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China-Tagebuch #4

26.10.2005

Am nächsten Tag Seminar, das dann allerdings ein voller Erfolg wird, auch wenn es absurd ist: Wir erklären und erklären, programmieren, und alle nicken und sind begeistert, aber aus Erfahrung weiß ich, dass kein Mensch das Zeug so schnell kapieren kann. Wie dem auch sei, ein Professor aus Shanghai will uns fürs nächste Jahr einladen, allerdings hat er eine so nervige Assistentin, der ich fortan immer aus dem Weg gehe, und vielleicht darum hat es dann letztlich doch nicht geklappt.

Auch sehr schön war der Workshop von Nicolas Collins, amerikanischer Elektronik-Bastler in bester Cage-Lucier-Tradition. Von ihm erfahre ich zum ersten mal von „Hardware-Hacking“, Spielzeug, Kartenleser, Radios werden manipuliert, sprich: zu Instrumenten gemacht. Wir brechen zu dem Behufe bald auf zu einem Elektronik-Markt. Es ist ein Zeile von großen Hallen in denen viele Kleinhändler ihre Stände haben, hauptsächlich für Unterhaltungselektronik und Klamotten.

Hier muss man feilschen, ganz klassisch nach allen Regeln der Kunst, wie unsere chinesischen Führer für uns vormachen: Der Händler beginnt mit einem exorbitanten Preis, das Gegenüber muss mit praktisch Null dagegenhalten, dann nähert man sich langsam an, angereichert mit Drohungen, den Handel abzubrechen, das sogar tatsächlich andeuten und zwischendurch weggehen, sich wieder herrufen lassen, die Verhandlungen fortsetzen, sich auch mal anschreien oder jammern, taktische Pausen einlegen, beiderseits an die kranke Großmutter gemahnen – kein Witz! Ich finde das nicht im Geringsten ergötzlich sondern eine unsägliche Energie- und Zeitverschwendung, bis man endlich so ein kleines Kinderspielzeug erworben hat; uns kann der Preis eigentlich egal sein, er ist sowieso scheußlich ungerecht billig. Später kaufe ich auf eigene Faust, es geht nur, indem ein Taschenrechner hin- und hergereicht wird, in den beide Parteien ihre Preisvorstellung eintippen, aber selbst um die meisten Dramen gespart geht es ewig, man will sich nun doch nicht wie ein Gelackmeierter fühlen und muss das Spiel eben mitspielen wie Brian bei Monty Python. Als ich später das kleine Transistorradio unseren chinesischen Führern vorzeige und den Preis nenne, den ich dafür erfeilscht habe, stöhnen sie natürlich und sagen, das wäre viel billiger zu haben gewesen. Ich hasse Feilschen und lobe mir westliche Gesetze.
Das Radio wird dann unter Collins Instruktionen tatsächlich ein fantastisches Instrument, schließlich hat die Platine im Grunde die gleichen Module wie die, mit denen ich programmiere, und ich kann sie einfach mit meinen angefeuchteten Fingern verschieden „verkabeln“, wie Collins in gutem Vergleich beschreibt.

Frappierend ist beim Festival die Häufigkeit von Stücken für fünftausend Jahre alte Flöte – und Computer. Die Chinesen, die mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 15% in die Zukunft rasen, wollen irgendwie noch den Spagat zu ihrer alten Kultur hinkriegen. In aller Prägnanz stellt das ihre Musik dar, auch wenn es klanglich nach schlecht nachgemachter westlicher Neuer Musik klingt.

Auf der Straße Plagiate und Raubkopien westlicher Produkte überall.