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Kategorie Theorie

Linktipp: Über das Ende der Neuen Musik als Avantgarde

Genoel von Lilienstern hat einen sehr lesenswerten Text über das Ende der Neuen Musik als Avantgarde in den 1970er Jahren geschrieben, auch formal schön mit begleitenden YouTube-Videos:

http://avantgardepop.tk/?p=61

Ein bemerkenswertes Fundstück darin sei auch hier eingebettet: Veit Harlan, Regiesseur von NS-Filmen wie „Jud Süß“, widerstand jeder Entnazifizierung und produzierte auch 1957 noch einen Film wie „Anders als Du und ich“, in dem er entartete Kunst elektronische Musik und sexuelle Perversion Homoerotik als wesensverwandte Irrungen des jungen Protagonisten darstellt. Am Ende des Films ist der Zögling nach Genoels Auskunft geheilt heterosexuell verbandelt und hört Chopin.

HOWTO make art without getting „ripped off“ online

Die Künstlerin Gwenn Seemel macht sich ein paar gute Gedanken über Kunst im Netzzeitalter, was den Betrachter zu weiteren Gedanken anregen möge.

Imitate this. from Gwenn Seemel on Vimeo.

1) Be original. I aim to make art so original that no one will question who made it.

2) Sell only live art. I’ve given up on the idea that art in reproduction is for sale and I focus on making work that is better in person than in reproduction.

3) Pursue credit in innovative ways. No one has ever claimed a reproduction of my work as their own, but when I’ve known about images of my work being used without any mention of my name I’ve approached the situation as a teaching opportunity or used it as an illustrative point.

4) Embrace the copying of style. Lots of people make originals that resemble mine somewhat, and it makes me feel pretty good about my work.

5) Don’t assume that anyone is copying style. It’s usually pretty difficult to be sure that anyone is copying anyone else. That said, if another artist was making and selling works that I was certain were copies of my paintings, I would probably talk about them on my blog. It would drive Internet traffic looking for them to me.

6) Be clear about what you want from the world and from the Internet. I make sure everyone knows where I stand with regards to copyright. At the bottom of every page of my site, there’s a smiley face instead of a ©. Click on the face and it takes you to a page that fully explains my beliefs.

(via BoingBoing)

Tageslink: Untimely Meditations/ Staat en Lyriek

Piet Joostens hat meinen Kulturtechno-Beitrag über die Musikalisierung von Louis van Gaal zum Anlass für einen Essay genommen (für alle flämischkundigen Kulturtechnoleser):

http://www.ny-web.be/untimely-meditations/staat-en-lyriek.html

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„Mein Schreibzeug“ @ Positionen 84

In der Zeitschrift Positionen erscheint in der Ausgabe 84 (ab Mitte August erhältlich) mit dem Thema „Neukontextualisierung – Generationenwechsel“ ein kürzerer Text von mir mit dem Titel „Mein Schreibzeug“, in dem es um die heutigen Produktionsbedingungen des Komponierens geht.

Snip:

Die Möglichkeiten des Komponierens haben sich für mich durch den technologischen Fortschritt stark erweitert. Beispielsweise wird die seit Jahrzehnten ausgegebene Parole „anything goes“ überhaupt erst jetzt real – weil mittels Computer und Lautsprecher nun tatsächlich alles Klingende eingesetzt werden kann. (Bis vor zehn Jahren war „alles“ fast nur im Rahmen der klassischen Instrumente machbar.)

Mit der Emanzipation vom Klassik-Image erledigen sich dann meines Erachtens diverse, gern genutzte Nährböden der Kunstmusik: neoromantische Ausdrucksoffenbarungen, Neue-Musik-Simulationen, Stilprovokationen oder Kritik am „philharmonischen Schönklang“. (Die Berliner Philharmonie ist ein Altenheim – will ich ein Altenheim kritisieren?)

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Musik Ästhetik Digitalisierung – Eine Kontroverse

jetzt ist es raus und bei www.wolke-verlag.de erhältlich:
Das Buch von Harry Lehmann, Claus-Steffen Mahnkopf und mir.

Musik, Ästhetik, Digitalisierung – Eine Kontroverse

Jetzt ist es amtlich:

Am 17. August erscheint im Wolke-Verlag das Buch „Musik, Ästhetik, Digitalisierung – Eine Kontroverse“. Dem war ein öffentlicher Disput zwischen Harry Lehmann, Claus-Steffen Mahnkopf und mir vorausgegangen (Kulturtechno berichtete).

Das Vorwort des Verlegers:

2009 veröffentlichte der Physiker und Philosoph Harry Lehmann einen kurzen, provokanten Text mit dem Titel „Die Digitalisierung der Neuen Musik. Ein Gedankenexperiment“ in dem er die Folgen der digitalen Revolution für die Neue Musik hochzurechnen versucht, die inzwischen alle Bereich der musikalischen Produktion, Rezeption und Distribution zu erfassen beginnt.
Konkret werden diese Auswirkungen an drei institutionellen Säulen untersucht, auf denen die Neuen Musik ruht: in Bezug auf den Musikverlag, der das Notenmaterial herstellt, das Ensemble, welche die Kompositionen hörbar macht, und die Musikhochschule, welche das für die Neue Musik erforderliche Spezialwissen vermittelt. An allen drei Säulen ließen sich erste Erosionserscheinungen der Institution beobachten, welche so gravierend seien, dass sie – so die weitreichende Vermutung – zu einer Reformulierung der Idee und des Begriffs ‚Neuer Musik‘ führen könnten.
In seinem Beitrag „Zum ‚Materialstand‘ der Gegenwartsmusik“ definiert der Komponist Johannes Kreidler ‚Klang‘ nicht mehr als Zweck, sondern als Mittel des Kompositionsprozesses. Am Ende der vollständigen Digitalisierung allen musikalischen Materials werde einmal eine völlige Bemächtigung alles Klingenden stehen. Ein immenser Pool verfügbaren Klangmaterials eröffne ungeahnte Chancen für eine Semantisierung von Klang in gänzlich neuen Kontextualisierungen und Funktionalisierungen. Die Medienrevolution mittels Internet führe die Neue Musik aus ihrer ästhetischen Isolation. Netzwerke konkurrierten künftig nicht nur mit den traditionellen Aufführungs- und Vermittlungsräumen, sondern verschafften Neuer Musik ein vollständig neues Podium der Wahrnehmung und Kommunikation.
„Neue Technikgläubigkeit“ betitelt der Komponist Claus-Steffen Mahnkopf seine Antwort. Hinter Abspielprogrammen und Klangmischverfahren etwa eines „Soundshops“ verschwänden Mikrorhythmik, die Räumlichkeit des Klangs, Sinnzusammenhänge, ja das musikalische Subjekt – insgesamt der Eros der Musik. Kompositionsprogrammen, seien sie mathematisch noch so ausgereift und ließen sich alle Stile der Musikgeschichte dort programmieren, würden nur mehr oder weniger schlechte und stereotype Kopien hervorbringen und könnten nie so etwas wie künstlerische Kreation schaffen. Fortschritt verenge sich auf ein technisches Verfahren und rein technizistische Konzepte. Eine Computerkomposition gelange bestenfalls zu einem Mischergebnis einer kunstlosen „Musik mit Musik“.
In diesem Buch prallen Welten aufeinander. Die digitale Revolution scheint wie ein Angriff auf den etablierten Musikbetrieb. Dieser gilt nicht nur dem Klangkörper, sondern dem Studium, der Praxis, der Vermittlung, der Aufführung und der Verbreitung neuer wie alter „ernster“ Musik überhaupt. Die hier vertretenen Positionen lassen einen Generationenkonflikt vermuten, derer, die mit der Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Computer als einer „zweiten Welt“ aufgewachsen sind und sich mit der Quantifizierung und Beschleunigung einen Zugewinn an Freiheit versprechen, mit dem, der sich einem emphatischen Werk- und Kunstbegriff verpflichtet sieht und damit dem Immanenzprozess künstlerischer Produktion. Fortschrittsgläubigkeit in der Kunst ist keine neue Sache. Vor gut hundert Jahren formulierte Filippo T. Marinetti sein erstes Futuristisches Manifest einer neuen Maschinenkunst. Es sollte aber hundert Jahre dauern, bis die technischen Möglichkeiten auch einen qualitativen Quantensprung erahnen lassen. An dem Punkt der „Qualität“ scheiden sich nun die Geister. Und: Erschlägt das Konzept die Idee oder geht letztere im ersten auf…
Komposition, musikalische Praxis und musikalische Wahrnehmung stehen an einem Scheideweg. Die rasche Entwicklung der digitalen Welt samt ihrer Vernetzung wird für die musikalische Kreation nicht folgenlos bleiben. Zu lange Zeit war es still um musikästhetische Differenzen in neuer Musik. In der vorliegenden grundsätzlichen Kontroverse werden nun überfällige und drängende Fragen an die Zukunft neuer Musik gestellt und teils polemisch ausgefochten.
Die Kontroverse, die nach Harry Lehmanns Eingangstext zwischen Johannes Kreidler und Claus-Steffen Mahnkopf geführt wird, bleibt schlussendlich ergebnisoffen und wird sicher zu Folgediskussionen Anlass geben. Mit den abschließenden Beiträgen wurden persönliche Texte aus dem erweiterten Umfeld der Debatte vereinbart.

Hofheim, Juni 2010
Peter Mischung

Hier das Inhaltsverzeichnis.

Kreidler / Lehmann / Mahnkopf
Musik, Ästhetik, Digitalisierung
Eine Kontroverse
176 S., pb., € 17.–
978-3-936000-84-9

Komponieren heißt: ein Instrument klauen

Außer dem selten noch gelingenden Kunststück, einen nie gehörten Klang hervorzuzaubern, bedient man sich zwangsläufig des Bestehenden. Das sind nicht nur musikalische Grundelemente, wie die 88 Tasten des Klaviers, sondern auch größere Zusammenhänge. So wie man eine Taste verschieden anschlägt, modifiziert man auch gegebene Strukturen. Darum soll sich, wer etwa ein Geräuschfeld für sein Stück braucht, einfach eine Partiturseite Lachenmann („Komponieren heißt: ein Instrument bauen“) nehmen und gebrauchen, statt sich noch mal (quasi) eigene Strukturen aufzubauen. Die Komponisten arbeiten noch viel zu viel an der falschen Stelle. Genug gebaut!

Wir leben im Zeitalter des unweigerlichen Paneklektizismus. „Eklektizismus“ gilt allerdings meist als Pejorativum. Dabei wäre doch vielmehr zu kritisieren, WAS übernommen wird (und wofür!). In Deutschland scheint man nicht von der Norm loszukommen, dass wenn schon eindeutig Musik zitiert wird, dann nichts unter der ganz „großen“ Tradition: Beethoven, Schumann, Brahms – als ob man damit sein eigenes Niveau rangieren könnte! Exemplarisch falsch: Manos Tsangaris‘ Musiktheater Batsheba. Vorlage war die Zeitungsgeschichte über einen im Chatroom angebahnten Eifersuchtsmord. Dem im Jetzt Angesiedelten musste Tsangaris um der musikgeschichtlichen Langzeitwirkung dann aber unbedingt mythologischen Urgrund, die alttestamentarische Weihe beigeben (umgekehrtes Regietheater, sozusagen). So verfehlt geriet denn auch die Musik. Schon die Bildungshuberei ist nervig. Noch mehr aber können Arbeiten mit zeitlosen, den „ewigen“ Themen heute eben fast nichts mehr ausrichten: Shakespeare und ein paar Weitere haben da einfach schon alles zu Leistende geleistet.

Umgekehrt braucht es aber auch nicht der letzte ephemere Trash zu sein. Was es doch alles sonst noch gibt!- Warum nicht Bordellmusik des 19. Jahrhunderts, australischen Obertongesang oder Musiken aus Hitlerfilmen zitieren? Das sind Klänge, besser gesagt: Instrumente! Man nehme eben nicht das einfach Verfügbare, sondern was sich sperrt, einem fremd, unangenehm, unauthentisch, sonderbar oder gar verhasst ist, was von seinem Kontext wirklich abgelöst, herausgerissen, geklaut werden muss. Nutzt diese Medien falsch, seid damit ungerechter noch als der Kapitalismus, habt diebische Freude dabei, lügt dass sich im Konzertsaal die Balken biegen (um der Ehrlichkeit willen), schreibt jeden Tag ein Manifest, in dem ihr von euch auf die ganze Welt schließt. Das ist eine konstruktiv politische Ästhetik: Tut den Medien der Kunst Gewalt an.

Obamabot

Reihenformen haben mich immer schon angeturnt, die barocke Suite wie Strawinskys Sacre du Printemps. Die Fortsetzung davon ist heute die Sammlung. Sammeln statt Kontextualisieren, Vergleichen statt Beziehen, Differenz statt Montage, Menge statt Fälle! Mein Paradebeispiel ist der Experimentalfilm „Prayer“ von Jay Rosenblatt (leider nicht im Netz), ein Film in dem eine Kollektion verschiedener Aufnahmen von Menschenmengen gezeigt wird, die sich gerade zum Gebet verneigen, also eine ständige Abwärtsbewegung. Hier habe ich mal einen Film gepostet, in dem sämtliche „fucks & shits“ aus einer US-Serie zusammengetragen wurden, Bilder von Klaus Merkel könnte man nennen, oder hier wieder in interessantes Beispiel: Fotos von Barack Obama, die bei einem Empfang entstanden sind, den der US-Präsident im Metropolitan Museum in New York während der Uno-Generalversammlung gegeben hat und sein immergleiches Grinsen offenbaren. Verschwörungstheoretikerparanoiker glauben ja, wir würden von außerirdischen Echsen regiert. Ist das der Beweis? Na, vielleicht wurden um des Beweises willen doch ein paar weniger taugliche Fotos nicht herangezogen.

(via)

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Es lebe die Aura! #2

Kürzlich zeigte ich den volldigitalen Geigenbogen, mit dem man fürs Auge Geige spielt, fürs Ohr digitale Klänge steuert. Warum das aber, wenn es doch letztlich um die Musik geht, also ums Hören? Die Aura der Performance ist bei Musik offenbar, gerade bei schwer verständlicher Avantgarde, eine große Hilfe, oder wenn man so will ein Eigenwert, essentieller Bestandteil, wie auch immer. (Ich muss darüber noch weiter nachdenken; ähnlich bleibt ja die Malerei faszinierend. Allerdings kann man sich auch vorstellen, dass es irgendwann Öl-Drucker geben wird, die quasi in 3D Ölbilder wie von Hand gemalt herstellen können, und zwar mit der nötigen ununterscheidbaren Simulation der Unschärfe, welche der menschlichen Hand zu eigen ist).
Was wir gegenwärtig erleben ist einerseits, dass alles digital wird, und das auf einem Niveau, das E-Gitarren, Geigen etc. eigentlich ad acta legen sollte, andererseits die alten Aufführungsmodi von Musik hinübergerettet werden: Statt Oboe wird man dann eben einen Blas-Sensor spielen. Soweit sind wir noch nicht, aber mir flattern gerade fast täglich neue Beispiele ins Haus. Heute: Der digitale Plattenspieler.

Peter Glaser beschreibt:

Die Vorliebe von DJs für Schallplatten (”Vinyl”) hat zur Entwicklung von Systemen geführt, mit denen MP3 und andere digitale Aufzeichnungen mit gewöhnlichen Plattenspielern gemischt werden können. Dazu werden spezielle Schallplatten benutzt, auf denen statt des Tonsignals ein Timecode aufgezeichnet wurde. Geeignete Hardware rechnet diesen Timecode in Signale um, mit denen dann eine Software die Abspielgeschwindigkeit und -richtung eines digitalen Musikstücks steuert.

Für sein Projekt “disko” benutzt Jonas Bohatsch ein solches Timecode-Vinyl, um Sounds und Animationen zu steuern, die ein Projektor direkt auf die schneeweisse Schallplatte projiziert. Die Projektionen lösen wiederum Samples aus und verändern sich, wenn sie von der Nadel des Tonabnehmers “getroffen” werden. Ein Computer liest die Position der Nadel aus und kann genau bestimmen, wann ein virtuelles Objekt von ihr touchiert wird. […]

Kreativtechnik

Schlechte Musik ist zur Zeit inspirierender als gute Musik. Die schlechte aktiviert einen, es besser zu machen. So gerade bei meinem Stück für Klavier und mp3-Player, wofür ich alle Ragtimes von Scott Joplin höre. Ist ja nettes Zeug, aber eigentlich nervt’s nach 3 Minuten. Aktiviert mich, es besser zu machen.

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