Außer dem selten noch gelingenden Kunststück, einen nie gehörten Klang hervorzuzaubern, bedient man sich zwangsläufig des Bestehenden. Das sind nicht nur musikalische Grundelemente, wie die 88 Tasten des Klaviers, sondern auch größere Zusammenhänge. So wie man eine Taste verschieden anschlägt, modifiziert man auch gegebene Strukturen. Darum soll sich, wer etwa ein Geräuschfeld für sein Stück braucht, einfach eine Partiturseite Lachenmann („Komponieren heißt: ein Instrument bauen“) nehmen und gebrauchen, statt sich noch mal (quasi) eigene Strukturen aufzubauen. Die Komponisten arbeiten noch viel zu viel an der falschen Stelle. Genug gebaut!
Wir leben im Zeitalter des unweigerlichen Paneklektizismus. „Eklektizismus“ gilt allerdings meist als Pejorativum. Dabei wäre doch vielmehr zu kritisieren, WAS übernommen wird (und wofür!). In Deutschland scheint man nicht von der Norm loszukommen, dass wenn schon eindeutig Musik zitiert wird, dann nichts unter der ganz „großen“ Tradition: Beethoven, Schumann, Brahms – als ob man damit sein eigenes Niveau rangieren könnte! Exemplarisch falsch: Manos Tsangaris‘ Musiktheater Batsheba. Vorlage war die Zeitungsgeschichte über einen im Chatroom angebahnten Eifersuchtsmord. Dem im Jetzt Angesiedelten musste Tsangaris um der musikgeschichtlichen Langzeitwirkung dann aber unbedingt mythologischen Urgrund, die alttestamentarische Weihe beigeben (umgekehrtes Regietheater, sozusagen). So verfehlt geriet denn auch die Musik. Schon die Bildungshuberei ist nervig. Noch mehr aber können Arbeiten mit zeitlosen, den „ewigen“ Themen heute eben fast nichts mehr ausrichten: Shakespeare und ein paar Weitere haben da einfach schon alles zu Leistende geleistet.
Umgekehrt braucht es aber auch nicht der letzte ephemere Trash zu sein. Was es doch alles sonst noch gibt!- Warum nicht Bordellmusik des 19. Jahrhunderts, australischen Obertongesang oder Musiken aus Hitlerfilmen zitieren? Das sind Klänge, besser gesagt: Instrumente! Man nehme eben nicht das einfach Verfügbare, sondern was sich sperrt, einem fremd, unangenehm, unauthentisch, sonderbar oder gar verhasst ist, was von seinem Kontext wirklich abgelöst, herausgerissen, geklaut werden muss. Nutzt diese Medien falsch, seid damit ungerechter noch als der Kapitalismus, habt diebische Freude dabei, lügt dass sich im Konzertsaal die Balken biegen (um der Ehrlichkeit willen), schreibt jeden Tag ein Manifest, in dem ihr von euch auf die ganze Welt schließt. Das ist eine konstruktiv politische Ästhetik: Tut den Medien der Kunst Gewalt an.