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Zur Frage der Klangregie

Thomas Gerwin, künstlerischer Leiter des Internationalen Klangkunstfestes hat mir auf meinen Blogeintrag nach der Uraufführung von „Farben: Untersagt“ hin geschrieben und seine Platzierung der Klangregie mit Hinweis auf seinen interessanten Artikel in Positionen 60 erläutert. Ich zitiere daraus:

„Das Lautsprecher Setting, das ich in der Regel bei elektroakustischen Konzerten finde, versucht, den Zuhörer Raum akustisch so homogen wie möglich auszuleuchten. Das heißt, meistens acht oder sechzehn möglichst gleiche Lautsprecher möglichst in Ohrenhöhe in möglichst gleichen Abständen rund um die Zuhörer. Der akustische Raum wird vorher im Computer oder auf andere Weise konstruiert und dann durch die möglichst neutralen Lautsprecher während der Performance dargestellt. An dieser Raumdarstellung sind idealerweise immer alle Lautsprecher irgendwie beteiligt und es gibt, wie bei der Stereophonie, gute und schlechte Hörplätze. Die Güte einer Hörposition mißt sich daran, wie exakt sie ermöglicht, den vorher komponierten akustischen Raum zu hören und nachzuvollziehen. Es handelt sich dabei, überspitzt ausgedrückt, um eine Art »Rundum Stereophonie«. Dies ist in extremer Weise auch so bei der Wellenfeldsynthese; auch wenn dort zum Beispiel mit dem Joystick virtuelle Klangquellen relativ frei bewegt werden können, fungieren die Lautsprecher wie ein (Rundum )Monitor, der eine räumliche Illusion erzeugt. Der akustische Raum selbst wird im Rechner erzeugt und von den Lautsprechern dargestellt.

Demgegenüber verfolge ich einen prinzipiell anderen Ansatz. Ich gebe die übliche Zentralperspektive des Hörens einfach auf – zugunsten einer multivektorialen Rezeption. Anstatt zu versuchen, jedem Hörer das gleiche (als optimal definierte) Erlebnis im Brennpunkt der Lautsprecher Konfiguration zu verschaffen, erbaue ich eine Klanglandschaft, die ganz verschiedene Perspektiven bietet und jeden Hörer in die Lage versetzt, seine eigenen Erlebnisse zu bekommen bzw. sogar selbst zu kreieren.“

Tatsächlich ist für diese Art Elektronischer Musik der Platz der Klangregie freier wählbar. Die von mir in Anspruch genommene „Zentralperspektive“ hingegen erfordert einen Klangregisseur genau in der Mitte des Raumes. Ich finde Thomas Gerwins Ansatz plausibel und werde in Zukunft meine Musik vielleicht auch in diese Richtung öffnen; bislang aber ist mein kompositorischer Fokus schlicht auf ganz andere Dinge denn auf den Raum gerichtet. Spatialisierung hat mich bislang in meiner Musik, von Klavierstück 5 abgesehen, noch nicht interessiert, bzw. halte ich es für meine bisherigen Werke sogar für unerlässlich, dass der Klang nicht räumlich diffundiert wird.
In dem Zusammenhang kann ich meine Bemerkung zum Ende der Fortschrittslogik in der Kunst aus meinem Essay Medien der Komposition anbringen:

„Rüttelten viele Werke in der Kunst des 20. Jahrhunderts an den überkommenen Abgrenzungen der ästhetischen Wahrnehmung, müssen nachfolgende Werke, die in puncto Avanciertheit im Schatten jener Erfahrungen stehen, ihre alten Grenzen wiederum verteidigen. Da ist beispielsweise die Bühnensituation, Tableau zur konzentrierten Wahrnehmung allen klanglichen Geschehens, um deretwillen die „Magie“ nicht zerstört wird; womöglich lässt man auch die Mechanik der Instrumente, die Kompliziertheit ihrer Spielweise unkenntlich, doch erzielt man dafür innerhalb dieses Rahmens etwa mit Parametrik, allusiven Einsprengseln und formalen Querverweisen mannigfaltige Bezüge und Ausdifferenzierungen. In einem solchen Dilemma steckt politische Musik: Sie kann auf verschiedenen Ebenen in ihrem Sinne wirken, aber nie auf allen zugleich; und tut sie es auf der einen, benutzt sie andere in konventionellerer Form.“

Insofern bekenne ich mich zur Nutzung der „Zentralperspektive“ und hätte mir dafür den optimalen Klangregieplatz gewünscht, der umgekehrt der „multivektorialen“ Konzeption nicht im Wege gestanden hätte. Ich will hier aber bestimmt keinen Streit vom Zaun brechen, schon aus logistischen Gründen wäre mein Wunsch im Teehaus des Tiergartens nicht so leicht zu erfüllen gewesen und das Stück wurde, so wie es nun vor Ort eingerichtet war, auch nicht substanziell beeinträchtigt. Vielen Dank an Thomas Gerwin und Robin Hayward!