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Bemerkungen zu ‚Diesseitigkeit‘ und ‚Neuer Konzeptualismus‘ von Max Nyffeler und Bernd Künzig

Was ist da nur los? In den letzten 1-2 Jahren sind in der Neue-Musik-Publizistik die Themen „Diesseitigkeit“ und „Neuer Konzeptualismus“ entwickelt / aufgegriffen worden, das hat sich herumgesprochen. Nun formiert sich eine Gegenseite, das ist auch gut. Aber: Was dieser Gegenseite fast nur einfällt, ist unverhohlenes Anrempeln, unsachliches Beleidigen, gekränktes Polemisieren und spitzfindiges Fehlerchennachweisen. Statt dass man Gegenargumente, eine fundierte Alternativperspektive auf Innovation heute vorstellt und auf demselben Niveau ausführliche, aufwändige Texte schreibt. Die einzige Ausnahme bildet da Tobias Schick. Hingegen gesellt sich zu Stefan Drees und Frank Hilberg jetzt noch Glossist Max Nyffeler, der in der NMZ verlautbart, dass die junge Komponistengeneration sich in der Sackgasse befände (natürlich typisch für Kritiker: Er sagt aber nicht, wo der richtige Weg langgeht.)

In der Praxis sieht das dann so aus, dass Alltagsgegenstände vom Pappbecher bis zum Metallschrott in einem Anfall von Trivialmaterialismus zu künstlerisch verwertbaren Gebrauchsgegenständen umcodiert und damit in den Rang von ästhetischen Objekten erhoben werden. […]
Inzwischen nähert sich ein anderer Philosoph der Bastlertruppe, um ihren Bemühungen um Welthaltigkeit das nötige begriffliche Korsett zu verpassen: der nette Theoriedoktor Harry Lehmann. […] [er] ist nun dabei, unter dem Motto der „gehaltsästhetischen Wende“ einen neuen Begriffskäfig zu bauen, in dem sich die Diesseitigen zu Hause fühlen können.

(Der Text steht nicht online)

Der Text ist kurz, er setzt sich nicht wirklich mit den Analysen und Ideen der adressierten Komponisten, geschweige denn mit konkreten Werken auseinander, und der Stil macht ihn unangreifbar, weil man sich auf so ein Niveau („Bastlertruppe“, „der nette Theoriedoktor“) nur begeben kann, wenn man Max Nyffeler heißt.

Nyffeler hat ja früher schon die Digitalfraktion mit den italienischen Faschisten verglichen (nachträglich hat er den Text dann noch etwas abgemildert, aber sinngemäß steht es immer noch da), und auch ihm gebührt die goldene Garantiezitrone für diesen Text. Schon lange weiß man, dass Nyffeler es sich im Kulturpessimismus bequem macht, er freut sich über jede schlechte Nachricht, um dann altklug kundzugeben, er habe es ja schon immer gewusst. Mir leuchtet nicht ein, warum man solchen Typen ein Schreibforum in renommierten Organen gibt. Ich frage mich überhaupt, was die sich dabei denken, diesen Stil an den Tag zu legen. Soll diese Glossenkotzerei jemanden überzeugen? Oder wollen die mit Gewalt der Öffentlichkeit zeigen, über welche Kapazitäten sie verfügen, bzw. eben nicht? Und das häuft sich dann auch noch derart.

Wenigstens steht in der aktuellen NZfM noch ein seriöser Beitrag von Bernd Künzig, eine Antwort auf Harry Lehmann und mich, in dem er Vergleiche der Musik mit der Bildenden Kunst problematisiert.

«Auf der Biennale von Venedig und auf der ‹documenta› ist Konzeptkunst gängige Praxis.» Fragt sich nur, von wem. Und weil sie dort gängige Praxis ist, muss sie das auch in der Neuen Musik sein? Ist Konzeptkunst gängige Praxis der Künstler oder vielleicht doch eher der Kuratoren? Selbstredend war die historisch gewachsene Idee der Biennale und der «documenta», Foren der aktuellen künstlerischen Tendenzen zu sein. In einer global sich vergrößernden Wirklichkeit ist aber kaum ein künstlerischer Leiter einer derartigen Unternehmung noch in der Lage, ein derartiges Überblicksforum zu gewährleisten. Catherine David hat konsequent die zehnte «documenta» zur kritischen Bilanz dieses eigenen Forums am Ende des Jahrhunderts herangezogen. Die Bilanz geschah mit den Theorien und Praktiken der Konzeptkunst und deren selbstreflexiven, institutionskritischen Ansätzen. Dieser «Triumph» der Konzeptkunst 1997 lässt sich aber methodisch nicht wiederholen. Dass dennoch diesem Wiederholungsprinzip der internationale Kuratorenzirkus gefolgt ist bis hin zur Entschärfung, muss weder gegen die Konzeptkunst noch gegen die Künstler ins Feld geführt werden. Das Dilemma, die gesellschaftspolitische Relevanz der Kunst unter den Zugzwang des Beweises stellen zu müssen, hat zum Prinzip des «Weniger Kunst, mehr Konzept» geführt. Die radikalen Gesten der 1960er und 70er Jahre sind dadurch selbst zum abrufbaren Werkzeugkasten von kuratorischer Auftragskunst geworden.Wer im Verein mitspielen will, bietet schon mal konzeptuelle Ansätze an. Im Gegenzug dazu haben sowohl die kuratorischen Ansätze der letzten «documenta» als auch der vergangenen Biennale in Venedig auf die Gegenstrategie gesetzt, das Neue als das Nachgeholte zu präsentieren.

(Der Text steht nicht online)

11 Kommentare

  1. „Was ist da nur los?“ – Wie wär’s mit „intellektueller Bequemlichkeit“?

  2. Verfickte Kackscheisse sagt:

    Wie wär’s mit: Haltet doch einfach alle eure Schnauze ?

    Ständig müssen irgendwelche elitären Sackgesichter anderen elitären Sackgesichtern irgendwas vorschreiben. Auch der Zwang immer alles einordnen zu müssen ist einfach nur erbärmlich.

  3. hufi sagt:

    Jetzt ist der Text von Max auch online einzusehen. http://www.nmz.de/artikel/in-der-sackgasse

  4. @Verfickte Kackscheisse: Wenn das die Travestie eines Trollkommentars sein soll, dann ist sie ziemlich gelungen, Gratulation ;-)

  5. Max Nyffeler sagt:

    Lieber Herr Kreidler,

    per Zufall bin ich auf Ihre obigen Bemerkung gestoßen und möchte als einer „jener Typen“, denen Sie offenbar am liebsten das Handwerk verbieten möchten, bloß anmerken, dass Sie es sich zu einfach machen mit Ihrer Behauptung, ich hätte „ja früher schon die Digitalfraktion mit den italienischen Faschisten verglichen“. Vor allem stimmt es nicht, dass ich den Text „nachträglich abgemildert“ hätte. Das ist eine glatte (Selbst-) Täuschung. Er steht und stand immer in der gleichen Form sowohl in der Print- als auch in der Online-ausgabe der NMZ, und da lautet die entsprechende Stelle:

    „Der frühere Propagandist des Komplexismus [gemeint ist C.S. Mahnkopf] outet sich hier als ein überzeugter ‚analoger‘ Komponist, der zwar den Computer nicht ablehnt, aber seine Rolle im kreativen Prozess kritisch relativiert haben möchte. Zu Recht, denn jede Art von Maschinengläubigkeit macht betriebsblind. Man sollte sich stets das Beispiel der Futuristen vor Augen halten; diese Auto- und Flugzeugnarren begannen als lärmige Fortschrittspropheten und endeten als jämmerliche Mussolini-Verehrer.“

    Jetzt möchte ich aber gerne wissen, was daran falsch sein soll.

    Ich bewundere den Mut, mit dem Sie sich ins digitale Schlachtfeld stürzen und sich auch als Performer persönlich exponieren. Trotzdem erlaube ich mir die Meinung, dass eine Ästhetik gefährliche Tendenzen aufweist, wenn sie sich in der Wahl der Mittel vorbehaltlos der digitalen Logik ausliefert und den lebendigen künstlerischen Akt – und damit letztlich auch den Menschen – auf ein Spiel mit Datensätzen reduziert. In gewisser Weise kann ich verstehen, wenn Sie meine „Beckmesser“-Kolumnen beschissen finden, aber ich könnte mir auch vorstellen, dass Sie als selbstkritischer Akteur in diesem einen Punkt insgeheim vielleicht sogar ähnlich denken wie der unqualifizierte Glossenkotzer. (Der originelle Ausdruck gefällt mir!)

    Übrigens, noch zu Ihrem Vorwurf, ich sage nicht über den „richtigen Weg“: Ich bin kein Missionar und weiß diesen Weg so wenig wie Sie. In meiner Kritik der „Diesseitigkeits-Ästhetik“, über die Sie sich so ärgern, habe ich allerdings angedeutet, was ich an dieser m.E. extrem reduktionistischen Sichtweise auf die Wirklichkeit vermisse: „Die dialektisch dem ‚Diesseits‘ eingeschriebene Kehrseite“ etc. (http://www.nmz.de/artikel/in-der-sackgasse) Dies als kleiner Hinweis.

    Es grüßt Sie freundlich
    Max Nyffeler

  6. Kreidler sagt:

    Lieber Herr Nyffeler,
    danke für Ihre Entgegnung.
    Zu Ihren Bemerkungen: Ich könnte schwören, in der Online-Ausgabe war zuerst zu lesen „endeten als jämmerliche Faschisten“.
    Wie dem auch sei: Der Vergleich ist völlig überzogen. Haben Sie schon mal was von Godwin’s Law gehört? http://de.wikipedia.org/wiki/Godwin%E2%80%99s_law

    Ich kenne übrigens niemanden im Bereich der Kunstmusik, der sich „vorbehaltlos der digitalen Logik ausliefert“.

    Diesseits-Jenseits, da bin ich einverstanden, ich mag den Diesseitigkeits-Ausdruck nicht sonderlich, eben weil er dieses Gegenteil impliziert, ob man will oder nicht.

    Wiederum: Also wenn Sie unzulässigen „Reduktionismus“ anprangern, dann sollte Sie das in einem ausführlichen Text machen…

    Herzlich
    Johannes Kreidler

  7. Max Nyffeler sagt:

    Ich habe nicht verglichen, sondern wollte nur – unabhänging von Ihrer Person – auf die politischen Konsequenzen einer unkritischen Technikverehrung hinweisen, und da scheint mir das Verhaltensmuster der Futuristen eben besonders lehrreich zu sein. Aber ich schlage vor, dass wir diese Mussolini-Geschichte jetzt beiseite lassen, die Diskussion führt nicht weiter. Nur noch soviel, zur Klarstellung: Ich habe Sie zwar tüchtig angegriffen, vor allem, weil mir in der damaligen Situation („Piraten“) ihr provokanter Aufruf zum Benutzer fremder Materialien einfach auf den Geist ging, doch es war nicht meine Absicht, Sie in die Nähe der Faschisten zu rücken. Ich halte von solchen Apostrophierungen in der heutigen Zeit nichts, es war ja alles viel schlimmer als wir uns heute vorstellen.
    Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass ich verkürzt argumentiert habe. Aber, wie Sie auch richtig festgestellt haben, es ist eben eine Glosse und kein analytischer Artikel. Eine Frage der Textsorte. Vielleicht ergibt es sich ja mal eine ausführlichere Gelegenheit.
    in diesem Sinne, Ihr M.N.

  8. Hermann sagt:

    Ich verstehe den Vorwurf an Max-Nyffeler nicht, keine Alternativperspektiven auf Innovation heute aufzuzeigen bzw. nicht zu sagen, wo der richtige Weg langgeht. Meiner Ansicht nach ist dies bezüglich Kunst doch gar nicht Sache des Kritikers, im übrigen auch nicht in erster Linie des Philosophen, sondern des Künstlers.

  9. Kreidler sagt:

    Dann soll er wenigstens sagen, welche Künstler er dagegen für die ‚richtigen‘ hält. Nur zu sagen „so isses falsch“ ist zu einfach.

  10. Max Nyffeler sagt:

    @J.Kreidler: Ich fürchte, Sie überschätzen die Rolle der Kritik, und überhaupt des „Theorie“ genannten Redens über Musik. Es ist wie beim Fußball: Das Spiel wird auf dem Platz entschieden (wie heute Abend Real gegen Atletico, 4:1) und nicht in der Zeitung, und das ist in diesem Fall die real erklingende Musik.

  11. „[…]wo der richtige Weg langgeht. Meiner Ansicht nach ist dies bezüglich Kunst doch gar nicht Sache des Kritikers, im übrigen auch nicht in erster Linie des Philosophen, sondern des Künstlers.“

    Meinerrr Meinung nach brrraucht es wiederrrrrr EINEN Führrrrrrrerrrrrrrr, derrrr uns saaaaaaagt, besser anschRRRRRRReit, WO ES LANGZUGEHEN HAT.