Skip to content
 

Neuer Konzeptualismus – Methoden 2a) Titel+Musik

2. Kontext-Differenz

Ein Konzept kann auch an Rahmenbedingungen von Musik ansetzen; da die Rahmenbedingungen die Musik beeinflussen – „Institutionen komponieren“ -, lässt sich das auch aktiv konzeptualisieren.

(Schon auf der ersten Seite der Ästhetischen Theorie von Adorno heißt es: „Denn die absolute Freiheit in der Kunst, stets noch einem Partikularen, gerät in Widerspruch zum perennierenden Stande von Unfreiheit im Ganzen.“ Ebenso könnte Foucaults Diskursanalyse – die „Mikrophysik der Macht“, die die Vorstellung eines souverän handelnden Subjekts als illusionär entlarvt, oder Kittlers medientechnisches Apriori, die Auswirkungen der Speicher- und Übertragungsmedien auf ihren Inhalt und ihre Wahrnehmung herangezogen werden. Erst vor diesem Hintergrund von instrumenteller Vernunft und materieller Bedingungen und Bedeutungen wäre heute zu bestimmen, was denn noch an der Musik „autonom“, was bei ihr „Eigenlogik“ ist – oft genug werden diese Dinge einfach nur behauptet.)

 


2a) Titel+Musik

Eine erste Äußerlichkeit eines Musikstücks ist ein Titel, der selbst bei absoluter Musik noch eine verbale Beigabe darstellt.
Nun kann das Verhältnis von Musik zum Titel selbst zu einer spezifischen, gestalterischen Idee werden. Es ist ein Topos seit der Moderne, dass der Bruch zur Tonalität mit einer Differenz zum Titel angezeigt wird. Stücke wie der „Walzer“ von Schönberg („Hä, wo ist da der Walzer?“) oder die „Variationen“ von Webern („Hä, was wird da variiert?“) sind bekannt. Mit der Kenntnis des Titels wandelt sich zudem das Hören; schon als Jugendlicher hatte ich die Idee für ein Klavierstück in fünf Sätzen, die alle die gleichen Noten haben, aber der erste Satz trägt einen philosophisch-religiösen Titel, der zweite einen abstrakten, der dritte einen privat-amourösen, der vierte einen ironischen und der fünfte keinen. Ich nenne den Ansatz „Präpariertes Hören“ (Essay).

 

 

Intensiv arbeitet Trond Reinholdtsen mit der Differenz von Musik und sprachlichen Zuschreibungen. Er selbst agiert dabei als Performer-Moderator, der die Klangminiaturen präsentiert.

 

 

Während Trond eine zusammengesetzte Konzeptform entwickelt, behandelt Anton Wassiljew das Thema ganz puristisch; eine zufällige Zeitungsheadline wird mit einer Zufallsmusik, einer typischen, Klischee-haften Neuen Musik versehen (er hat davon aber wiederum einige Varianten erstellt). Prädestiniert für das Verfahren der „Ton-Bild-Schere“ ist YouTube, wo auf der Videoebene der Titel ständig angezeigt werden kann.

 

 

In „New Complexity Fountain“ habe ich umgekehrt einen Klischee-haften Titel auf Muzak verwendet (hier mehr Exemplare):

 

 

Eine Werk von Peter Ablinger ist bezeichnet als: „Wachstum und Massenmord. Für Titel, Streichquartett und Programmnotiz“. (mehr)

 

Mehr als nur ein Titel kann eine längere Zusatzinformation mitgegeben werden, wodurch die Wahrnehmung des ganzen Stückes eingefärbt wird, in dem Fall gewissermaßen „vergiftet“:

 

„Das hier habe ich im Internet gefunden, es nennt sich „Silent Subliminal“.
Diese Software wandelt Worte und Töne in einen subtilen Sound knapp unterhalb des Ultraschalls um, den wir mit unseren Ohren nicht bewusst hören können. Statt dessen passieren die „stillen“ Botschaften direkt und ungefiltert unser Unterbewusstsein – vorbei an der Zensur unseres kritischen Verstandes! Auf diese Weise können wir systematisch unser Gehirn neu programmieren und unserem Unterbewusstsein Überzeugungen einspeisen, die unser Leben positiv beeinflussen.

„Silent Subliminal“ ersetzt also kostspielige Hypnose-Sitzungen, in denen man sich den Suggestionen eines Therapeuten ausliefern muss, der möglicherweise ein Scharlatan ist. Mit der Software behält man dagegen die volle Kontrolle und kann selbsterdachte Affirmationen wie „ich bin schlank und sexy“, „ich kann gut schlafen“, „ich werde reich“ per Mikrofon aufnehmen, und das wird dann in den Bereich knapp unter dem Ultraschall moduliert. Anschließend wird empfohlen, diesen bewusst nicht mehr wahrnehmbaren Track mit einer Musik zusammenzumischen, die man persönlich gerne hört.

Dann wollen wir dieses Teufelszeug doch gleich mal ausprobieren! Eigens für Sie, verehrte Zuschauer, haben wir diese magische Software bestellt. Statt uns damit nun allerdings selbst etwas schönzureden, speisen wir einfach die Ansprache von Angela Merkel ein. Wir haben das natürlich vorproduziert, und das „hören“ wir uns jetzt an. Als Trägermusik spiele wir dazu live einfach einen formvollendeten Mozart. Also bitte, die Musiker einen Mozart, und Felix spielt aus den Lautsprechern unhörbar den Aufruf, die CDU zu wählen. Ich geh dann solange mal aufs Klo. Und Sie lassen das Ganze bitte vollkommen passiv auf sich wirken. Ziel dieses heutigen Abends muss sein, dass Sie alle die CDU wählen.“


(Aus „Feeds. Hören TV„, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen 2010)

 

Das Video „Compression Sound Art“ spielt ebenfalls mit Zusatzinformationen, die nicht unmittelbar zu dem Gehörten passen:

 

 

Zusatzinformationen können auch nicht-sprachlich, sondern durch Video und Performance hinzutreten, wie bei Reinholdtsen:

 

(bei 0’46“:)

(bei 1’49“:)

 

oder bei Wassiljew:

 

 

 

 

 

 

 

Link zum Anfangspost der Reihe: Definitionen und Übersicht