Berlin 29.7.
Selten einen so grausigen Traum gehabt. In einem Kerker, vom Aussehen ähnlich wie Peter Weiß in der >Ästhetik des Widerstands< Plötzensee beschreibt, steht die Hinrichtung an, ich mit vier anderen, wir kauern in der Ecke. Am anderen Ende des Verließes steht die kleine Guillotine, im Raum befinden sich nur ein Henker und wir Delinquenten. Und der Schreck, dass ich gleich der erste sein soll, dann aber erwirke ich, dass die Reihenfolge vertauscht wird und als erster ist ein kleiner General dran, das ist Götz George, völlig abgemagert, der folgsam hingeht und seinen Kopf hineinsteckt, und überraschenderweise passiert mit dem Fall des Beils ein kleiner Blitzeffekt, fast albern. Dann ein Kind, das auch noch ein Baby im Arm trägt, erst steckt es das Baby hinein, es ist nicht mit anzusehen... Der letzte vor mir mutiert plötzlich zum Clown und vollführt beim Beugen in die Guillotine einen kuriosen Körperzerlegungseffekt, streckt lauter quasi abgeschlagene Glieder aus, so dass niemand weiß, ob das Körperteil jetzt schon abgeschlagen ist oder ob das seine Clownerei ist. Jetzt wäre dann bald ich dran. Beim Beobachten noch kurze Gedanken in dem wahnsinnigen Stress: Früher warst du lebensmüde, warum hast du jetzt Todesangst? Wenn es erst mal vorbei ist, ist dir alles egal, denn dein Bewusstsein ist erloschen. Aber komischerweise kommt auch noch eine vage Aussicht ins Spiel, dass später dank Technologie auch mein Bewusstsein wieder hergestellt werden kann, aber ich glaube es nicht, also will ich jetzt nicht sterben, noch zu jung. Während der kubistische Clown noch, riesenhaft mutiert, in der Guillotine steckt, wache ich eilig auf.
Bin mit dem Leben davon gekommen, aber der Vormittag ist versaut.
Vorbereitung des Vortrags über Gravitation. Jetzt erst fällt mir auf: Eine der unerbittlichsten Grenzen im Raum ist die Erdoberfläche. Sonden schicken wir bis an den Rand des Sonnensystems (Rekordentfernung von der Erde: Voyager 1, derzeit 20,3 Milliarden Kilometer), aber bohren können wir gerade mal 12,2 Kilometer tief (Kola-Bohrung, Russland). Die Sicherheit, die uns die Anziehungskraft gibt, fesselt uns an ein unergründliches Zentrum. Jede Muskeltätigkeit geht gegen diesen Kern, >Negation< gegen diesen einen minimalsten Punkt, der jedes Atom auf diesem Planeten zu sich zieht, aufgehalten von der Erdkruste. Dieser eine Bezugspunkt, in dessen Richtung alles angezogen wird, hat selber aber gar keine Anziehungskraft, sondern die Masse um ihn herum. Die Masse zieht alles an eine Stelle, welche notwendig unerreichbar bleibt. Der Punkt, in dessen Richtung alles flieht, wird nicht erreicht, aufgehalten just von jener Kraft, die uns dorthin zieht; ähnlich die exzentrischen Laufbahnen der Planeten (nebenbei: in Ellipsen, nicht Kreisen; >Schönheitslinien<, Ellipse als >differenter Kreis<) um eine unnahbare Sonnenergie. Die Erdmasse selbst schart sich um das Zentrum, von sich selbst daran gehindert, ihn zu berühren. Erdmasse ist Kraft und Gegenkraft zugleich. Und nicht nur sie zieht den Stein an, sondern auch der Stein die Erde. Die Schwerkraft ist Philosophie par excellence. Hegel hat ihr ja auch entsprechend in seiner Naturphilosophie prominenten Platz eingeräumt.
Siehe auch: Die Schwerkraft ist hypothetisch, weil wir ihr Gegenteil nicht kennen. (Oswald Wiener)
Links:
Kola-Bohrung
Rekorde der Erdentfernung
Thx 4 inspiration:
https://www.facebook.com/notes/esther-kochte/die-gravitation-entspricht-unserer-sehnsucht-nach-gott/1168095053251886