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Aus Tralien #4

Radziejowice 23.7.2016
Besuch vom Kultusministerium, das den Kurs finanziell fördert, wird angekündigt. Man solle sich also >benehmen<, wird mit Ironie verlautbart. Im Einzelunterricht schneit der Subalterne rein, debiler Typ, der mal Komponist war, wie er sagt, und übernimmt den Unterricht und kritisiert das vorliegende Stück der Studentin. Als er uns einmal den Rücken kehrt, werfen die Organisatorin und ich uns Grimassen zu. Ich hab ihm alles in höchsten Tönen gepriesen, und damit es nicht völlig affirmativ aussieht, noch einen Hauch von Kritik einfließen lassen: In den Räumen des Schlosses müffele es etwas. Abends mit den Studierenden über Pornografie- und Gewaltvideos im Netz. Alle Beteiligten, in dem Fall nur männliche Diskutanden, schauen sich die IS-Hinrichtungsvideos an. Voyeurismus, klar, ich wollte auch mal sehen, wie das wirklich aussieht, wie das Blut aus dem Gesicht verschwindet, das Verdrehen der Pupillen, das Zusammensacken. Und zumindest bei Soldaten kann man sich ja auch denken, dass die Getöteten selber ihr Mordhandwerk ausübten. Aber es hat auch etwas Aufklärerisches: Es heißt, im syrischen Bürgerkrieg seien bislang 400.000 Menschen ums Leben gekommen. Die Zahl macht einen verzweifelt und ohnmächtig, aber es ist eine Zahl. Der IS gibt der Zahl Gesichter, aschgrau werdende. Genauso mit den Bildern angeschwemmter Leichen im Mittelmeer. Desastres de la Guerra. Schwierige Aussage, aber für mich würde ich sie treffen: Die Würde der Gestorbenen, ja, aber die Welt soll etwas davon sehen, wie das Mittelmeer täglich zum Massengrab wird. Sollte ich so einen beschissenen Tod sterben, dann möge es wenigstens ein Foto davon geben mit aufschreckender Wirkung. Vielleicht wäre das einzige, was Kunst machen sollte, Bilder von Toten zu zeigen. Nachts noch Messages. Wenn du nichts mehr zu verlieren hast, kannst du auch nichts mehr gewinnen. Zum Wuchern brauchst du ein Pfund. Das Potenzial des Verpassens ist monströs, in der Größe und in der Auswirkung. Leben heißt verpassen. Radziejowice 24.7.2016 Es beglückt mich überraschend stark, wie sich Dinge wandeln: Das politische Bewusstsein der Jugend ist heute ein so ungleich stärkeres als in meiner Jugend. Die zweite Hälfte des Kurses starker Tinnitus rechts, immer wieder fast Halluzinationen. Instrumentalisms. Die Nähe von Konzeptualismus zu Surrealismus, beides Praktiken mit Semantik, Adorno sprach von "literarischen Bildern". Insofern >literarische Musik<, aber geben ganz anders als expressive Narratismen. In den Instrumentalisms war klar, dass es nichts zu erzählen gibt, stattdessen brachial: Masse. Es sollte noch viel mehr Versionen davon geben, je mehr, desto besser ist das >Stück<. Anflug auf Berlin. Immer wieder erstaunlich, wie viele Häuser im Hintergarten einen Swimming Pool haben. Und dass die immer hellblau sind. Später fällt mir ein, das können ja auch nur so aufblasbare für 80€ sein.