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Lernen 2.0 / Aufruf

Das allerbeste am Internet ist die Verbreitung von Bildung. (Ich weiß, die Kulturpessimisten rufen gleich hinterher: auch die Verbreitung der Anleitungen zum Bombenbauen.) Hier ein Verzeichnis von „500 Free Online Courses from Top Universities“:

http://www.openculture.com/freeonlinecourses

Und die ZEIT schreibt aktuell über Vorlesungen im Netz:

http://www.zeit.de/studium/2012-06/online-studium-dozent/komplettansicht

An der Stelle sei noch mal auf Kluuu hingewiesen, eine Art demokratische Privat-Online-Schule für theoretisch alles, was Menschen so interessiert:

www.kluuuu.com

Höchste Zeit, dass auch Musikwissenschaftler, Musiktheoretiker und wer sonst noch Vorlesungen und Vorträge zur Musik hält das auch fürs Online-Publikum tun. Ich rufe hiermit die Darmstädter Ferienkurse, alle Symposiums-/Kongressveranstalter und sämtliche universitär über Musik Vorlesenden dazu auf, ihre Vorträge zu filmen und ins Netz zu stellen. Der Aufwand ist gering, der Nutzen groß.

ePlayer – über das Komponieren mit Instrumentensamples

Kürzlich hatte ich hier Harry Lehmanns Text „Die gehaltsästhetische Wende der Neuen Musik“ verlinkt, den nun Stefan Hetzel drüben im Bad Blog kommentiert hat. Hetzel befasst sich vor allem mit der umstrittenen Technologie des „ePlayer“ – darum möchte ich an dieser Stelle ein Kapitel aus dem Text „COIT“ bringen, der meine gleichnamige Software beschreibt und erstmalig in „Musik mit Musik. Texte 2005 – 2011“ erschienen ist; daraus das Kapitel zum „ePlayer“:

 

ePlayer

Ein Novum sind die Sample-Datenbanken von Instrumenten. Mittlerweile kann jeder einzelne Klang eines Instruments in all seinen Schattierungen hochwertig aufgenommen, gespeichert und abgerufen werden. Das verdankt sich den heutigen Speicherkapazitäten und Rechenleistungen. Aus diesen Atomen lässt sich dann theoretisch jede instrumentale Klangverbindung synthetisieren. Der Philosoph Harry Lehmann hat die realistische Abspielfunktion jener speziellen Samples »ePlayer« getauft.[1]

Zum ersten Mal verwendet habe ich solche Samples 2005 im Klavierstück 5. Die Idee war, glissandierende und über den Ambitus gehende Klaviertöne, also real unspielbare Aktionen, mit dem Live-Klavier zu kombinieren. Im Internet fand ich sogleich einen Satz Klaviersamples, mit dem ich das durchführen konnte. Im Konzert dann funktionierte die Mischung von Live-Klavier und zugespielten Klaviersamples verblüffend gut, oft konnte man nicht unterscheiden, woher was kommt, live oder von der Zuspielung.

Danach begann ich systematisch, Instrumentensamples zu sammeln oder selber aufzunehmen (gegenwärtig besitze ich rund 50 Gigabyte). Auch fing ich damit an, Aufnahmen von Stücken durch gemischte Verfahren zu erstellen: Teilweise wurden Ensembles komplett aufgenommen, oder die Musiker wurden in einzelnen Sessions via Clicktrack aufgezeichnet, sodass sie später synchronisierbar waren, oder ich habe sie mit mehr oder weniger hohem Anteil an Instrumentensamples ergänzt. 2007 war es so weit, dass ich ein ganzes Ensemblestück mittels ePlayer komponieren und zu einer Aufnahme zusammensetzen konnte: die 3300 Klänge; gleichsam war die massenhafte Verfügbarkeit von Klängen Thema. Im November 2008 wurde das Stück aufgeführt und prompt fiel ein Schlagzeuger aus. Es blieb nichts anderes übrig, als seinen Part als ePlayer zuzuspielen – was nicht weiter auffiel. Ähnlich erging es mir bereits im Frühjahr mit einer Aufführung von Dekonfabulation, als ebenfalls der Schlagzeugpart wegen eines erkrankten Spielers zugespielt werden musste.

Dennoch erschien mir das bis dahin mehr als Notbehelf. Die Aura und Einmaligkeit des ausführenden Musikers ist ein hohes Gut, und wenn zu viele Spieler fehlen, fehlt etwas (und die menschliche Stimme in Elemente zu zerlegen ist bislang fast unmöglich). Im ePlayer liegt aber ein beträchtliches Potenziel für das Komponieren, bei der Erstellung von Aufnahmen und bei der Aufführung – das hat mir erst Harry Lehmann zu Bewusstsein gebracht. So habe ich bei der Uraufführung des Stückes Fremdarbeit (2009), in dem es um ökonomische Effizienz geht, erstmals die Technik mit Nachdruck exponiert, als Konzept.

 

Seit Living in a Box (2010) kombiniere ich gezielt im Konzertsaal die Live-Instrumente mit den Möglichkeiten der ePlayer. Diese sind:

– beliebige Mengen, wie 40 Posaunen, und menschenunmögliche Virtuosität (wie Conlon Nancarrow mit dem PlayerPiano schon vor Jahrzehnten verwirklichte, was jetzt aber mit allen Instrumenten möglich ist, also zum Beispiel PlayerTrompete, PlayerMarimba oder ein ganzes PlayerEnsemble)

– Glissandi jeder Steigung und Mikrointervalle selbst in unhörbaren Abstufungen, beispielsweise Glissandi und Sechzehnteltöne von Klavierklängen

– unmögliche Register durch Transpositionen, zum Beispiel das Klavier in der sechsten Oktav

– hybride Instrumente, deren Samplesätze aus diversen Ausgangsaufnahmen gekreuzt wurden, etwa ein Klavier-Vibraphon oder ein Geigenkratzen hinterm Steg mit Trompeten- oder Kettensägenanteil.[2]

 

Seit das musikalische Material über die einfachen Tonhöhen weit hinausgegangen ist, hat das Klavier als Arbeitsplatz des Komponisten ausgedient. Wer Geld und die Fähigkeiten besaß, konnte vielleicht noch ein Cello oder eine Flöte zur Hand haben, worauf sich ein extremes Pizzicato oder ein Luftgeräusch ausprobieren ließ; letztlich war aber der taube Beethoven zum Urbild des Komponierens im 20. Jahrhundert geworden: Man musste sich am Schreibtisch all die erforschten Instrumentalmöglichkeiten und vor allem -kombinationen im Kopf vorstellen.

Bald nach Beginn der Arbeit an COIT habe ich die ePlayer-Technik implementiert, damit ich instrumentale Klänge neben den elektronisch produzierten auf derselben Ebene parat habe und mir die Komposition immer gleich anhören kann. Vor allem ermöglichte dies, zu experimentieren, Dinge auszuprobieren, die man erst hörend beurteilen kann – vormals war das nahezu unmöglich, denn wer hat schon ein ganzes Instrumentalensemble im Arbeitszimmer. Alles in allem unterstützen die Instrumentensamples das Komponieren ungemein, wenn es auch auf Dauer einige Konzentration beansprucht, sich immer so viel anzuhören.

Das Verfahren ist umstritten.[3] Noch sind die Instrumente nicht umfassend durch Samples abgebildet, und das Abspielen am Computer entspricht nicht exakt dem, wie ein Mensch ein Instrument spielen würde, darum gibt der Rechner teilweise keinen realistischen Eindruck wieder. Hier ist noch immer die praktische Erfahrung und Vorstellungskraft gefragt (und manchmal ist die Vorstellungskraft alleine auch ein starkes Medium). Ich sehe bei der Technik aber erherbliches Optimierungspotenzial. Vielleicht liegt die Lösung nicht nur in der Zahl der aufgenommenen Samples, sondern auch bei der Kombination von Sampling und anderen Techniken. Zum Beispiel ließe sich, wo Dateien fehlen, zwischen zwei vorhandenen Samples algorithmisch interpolieren; so werden in COIT die Centabweichungen durch granulare Transposition der chromatisch vorliegenden Samples bewerkstelligt. Ebenso könnten auch Daten der physikalischen Nachbildung, dem Physical Modelling, mit in die klangliche Umsetzung einfließen, und die Imperfektion des menschlichen Spielers ließe sich noch simulieren, so wie der Film mit 24 Einzelbildern pro Sekunde Bewegung glaubhaft vortäuscht; schließlich wäre mit Verräumlichungsalgorithmen auch eine Konzertsaalatmosphäre herstellbar.

Natürlich ist grundsätzlich zu bedenken, dass die Sample-Aufnahmen in ihrer Qualität variieren können, dass Studio- und Konzertsaalakustik verschieden sind, dass Lautsprecher nicht die physisch-akustische Präsenz eines Instruments haben (und stattdessen ihre eigenen Klangcharakteristika besitzen) und dass nachher menschliche Spieler die Noten interpretieren, was nicht zuletzt der Musik Leben einhaucht. Doch der Schritt vom bloßen Imaginieren zum hilfsmäßigen Sample-Abspielen ist für das Komponieren schon groß.[4] Des weiteren ist der bislang noch teilweise künstliche Klang des ePlayers als solcher ja auch nutzbar, selbst wenn er qualitativ als minderwertig empfunden wird gegenüber den hehren Instrumenten; ich denke, in der Kunst kann es nicht nur darum gehen, Rolls-Royce zu fahren.

 


[1] Harry Lehmanns Definition: http://bit.ly/xqqqns.

[2] Siehe dazu auch das Kapitel »ePlayer« von Harry Lehmann in: Johannes Kreidler, Claus-Steffen Mahnkopf, Harry Lehmann: Musik, Ästhetik, Digitalisierung – eine Kontroverse, Hofheim 2010, S. 161-167.

[3] Ebd., vor allem S. 40ff, S. 61f und S. 161ff.

[4] Zur kompositorisch-praktischen Nutzung der ePlayer-Technik siehe auch: Thomas Hummel: Not als Innovationsmotor, in: Dissonance 113, S. 18-22, http://bit.ly/pTEHJW.

Autograf über das Spor-Festival

Der Autograf, dänische Zeitschrift für Neue Musik, berichtet über das Spor-Festival, bei dem ich im Mai ein Portraitkonzert hatte:

http://seismograf.org/reportage/pop-power-og-paagaaende-musik-spor-festival-2012

Liegeklavier

Warum nicht auch im Konzert?

(via Facebook)

DJ Culture, 1910

Bereits 1910 stellte die Firma Gaumont das sog. Chronophone her, mit dem in Kinos längere Filme durchgehend musikalisch untermalt werden konnten, indem man zwei Plattenspielersysteme zusammenstellte und einen „Crossfader“ für nahtlose Übergänge anbrachte. DJ Culture, Old School.

(via Engadget)

Karl-Marx-Kreditkarte

Nachtrag zur Dialektik der Aufklärung:
In Karl-Marx-Stadt Chemnitz wurde bei einer Kundenabstimmung Karl Marx als Konterfei für die neue Kreditkarte der Sparkasse ausgewählt.

Aus dem „Kommunistischen Manifest„:

Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren. Es kann dies natürlich zunächst nur geschehn vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind.
Diese Maßregeln werden natürlich je nach den verschiedenen Ländern verschieden sein.
Für die fortgeschrittensten Länder werden jedoch die folgenden ziemlich allgemein in Anwendung kommen können:
[…]
5. Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol.

Weitere Meldungen:
+++ Amnesty International wirbt mit Hitler-Maskottchen +++ European Song Contest wird 2013 von Helmut Lachenmann moderiert +++ Vatikan feiert Friedrich Nietzsches 168. Geburtstag +++ Silvio Berlusconi übernimmt Schirmherrschaft von Anti-Korruptionsliga +++ Bock zum Gärtner gemacht +++

Update: Man muss dazusagen, dass Sparkassen in der Tat nicht ganz vergleichbar sind mit renditeorientierten Banken wie der Deutschen Bank.

(via Autodespair)

Buchbesprechung „Musik mit Musik“ @WDR3 TonArt

Heute irgendwann zwischen 15.05h und 17h bringt die WDR3-Sendung „TonArt“ eine Besprechung von Raphael Smarzoch meines Buches „Musik mit Musik„.

„Ein solides Handwerk nutzt nur da, wo es egal ist. Jede Komposition ist eine Weiterkomposition. Wer für Geige schreibt, schreibt ab.“ Johannes Kreidler provoziert gerne. Die Berliner Philharmonie bezeichnet er als Altersheim, Kompositionen für klassische Instrumente findet er nicht mehr zeitgemäß.

[…]

Kreidlers neuestes Buch „Musik mit Musik“ ist ein Lobesgesang auf die Digitalisierung. WDR 3 TonArt hat es gelesen und mit dem Komponisten über seine Ideen gesprochen.

Informationen zum Buch:
Johannes Kreidler: „Musik mit Musik. Texte 2005-2011“
Wolke Verlag 2012
256 Seiten
ISBN 978-3-936000-93-1

Beitrag von Raphael Smarzoch

http://www.wdr3.de/tonart/details/20.06.2012-15.05-wdr-3-tonart.html

Livestrom:
http://www.wdr.de/wdrlive/media/wdr3_hq.m3u

Wiki-Wars: Wer ist der schnellste Wikipedia-Link-Flitzer?

Schöne Idee, erinnert an die Man-ist-über-6-Menschen-mit-jedem-Erdenbürger-befreundet – Theorie:

Das Spielbrett bei Wiki-Wars heißt Wikipedia und so funktioniert’s: Der Spielleiter gibt einen Start- und einen Endbegriff vor. Zum Beispiel “Tafelspitz” und “Zyankali”. Auf Los gilt es nun, sich über die Links in den Artikeln ausgehend vom Tafelspitz-Beitrag zum Zyankali-Beirag zu klicken. Dabei darf man auschließlich auf die blau unterlegten Links klicken.

(via SpOff)

Früher auf Kulturtechno:
Arschlochgoogeln
Wettrennen San Francisco – New York auf Google Streetview

Komponisten gegen Computer

Letzte Woche ging ein Text rum, der von diesem Experiment berichtet: In einem Konzert spielte man 10 Stücke, wovon 8 computerkomponiert waren und 2 von Menschenhand geschrieben wurden, die Hörerschaft machte einen Turing-Blindtest. Sozusagen das Duell Kasparow gegen Deep Blue, aber nicht auf dem Schachbrett, sondern im Konzertsaal.

http://www.psmag.com/culture/write-symphony-theres-program-that-42795/

In dem Artikel sind auch Videos eingebunden, ein Beispiel:

Es ist schon auffällig, dass sich derartige Berichte häufen. Natürlich ist die ästhetische Bewertung hier ungleich heikler als beim Schachspiel mit klaren Regeln, und Kompositionssoftware hat ja selbst wiederum einen Schöpfer und irgendwelche Startwerte müssen eingegeben werden.
Es ist aber auch nicht so, dass der Computer nur das ausspuckt, was vorher einprogrammiert wurde, denn mit Zufallsgeneratoren kommt tatsächlich ein nicht-menschliches Element hinein, oder wenn gewissermaßen anonyme Daten aus dem weltweiten Netz in die Berechnungen miteinfließen, was zu ganz unerwarteten Ergebnissen führen kann. Darum wird es mal wirklich schwierig werden, jemanden zur Verantwortung zu ziehen, wenn Computer Börsencrashs oder gar Kriege auslösen.
Das ganze zeigt: Es ist höchste Zeit für umfassende philosophische Einschätzung über die Eigenständigkeit computerisierter Arbeit. Erst unlängst hatte ich hier den Fall von 1957, als einem computerkomponierten Schlager kein Urheberrecht zugesprochen wurde, weil der Computer nicht als Subjekt galt (ähnlich der Fall mit dem Affen, der Fotos gemacht hat, aber kein Urheberrecht daran haben kann, weil er keine juristische Person darstellt).
Am 6.10. werde ich beim Jahreskongress der Gesellschaft für Musiktheorie an der Folkwang Universität Essen einen Vortrag halten zum Thema „Soundshop – Was kann der Computer komponieren?“. Darin greife ich die Digitalisierungs-Debatte von 2010 auf, zeige vor allem meine Software COIT und werde davon abstrahierend dann allgemeine Fragen zur künstlichen Kompositionsleistung / -„Intelligenz“ angehen.

 

Früher auf Kulturtechno: Ertragsgebirge

Doku: I Dream of Wires

Nette Doku über die Analog-Elektro-Fraktion.

(via wired)