Beschallungszeit, die Schallgeschwindigkeit ohne Raum. Die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Die Gleichzeit und die Ungleichzeit. Die Rückbeschleunigung. Die Sonne, die Erde, Rotationskuss.
Diejenige Musik mit Musik.

Immaterial

„Parzellen statt Erfahrungen“. (Kreppein)
Sicherlich eignet sich der Neue Konzeptualismus besonders gut für den Diskurs, so wie sich für ein Streichquartett Stücke für zwei Geigen, Bratsche und Cello vornehmlich eignen. Konzepte kann man in zwei Sätzen weitererzählen, schon ist ein Stück abermals aufgeführt. Ja, so ist der Konzeptualismus und das verschafft ihm auch oberflächlich Vorteile. (Aber die hat er gegen das Etablierte auch verdient.)
Andererseits ist Konzeptualismus ja sperrig, weil anästhetisch, auch nicht immer soo witzig-pointiert, und die Kleinteiligkeit wird verwechselt mit Kurzatmigkeit und Unterkomplexität. Genauso könnte man Heinrich Schütz vorhalten, dass er ja keinen verschlungenen 12-stimmigen Kontrapunkt mehr geschrieben hat. Kategorienwechsel müssen wohl damit leben, dass Kritik auf der falschen kategorialen Ebene verlässlich eintritt. Es ist nachgerade ein Fettnapf, in den natürlich immer einer reintritt, dass man einen Aphorismus schreibt, und dann kommt einer her und kritisiert, dass das ja kein Roman sei, – ob das ein Argument gegen Aphoristik wäre – oder dass die Reime in dem Roman aber irgendwie gar nicht funktionierten. Als nächstes wird dann die „Welt“ als Vergleichsobjekt herangezogen, was denn nun der Welt adäquater sei, und wenn man da nicht fündig wird, dann sagt man zuletzt, dass es stattdessen eben um Utopien ginge. Damit ist dann endgültig die Auseinandersetzung der Willkür gewichen.

Maximaler Distinktionsgewinn. Musik als unkonzeptuellstes Medium für Konzepte zu nutzen, das ist ein Coup.

Das einzelne, aber feste statt der großen Erzählung, sei sie auch noch so facettenreich. Und sicherlich steht hinter den Einzelheiten eine Haltung – das sind nicht Fragmente, sondern Manifestationen.

Zitieren, entlehnen, Referenzieren. Das kann man parasitär nennen, ist aber schlichtweg auch eine Wahrheit, und Moral ist hier doch fehl am Platz.

Diskurs. Kritik. Man kritisiert selten das, was man nicht gut findet, sondern das, was man selber nicht kann.

Ein Einwand: Die Welt sei komplex, da könne ein Stück das nur eine Idee verfolgt dem nicht gerecht werden, oder jedenfalls nicht einem Anspruch auf >Vielschichtigkeit<. (Schick / Marcoll / Kreppein) Aber ein Stück, das 10 Minuten geht und auskomponiert ist (und nur Musik ist, ohne multimediale Zusätze), das wird also der komplexen Welt gerecht..? Erst mal wird der Anspruch erhoben, der komplexen Welt müsse man gerecht werden, und dann wird das auch noch quantitativ bestimmt. [Der Ausdruck „komplex“ ist eigentlich nur noch prätentiös. Wer sagt, dass Kunst „komplex“ sein müsse? Komplexität, wieder einmal ein undefiniertes Fetischwort in der Neuen Musik. „Komplex“, das ist die Androhung von Erhabenheit, vom strafenden übermächtigen Gott. Ich bin auf der Suche nach der unkomplexesten Musik. Nicht einfache / minuseinfache, sondern nullfache Musik. Zeroalismus.] Momente der Rahmung, Reduktion auf Strukturen. Sie sagen, die heutige Welt sei so komplex. Aber alle haben sie in kleines Gerät in der Tasche, auf dem sie diese Komplexität erfahren. Das riesige Word Wide Web, sie alle sehen es durch einen (1) Browser und googeln in einem minimalistischen Suchschlitz. Es gibt immer Ebenen der Erlebens, die ganz simpel sind. Die unendlichen Möglichkeiten sinnlicher Eindrücke, wir alle erleben sie durch gerade mal zwei Koordinaten: Raum und Zeit. Konzeptualismus gestaltet solche Rahmungen, solche Flaschenhälse, durch die jeder Mensch die Welt wahrnimmt. Manche Komplexitätsreklamierer muss man mal wieder an die Kantschen Bedingungen der Erkenntnis erinnern. Denn „Hören“ ist „Hören als“. Konzeptualismus internalisiert die Tatsache der Hörperspektive. Keine Perspektive, sondern Perspektivismus. „Ismus“=Selbstreflexion. Konzepte sind limitiert (wie alles), aber sie sagen es. Sie formulieren diese Grenze deutlich, das heißt, sie überschreiten sie: dort befindet sich der Hörer. Als ob Komplexität die ultimative Qualität wäre. Kunst kann auch schön sein, stimulieren, erhaben und Widersprüchlich sein, punktuell, fließend, spitz oder flach. Duchamps fountain ist so wenig komplex wie die Entdeckung von Amerika. Beides sind just Ideen, die man eben irgendwann gehabt hat.
So, wie im 19. Jahrhundert das höchste Ziel ein „organisches“ Kunstwerk war (eine Lieblingsmetapher von Hanslick), so kann heute Musik laut oder leise, dieser oder jener Stil sein, aber all das hat nur ein Ziel: am Ende müsse es „komplex“ sein.

Man kann diskutieren, wie viel zeitlichen und materiellen Aufwand eine einzige Idee rechtfertigt, aber nicht mit der Ontologie einer >komplexen Welt< argumentieren. Die Macht des Namens. John Cage verdankt seinen Erfolg auch seinem schönen Namen. Hätten die Dadaisten nicht das Wort „Dada“ gefunden, alles darunter geltende würde wenig gelten. „Cabaret Voltaire“, mit diesem gelungenen Namen war die Erfolgsgeschichte grundsteingelegt. Die Fremddetermination (bei Cage ist ja auch die Frage, ob es In- oder Fremddetermination ist, also ob es Zufall überhaupt gibt). Entsubjektivierung, stattdessen lässt man mechanische Kräfte (zB Schwerkraft) oder kollektive (zB Börsenkurse) Töne produzieren. Vgl. Max Ernsts Techniken der Entsubjektivierung, Drip-Painting, Frottage. Schwerkraft, eine Kraft die überall da ist. Was man alles umwerfen kann! Was man alles fallenlassen kann! Noch mal: Wo ihr nach Komplexität ruft, waltet euer primitiver Wille zur Macht. Das Schlagwort „komplex“ ist, mit Verlaub, unterkomplex. Es wäre ein komplexes Konzept, im Diskurs auf das Wort „komplex“ zu verzichten. Der erweiterte Musikbegriff, der begriffliche Musikbegriff.

Immaterial

„Steady Shot“ for piano, audio and video playback

premier
Heloisa Amaral, piano

KLANG Festival Copenhagen 17.6.2016

Immaterial

Der Vater des Konzeptualismus nennt seinen Sohn Max.

Konzept und Dramaturgie, Entwicklung
Eine anspruchsvolle Form, das ist eine Reflexion über den Verlauf von Zeit, über das Erleben in der Zeit, die Gedächtnis- und Erwartungsfunktionen des Menschen, über Proportionen, schöne Proportionen und Rhythmen, die einem heutigen Lebensgefühl entsprechen. Formale Innovationen sind vielleicht selten, die ersten kommen eigentlich erst mit dem Aufkommen der Teiligkeit in der Klassik; Bachs Fugen sind unförmig! Mozart ist der Meister der Proportionen, bei Beethoven kommt dann noch die Prozessualität hinzu. In der Moderne dann gab es vor allem die Momentform und die mechanische Prozessualität.

Krise der zeitlichen Gestaltung. In den letzten 20 Jahren gab es meines Erachtens nur zwei formale (= in dem Fall zeitliche Gestaltung betreffend) Innovatoren: Bernhard Lang und Michael Beil. Lang entfaltet die gliedernde Kraft der Wiederholung („Wiederholung trennt“) und schafft damit einerseits eine extreme Vereinzelung, andererseits dialektisch eine sehr spannende Gliederung und Beziehung zum Ganzen. Beil schafft mithilfe von Live-Video eine starke Verarbeitung von logischen Anschlüssen (die im Klingenden seit der Atonalität verloren gegangen sind) und Erinnerung. Etwas älter wäre noch Spahlingers dialektische und >utopische< Prozessualität zu nennen. Ansonsten ist Dramaturgie Handwerk, ein Zustand wird entweder gerade genug mit Informationsfluss am Köcheln gehalten ohne dass es redundant wird, Ideen werden aneinandergereiht oder gehen ineinander über, man verteilt seine Ideen nett in der Zeit, man macht einen Spannungsverlauf, schnelle und langsame Teile wechseln ab und irgendwo gegen den goldenen Schnitt hin gibt’s ein-zwei Höhepunkte und Überraschungen, aber das ist reines Handwerk, das kann auch ein Kirchenmusiker, das ist unsubstanziell, Inszenierungsdonner, Dramatisierung, und auch geheimniskrämerisch gegenüber dem Hörer statt reflexiv, der Komponist trumpft gegen den Hörer auf mit seinen Assen im Ärmel, entsprechend habe ich daran Unbehagen. Storytelling ohne Story. Porno mit Handlung, wo niemand Handlung will. Aber ich bin was Dramaturgie geht eben auch leidenschaftslos, lese auch keine Romane und mag Kino deshalb nicht, weil da immer, wirklich immer eine Geschichte erzählt werden muss; bei Romanen halte ich es mit Borges, dass es doch auch eine Zusammenfassung tut. Und schlaue Apercus, die irgendwo auf S. 274 in ein Narrativ verklebt sind, sind verschwendet. (Nicht dass ich jammern will über Niveauverlust – dafür haben die Stücke heute andere Qualitäten. In den vergangenen zehn Jahren sind viel mehr tolle Stücke komponiert worden als in den zehn Jahren davor. Es sind herrliche Zeiten.) Heute gibt es offenbar wenig dialektische Bewegungskraft, Teleologie hat unsere Zeit sowieso nicht. Form, das ist „die Ordnung der Dinge“ (Foucault). Das Konzertformat zwingt zum Entertainment, die Gefangenen brauchen Spiele. Daher dieser riesige Rhetorikaufwand bei Lachenmann, der selber aber nicht Thema wird. Krise der Entwicklung. Eine Idee widerstrebt ihrer Entwicklung, sie ist ausdehnungslos und nicht teilbar. Entwicklung ist erst mal ein Aufbrechen einer Qualität in Quantität. Dieses Geseiere von „Schubladendenken“. Dann hört doch auf, Sprache zu verwenden. „Konzeptmusik“, auf englisch ist der Ausdruck eigentlich noch viel besser, „concept music“ = Begriffsmusik. Denkmusik. Musik ohne Musik. Sinn-Sinnlichkeit. Konzeptkunst ist begriffliche Schönheit.

Immaterial

Jemand musste Brian F. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens konzeptualisiert.

Kafkas erste Sätze: Das Konzept wird vorgestellt. Der erste Satz der Verwandlung beispielsweise sagt schon nahezu alles, die folgenden 60 Seiten sind dann eben Kafkas Sadismus.

Der Wert eines Konzeptstücks bemisst sich nicht daran, dass man es unendlich oft hören könnte.
– Würde man die Neunte von Beethoven sich in der Philharmonie anhören und nach dem Schlussakkord am liebsten gleich wieder von vorn hören? –
Dennoch sind Konzeptstücke beileibe keine Eintagsfliegen – wenn man sieht, wie stark der NK [Neue Konzeptualismus] die Neue Musik aufgerüttelt hat, wie viel darüber geschrieben wird, dann kann man ja nicht leugnen, dass der Effekt des NK enorm ist, wie nachhaltig der das Musikdenken, den Musikbegriff, das Hören ändert, auch wenn das einzelne Stück klein ist – die Tiefe eines Konzeptstücks kommt mit dem Konzeptualismus. Kein Konzept ohne Konzeptualismus.
Letztendlich geht es nicht darum, ob man was immer wieder anhört, sondern darum, was in der Erinnerung bleibt – die ist auf jeden Fall länger. Auch wenn man ein Stück nur einmal hört, wenn es in Erinnerung bleibt (darum geht’s um starke Ideen im Konzeptualismus), wenn es einmalig die Wahrnehmung geändert hat, dann hat es eine Änderung für die Ewigkeit bewirkt. Etwas öfters hören ist auch nur eine Quantität. War wohl nicht einprägsam genug…. „Die wahre Wiederholung liegt in der Einbildungskraft“ (Deleuze, Differenz und Wiederholung S. 106f; Mundpropaganda, Stille Post)
Hat Beethoven etwa seine Musik immer wieder angehört..

Konzeptualismus als Lösung für den Umgang mit Multimedia: Man hat alle Mittel, aber keine spezifische Begabung oder technisches Können. Aber man kann abstrahieren zum Konzept, dann wird all das – und noch viel mehr, die ganze Welt – nutzbar.

Klaus Kinski, Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund, das Wort „ficken“ mit dem Wort „konzeptualisieren“ ersetzt:
Wir konzeptualisieren überall. In Betten, auf Fußböden, in Hausfluren, auf den Straßen, in der U-Bahn, im Kino, im Flugzeug. Nachts kommt sie ins Hotel Nationale, um konzeptualisiert zu werden. Als ich aus der Toilette komme, hat sie Bettdecke, Wolldecken, Überzüge, Kopfrolle und Kissen vom Bett geschleudert und sich bereits in Konzeptstellung auf der Matratze gebracht. Ich habe einen Instinkt dafür, ob ich eine Frau von vorn oder von hinten konzeptualisieren soll, oder von vorn und hinten. Carmen konzeptualisiere ich von hinten. Als ich meinen Unterleib von rückwärts gegen ihren Arsch presse, beginnt sie sofort ärschlings Konzeptbewegungen auszuführen, gierig, gefräßig, hemmungslos, brutal, völlig chaotisch … Sie ist eine supergeile Konzeptualisiererin. Tief in ihr schieße ich meinen Bolzen ab.
Wir stehen nur auf, um was zu Essen zu beschaffen. Meistens verschlingen wir nichts als rohe Eier, damit wir Kraft zum Weiterkonzeptualisieren haben. Sie wird immer gieriger, je öfter und schamloser ich sie konzeptualisiere. Diese Frau hat eine Zauberwirkung auf mich, so daß ich sie immerzu konzeptualisieren muß, konzeptualisieren, konzeptualisieren, konzeptualisieren, konzeptualisieren, konzeptualisieren, konzeptualisieren, konzeptualisieren, konzeptualisieren, konzeptualisieren — selbst wenn ich so ausgelaugt bin, daß ich Schmerzen habe, von der Schädeldecke bis in den Samenstrang.
Bis heute Vormittag geht das Konzept, das heißt, es ist bereits Mittag, und wir konzeptualisieren immer noch. Sie würde bis zum Herzinfarkt weiter konzeptualisieren. Bis zu meinem.

Mein Text „Gegen Applaus“ online

Mein Text „Gegen Applaus“, erschienen vor einem Jahr in der Neuen Zeitschrift für Musik, steht jetzt online. (hier als pdf)

 

Gegen Applaus

Als der Schönbergkreis 1918 den Verein für musikalische Privataufführungen gründete, verfügte man in den Statuten, dass dem Publikum Mißfallenskundgebungen während oder nach den Darbietungen untersagt seien; doch nicht nur das, auch jedweder Beifall wurde dem Auditorium verboten. Die Maßnahme mag eine verbitterte Reaktion auf die Skandalkonzerte der frühen Atonalität gewesen sein, hatte aber Gültiges darüber hinaus. Applaus ist eine Unsitte, aus zwei Gründen:

1. Fort mit dem kollektiven Soforturteil – alles über dem Anstandspegel ist Soforturteil –; ein Stück, an dem monate-, womöglich jahrelang gearbeitet wurde, kann nicht Sekunden nach dem letzten Ton schon taxiert werden. Dieses notorische letzte Wort ist unangemessen und anmaßend. Da es aber erfolgt, korrumpiert die Aussicht auf / Angst vor Applaus die KomponistInnen und InterpretInnen, verführt zu Gefallsucht, begünstigt sichere Effekte, nährt eine Kunstproduktion, die die einverständliche Meinung lieber bestätigt. Jedoch nach Mozarts Requiem, nach Weberns Aphorismen ebenso wie nach einer Vorführung von Pasolinis Saló oder einer Inszenierung von Müllers Hamletmaschine, in Anbetracht von Duchamps Urinal sind andere Reaktionen geboten als konform im Massenorgan Applaus einzustimmen. Das Individuum möge seine eigenen Schlüsse ziehen. Und hat man Hegel nach Erscheinen der Phänomenologie des Geistes etwa auf die Schulter geklopft? Ein Kunstwerk braucht überhaupt keine eilige Akklamation oder instantanes Daumen-runter-Fazit, und die MusikerInnen und KomponistInnen sollen schlichtweg anständig bezahlt werden, dann braucht das Publikum ihnen keinen Applaus zu spenden. Und neben der Bezahlung ist Aufmerksamkeit die angebrachte Form der Wertschätzung.

2. Keine Einrahmung. Statt dass das Kunstwerk sich in den Köpfen, im Handeln fortsetzt, statt dass seine Vibrationen weitergetragen werden, wird ihm der Riegel des Applauses vorgeschoben, wird real und symbolisch Distanz geschaffen durch eine anspruchslose Schüttelbewegung, mit der man das Stück abschüttelt, es »schlussendlich« von sich fern hält, das Werk mit Beifall zu Fall bringt, es hinterm Lärmwall begräbt. Was nützt es, Spannung aufzubauen, wenn diese gleich wieder entladen wird? Wie unerträglich muss es für manche anmuten, wenn nach dem Doppelstrich der Partitur die Stille langsam überginge in die Kontinuität des Konzertprogramms oder in das Aufbrechen der Menschen. Wenn die Feinheit und Energie, die Offenheit und Verantwortung des Kunstwerks nicht sogleich in Weißem Rauschen eingeschmolzen, nicht akustisch neutralisiert und hässlich simpel übertüncht würde, sondern der Stab weiterginge an die HörerInnen, auf dass sie gut damit umgehen. Und erst Recht, wenn das Publikum, wie es die Phrase gern reklamiert, »irritiert« wurde durch Kunst. Ist das Publikum wirklich irritiert, gar »verstört«, dann kann es nicht noch klatschen! – dann soll es das nicht müssen. Wiederum spricht wenig dagegen, wenn bei der Aufführung getrunken wird oder man währenddessen ein- und ausgeht, ebenso das Betreiben von Smartphonekommunikation, solange es andere nicht beeinträchtigt; das sind gleichermaßen Momente der Aufhebung des starren Rahmens, und der Körper darf auch etwas mehr Bewegungsraum bekommen. Wenn dann sollte das Stück einen an den Stuhl fesseln, nicht die Konvention. Ja und wenn das Publikum von dem Erlebten begeistert ist? – dann soll es sich nachher lieben.

Berlin, Komische Oper, Zimmermann, Die Soldaten – am Ende Holocaust, Atombombe, Apokalypse. Und zehn Sekunden später? Eine »BRRAVOOOOOOOO!!!!!!«-Brandung. Lachenmann, Mädchen mit den Schwefelhölzern, Buenos Aires, Standing Ovations, »Helmut Helmut«-Rufe. Ob das dem erfrierenden Mädchen hilft? Es ist absurd; so viele Kunst will tiefsinnig, existenziell, weltdeutend oder aufklärerisch sein, aber ihre Akteure gefallen sich im Gegensatz dazu in einem billigen Ehrerbietungsritual. Alle Beteiligten sollten der Kunst, dem Werk verpflichtet sein – das Publikum jedenfalls obliegen die Ohren, keine händischen Honorationen.

Niemand, der/die zu Hause Musik hört, sieht es für angebracht, hernach dem Lautsprecher Beifall zu klatschen. Auch im Kino geht es meistens ohne. Das Prozedere ist ja eigentlich auch sehr langweilig, eine Zeitverschwendung. Am Wiener Burgtheater fand bis 1983 das sogenannte Vorhangverbot von 1778 Anwendung: Verbeugungshandlungen sind zu unterlassen, »weil dadurch der Eindruck der darzustellenden Handlung gestört würde«. Bei Konzerten in Kirchen, zumal mit Werken wie der Matthäuspassion, wird im Programmheft meist vermerkt, dass man aufgrund des Gegenstandes bitte auf das Beklatschen verzichten möge. Auch ohne Theologie sollte das grundsätzlich walten; so viel Würde hat jede Kunstmusik. Schafft das Klatschen ab!