Kürzlich hatte ich hier einen Text mit der gleichen Überschrift, ihn dann aber nach einem Tag wieder vom Netz genommen. Es tut mir leid und kommt hoffentlich nicht wieder vor, aber ich hatte den Eindruck, der Text ist mißverständlich. Darum habe ich ihn teilweise noch mal anders formuliert, jetzt bleibt er aber:
Worüber kann man sich in der Neuen Musik noch streiten? Über Geld.
Mit dem Wechsel der Leitung bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik 2010 wurde ein neues System installiert, der sogenannte Open Space: Räumlichkeiten stehen nahezu unbegrenzt allen zur Verfügung, jeder kann seine Lecture, seine Präsentation, seine Probe oder was auch immer halten im Rahmen des medial Möglichen. Damit ist es offiziell: Nie wieder wird es die „großen“ Diskussionen in Darmstadt geben, denn die Teilnehmer verstreuen sich in alle Windrichtungen. Statt der alljährlichen Diskussion über den ‚Materialstand’ sucht jeder den Raum auf, der ihn am meisten interessiert.
„Wenn das für Sie keine Musik ist, dann nennen Sie es eben anders.“ (John Cage). Dem wäre noch hinzuzufügen: Wenn das für sie keine Neue Musik ist, dann nennen Sie es eben anders.
Jeder kann heute in der Kunst machen, was er will, solange er sich an die Gesetze des Landes und an die Allgemeinen Menschenrechte hält; so hat es den Anschein, und das klingt völlig vernünftig. Zwar habe ich meinen persönlichen Geschmack und finde vieles schlecht, aber mir steht ja gottseidank nicht zu, für andere darüber zu bestimmen. Freilich soll es auch die Musik geben, die ich nicht mag – es lebe die Vielfalt!
Nur lässt sich dann eigentlich gar nicht mehr debattieren. Mit dem simplen Satz „Ok, du machst einfach deins und ich mach meins“ ist jede ästhetische Diskussion im Keim erstickt, oder mit einem beherzten „Lass ihn doch!“. Wer heute noch für „die Neue Musik“ etwas fordert, wünscht oder verwünscht, macht sich eigentlich lächerlich – denn jeder Komponist kann und soll doch machen, was er will, es wird sich schon jemand finden, dem’s gefällt, und letztlich wird die Geschichte entscheiden. Auch in der Digitalisierungsdebatte zwischen Mahnkopf und mir hat sich bald abgezeichnet, dass man einander überhaupt nichts anhaben kann, jeder mache eben seins. Exemplarisch kommentierte Reinhard Oehlschlägel in den MusikTexten (Hervorhebung von mir):
Jeder Komponist hat die Freiheit „Digitale Revolution“ oder irgendetwas sonst qua artifizieller Setzung für seine kompositorische Arbeit allgemein oder für eine bestimme Komposition zu seinem kompositionsästhetischen Fokus zu machen. Hätte Kreidler das im Sinn, hätte er diesen Zusammenhang als an seine Person geknüpfte Kompositionsästhetik dargestellt, die den nächsten Komponisten gerade nicht betreffen muss.
Jeder hat die Freiheit, und verbindlich ist gar nichts!
Es lief in dem Buch bei den Texten zwischen Mahnkopf und mir dann auch darauf hinaus, dass jeder sich selbst darstellte und hoffte, der Leser findet dann einen besser als den anderen. Lauter subjektive Meinungen also, aber keine harten Kriterien, anhand derer man sich wirklich auseinandersetzen kann, keine Diskussion darum, ob das nun Musik sei, ob das fortschrittlich sei, ob das pädagogisch wertvoll sei, ob das zeitgeistig relevant sei, was auch immer für Werte man da anbringen mag – es darf und soll in der Kunst einfach alles geben, Pluralismus ist das einzige Gebot der postmodernen Stunde. Das ist eigentlich auch keine ganz neue Erkenntnis mehr.
Nun wird aber doch noch diskutiert, in Kneipen und Blogs. Und was gibt es für Argumente jenseits des persönlichen Geschmacks?
– Pädagogisch nicht wertvoll genug
-> aber wie lässt sich das bemessen? Und muss Kunst überhaupt der Erziehung dienen? Erziehung zu was? Zu Kommunisten?
– das ist keine Kunst
-> aber wie lässt sich das bemessen? Und ist nicht gerade das die stets neue Herausforderung an die Kunst, den Kunstbegriff zu provozieren?
– nicht fortschrittlich
-> aber wie lässt sich das bemessen? Kompositionstechniken? Aber woran lässt sich das festmachen? Gibt es etwa irgendwo ein Klischee-Verzeichnis, mit dem abgeglichen wird? Wer verwaltet dieses Verzeichnis? Ansonsten: Fortschrittlichkeit könnte vielleicht an technischen Geräten festgemacht werden. Ich neige tatsächlich zu dieser Argumentation. Aber natürlich kommen hier die Konter a) das sei eine oberflächlich-materialistische Argumentation b) Wo sei denn vorn? Des weiteren trüge Fortschritt natürlich die Dialektik der Aufklärung in sich, der Fortschritt impliziere doch auch wieder Rückschritt. Und außerdem: Kunst dürfe alles! Wer will darf auch Fugen schreiben.
– nicht relevant
-> aber wie lässt sich das bemessen? Relevant für wen??
– irgend eine Art von Musik, eine Stilistik oder Thematik, kommt zu kurz
->jetzt kommen wir der Sache schon näher…
– zu teuer
-> das lässt sich bemessen! Es gibt Einkommensstandards, es gibt zu verteilende Geldtöpfe, ohne Geld geht fast nichts und da hört bekanntlich die Freundschaft auf.
->> Hinter all den ästhetischen Debatten steht ein anderes, ganz einfaches, nur meist unausgesprochenes, letztes hartes Kriterium: Geld.
Warum fordert Moritz mehr zugängliche, mehr lebensnahe Kunst, wenn ihm selber doch niemand vorschreibt, was er zu komponieren hat, er sich also tonnenweise lebensnahe Musik schreiben kann? Wieso stimmt Oehlschlägels Aussage, dass jeder Komponist die Freiheit zu irgendwelcher Setzung hat, nicht? – die Sache kostet Geld, viel Geld. Geld, das die Musik nicht selber erwirtschaften kann, das aus anderen Quellen zufließen muss. Darum erst kommen die ganzen Relevanz-Debatten auf. Welche Musik ist die Subventionsgeld-Verbratung wert? Niemals gibt es genug Geld, um den möglichen Pluralismus vollständig abzubilden, auch wenn Festivals so tun als ob. In dieser Welt kann nicht jeder Komponist komponieren, was er will, sofern er nicht mit der Schublade oder mit rein elektronischer Musik Vorlieb nehmen will, und mit dem Urteil der Geschichte. Es gibt in der Postmoderne bei der Kunst kein gut oder schlecht mehr jenseits subjektiver Meinung; jeder hat Recht – nur hat nicht jeder Geld.
Ich fände es wünschenswert (um ein altmodisches, nicht-monetäres Argument anzubringen), dass diese Wahrheit wenn dann auch ausgesprochen wird: Dass ästhetische Debatten heute in Wirklichkeit Gelddebatten sind.
(Das Problem ist dann noch, dass die, die das Geld ausgeben, den Debatten selten zur Verfügung stehen. Darum sind die meisten ästhetischen Diskussionen erst recht Scheindiskussionen.)
P.S. Und nun ist der Leser hoffentlich dazu provoziert, einmal zu überlegen, ob es nicht doch heute noch mehr Werte in der Kunst gibt als Geld.
lieber johannes kreidler, ich greife einen satz aus ihren gedanken zu „kunst geld ästhetik und scheindiskussionen“ heraus: „jeder hat recht – nur hat nicht jeder geld.“ – soweit so gut. andererseits: geld zu haben, hat zwar oft kunst ermöglicht, aber kein geld zu haben, hat sie wohl niemals wirklich verhindern können. wenn eine idee stark genug ist, wird sie ihren weg machen.
von den offiziellen stellen geld zu bekommen, macht ja auch nur spaß, (von der nehmenden sowie von der gebenden seite aus gesehen) wenn man bereits zu denen zählt, die als künstler anerkannt sind. niemand kauft schliesslich gern einen sack, ohne darin nicht zumindest eine katze zu v e r m u t e n. dass eigentlich problematische ist aber doch, dass, im grunde genommen kein mensch weiß, was kunst ist. reines spekulationsgeschäft und überzeugungsarbeit, sozusagen. und wenn man’s auf den kleinsten (nicht)gemeinsamen nenner runterschraubt, ist künstler der, der von sich behauptet, einer zu sein. er muß es halt nur ein paar andern beweisen. oder auch nicht. aber wenn jemand z.b scheiße in dosen verkaufen will, und sich dabei künstler nennt, – no problem. vielleicht stellt sich ja plötzlich heraus, dass scheiße grosse kunst ist. wo ein pissoir ist, da kann ein klo nicht weit sein. (achtung satire!). die kunstgeschichte ist schließlich voll von den groteskesten mißverständnissen.
nichtsdestotrotz, hat jeder für sich selber, einen inneren navigator dafür, was für ihn kunst ist. dieser wird meist durch einen besonderen moment/besondere momente gebildet und mit erfahrung plus zeit mehr und mehr verfeinert. wenn etwas die leute aus ihrem alltäglichkeitskram herauszuholen vermag, ist es kunst. über alles andere ist es müßig zu diskutieren.
aber, das ist natürlich auch wieder nur so ein vorläufiger satz, im fluss der zeit, der, mit viel glück, vielleicht bis morgen hält. wir werden das mit dem geld und der kunst und den scheindiskussionen wohl in absehbarer zeit nicht endgültig klären können; in der zwischenzeit wird aber wohl munter weiter gestritten werden. vor allem ums geld.
Hallo Sonosphere,
dass theoretisch alles irgendwie Kunst sein kann, ist bekannt, und solange es nichts kostet hat es heute wohl kaum einen „Streitwert“. Dass aber eine Idee stark genug ist, um sich ihren Weg zu bahnen, bezweifle ich. Ein Musiktheaterabend kann schnell mal 100.000€ kosten, die muss man erst mal auftreiben, und dann gehen die Relevanz-Debatten los.
Lieber Johannes Kreidler,
Du schreibst mir aus der seele! Ein cleverer Kopf mit analytischen Fähigkeiten und Enthusiasmus bringt die Sache auf den Punkt. SO empfinde ich die Situation auch, wiewohl ich nur ein „kleiner“ Musikvermittler ohne nennenswerten Hintergrund bin. Dieses Situation ist, meiner bescheidenen Meinung nach, auf die „Zwangs-Demokratisierung“ von Kunst zurückzuführen als bewusste Gegenbewegung auf einen im 19. Jh. vorherrschenden „Geniekult“ und als Schockreaktion auf einen pervertierten „Führer-Kult“ im 20. Jh.. Du wirst es nicht glauben, das geht bis in die „banalen“ Bereiche wie Lehrplanentwicklung im Schulsystem. Musik DARF nicht SCHWIERIG sein, JEDER muss es können, ABER Mathematik und Sprachen dürfen kompliziert sein. Schüler lernen heute nach ihrer Schulzeit zum Thema KUNST folgendes: Bildende Kunst ist cool, weil man sich PRAKTISCH verwirklichen kann, JEDER schafft ein Bild oder eine Collage. Musik ist blöd, weil man eigentlich nix können muss und auf die paar verqueren Spinner, die meist eh nur „VERKOPFT“ sind, hört eh keiner….
Darf ich Deinen Artikel als Unterrichtsmaterial benutzen? ich find eihn super! Weiter so….
Lieber Wolfgang,
danke für das Feedback! Der Text ist natürlich für jegliche Verwendung.
„Und nun ist der Leser hoffentlich dazu provoziert, einmal zu überlegen, ob es nicht doch heute noch mehr Werte in der Kunst gibt als Geld.“
Habe anlässlich dieser Provokation einmal wieder Oswald Wieners Essay „Wozu überhaupt Kunst?“ aus dem Jahre 1980 gelesen. Sein Punkt ist, dass Kunst eine Art von „Ergriffenheit“ bewirken kann, die (bisher) „durch kein verfügbares anderes Vorgehen ersetzbar ist“. Anschließend versucht er mit allen ihm zur Verfügung stehenden – Achtung, jetzt kommt’s – *wissenschaftlichen* Mitteln, die subjektive Bewusstseinslage „Ergriffenheit“ zu objektivieren. Nicht, dass ihm dies komplett gelänge (sonst hätten wir schon mehr von ihm gehört, denn er hätte längst den Nobelpreis), aber zumindest scheint mir dies die richtige Denkrichtung zu sein, wenn man nach „harten“ (d. h. naturalistischen) Kriterien für den Wert von Kunst sucht.
Es gibt auch den relativ neuen Trend der Neuroästhetik (siehe zB den Vortrag von Harry Lehmann, den ich hier mal gepostet habe – http://www.kulturtechno.de/?p=6457 ). Stehe dem aber einigermaßen skeptisch gegenüber.