Berlin, 27.7.
Gestern Aufnahmen im Hauptstadtstudio mit Arno fürs Hörspiel. Der Beginn soll gleich mal mit Grabesstimme sein. Immer alles irgendwie speziell machen, Originalität reinbuttern wo’s nur geht. So ist das eben.
Heute morgen noch zwei mal das Hörspiel durchgehört, dieses Durchgehöre noch und nöcher ist brutal, #Hörarbeit.
Den Rest des Tages Fotoshooting mit Leo. Empfehle ihr, sich auszuziehen, das würde dem Fotomodell (=mir) sehr helfen.. und prompt leuchten die Augen des Posierenden. Bei den Stuten nennt man das „blitzen“; passt zum Fotografieren. Zwischendurch wird dann auch ein Venusopfer entrichtet, während es draußen gewittert.
Später suchen wir draußen nach einer besonderen Location, tun uns aber schwer. Dabei, wie wir später erfahren, gab es in anderen Stadtteilen infolge des Gewitters just sagenhafte Überschwemmungen.
Berlin, 28.7.
So wie früher die Mutter dem Zögling, der ein unflätes Wort in den Mund genommen hatte, eben diesen Mund zur Strafe mit Seife ausgewaschen hat, so die Ohren mit Seife auswaschen, wenn sie etwas zu hören bekommen haben, das sie nicht sollen.
In den Text Der erweiterte Musikbegriff, der vor nunmehr fast zwei Jahren zum ersten Mal erschienen ist und an dem ich immer noch rumfeile, den Witz integriert, wo es um zusätzliche Nutzung anderer Medien als Klang geht, dass es manchmal eben nicht nur genüge, dem Publikum etwas in die Ohren zu geben, sondern ihm auch mal etwas hinter die Ohren geschrieben werden müsse.
Heute die Passage wieder entfernt, „sich hinter die Ohren schreiben“ ist ja auch so ein Straf-Ding, Pädagogik und ich hör die Antipoden wieder husten, das sei ja „didaktisch“. Was ist eigentlich an Lernen schlimm? Ich habe von anderen Komponisten extrem viel gelernt. Wer sich über Didaktik in der Kunst beschwert, scheint wohl schon alles zu wissen. Es ist bezeichnend: Ein Musikwissenschaftler schreibt in einem Lexikonartikel abwertend, Fremdarbeit sei „didaktisch“. Fun fact: Er hat das Stück noch gar nie live erlebt.
Bach, Präludien und Fugen. Die Präludien viel interessanter, viel moderner als das olle Fugengedrechsel. Mit der paradoxen Ausnahme: Ausgerechnet von der >Kunst der Fuge< kann ich nicht genug kriegen. Da hat er sich halt mal angestrengt... nein, da hat er die Gattung/Form völlig entgrenzt, aberwitzigste Konstruktionen, und just daraus kommt die schönste Fugenmusik, die er je schaffen konnte.
Lucier, Sitting in a room. Eigentlich ja genau die Gefahr bei Hegel, der Eintritt in einen Unendlichkeits-Kreis, der fatale Fallstrick, der Computerabsturz im ewigen Loop. Wir alle müssen uns bemühen, dass I am sitting in a room nicht passiert. I am sitting in a prison wäre der richtigere Titel. Kein Wunder, dass Hegelianer Spahlinger „I am shitting in a room“ sagt, obwohl er das nur als Kalauer meint.
Der Abgrund der Unendlichkeit tut sich bei jedem Begriff, bei jedem Konzept auf, die Möglichkeit der infiniten Variabilität. Wir sagen „Blatt“ und es gibt dessen unzählbare Beispiele. Jeder Abstraktion liegt eine monströse Liste zugrunde. Noch schlimmer aber die Beispiele, die sich nicht zusammenfassen lassen, das Chaos des unbekannten Konzepts. Thema des Hörspiels.
Zehren von vergang’nem Glück. Müssen wir uns nicht das >totale Archiv< als einen riesigen Glücksspeicher vorstellen? In diesem Sinne Tagebuch führen.
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