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Meese
Jonathan Meese nimmt einen neuen Spitzenpunkt ein, wenn er die Kunst selbst konzeptualisiert; die Malereien sind nur noch Vehikel; er ist aber auch kein analytischer oder gehaltsästhetischer Konzeptualist, sondern ein autoreflexiver, er konzeptualisiert die Kunst als Konzept. Er befasst sich nicht mit dem Wesen der Kunst in ihren Institutionen oder dergleichen, sondern in ihrer abstrakten Philosophie als Thema, und macht damit wiederum Kunst; bezeichnenderweise ist das in ihrer materiellen Manifestation ziemlich trashig. Paradoxerweise ist gerade diese Anästhetik hochgradig performativ. (Hinzu kommt aber auch die provokative Kraft der geborgten Ästhetik des Totalitarismus, Hitlergruß und Parolen brüllen.)
Meese konzeptualisiert >die Kunst<. Stell dir Kunst vor! Er schafft das aber mit einer performativen Strategie: Er rückt die Kunst in eine unerreichbare Instanz, er entmaterialisiert sie dadurch. Irritierend bei Meese ist, dass es schwer einzuordnen ist, vorgeblich Maler, am ehesten Performer und Konzeptualist, aber nichts davon trifft genau zu. Der Prototypische Fall von „statt Kunst wird nur noch über Kunst geredet“. Eine Kunsttheorie als Kunst. #Smoothie (58‘) #Ringelpiezmitanfassen (1°11‘15“)
Wichtig: Die Kritik der Studentenkneipe. Kniet niemals mehr nieder.

Dieses Image muss man sich erst mal trauen. Von da gibt’s kein Zurück mehr.

Es geht nicht mehr um Kunst, sondern um Kunstherrschaft. Herrschaft ist logischerweise eine Abstraktion. Nichts ist mächtiger als eine Idee.
Er bedient natürlich die Bedürfnisse nach dem Hofkasper, nach dem stellvertretenden Heroen gegen Anpassung, wo alle angepasst sind; ähnlich das Gewalttheater Vegard Vinges mitten im Latte-Machiato-Prenzlberg.
Kunst heute hat die Aufgabe, Brüllen wieder möglich zu machen. Das Brüllen konzeptualisieren.
Um seine Performance herum steht irgendwie Kunst, eigentlich nur die Aura von Kunst, Geschmier. Ein Readymade ohne Readymade, nur noch die Aura.

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Die Geburt des Neuen Konzeptualismus aus der Insomnie.

Nicht, dass zu viel Musik geschrieben würde, aber es wird zu viel gearbeitet.
Weniger arbeiten = bessere Musik.
Sowieso: Auf 1 Stunde komponieren müssen 6 Stunden Bücher lesen kommen.

Frei nach Kafka: Pizza gegessen. Geweint.

Wir können nur etwas wahrnehmen, was wir uns auch vorstellen können. imaginär / auditinär

Wie können wir wissen, was wir hören. Wie können wir wissen, was wir nicht hören.
Wie können wir nicht wissen, was wir hören. Wie können wir nicht wissen, was wir nicht hören.
Wir können nur die Schwellen erfahren, die Übergänge vom einen ins andere.

Das Werk, das man nur einmal sich anhört und dann nie wieder: Solange man danach ein anderer ist. Die Wittgensteinsche Leiter, die nach Gebrauch obsolet wird, aber davor unverzichtbar ist. Sowieso, Wittgenstein.

Da ist Liebeskummer, und da ist die Metakritik der Erkenntnistheorie. Konzeptualismus und Trauer.

Linealogie

Musikismus
Musizismus
Musikalismus
Musismus
Musischismus
Komponismus

Die Entdeckung der ideellen Komponente von Musik führt auch zu einer anderen Geschichtsschreibung der Musik.

retinale Renitenz

immer mehr Klanginstallationen – die totale Möblisierung
Conception Consumption

Konzeptualismus ist Apriorismus. Wenn es etwas nicht gibt, dann das leere Notenblatt. Gehörbildung findet ständig statt, mit jedem Gehörten.
„Große Musik“ – das an Umfang größte an einem Werk ist der Rahmen. Dort justiert der Konzeptualismus um; also ist er „Große Musik“. Er geht aufs Ganze.

Noch zur Größe: Magritte oder Klee haben nur Kleinformate gemalt. „Schreiben wie ein Klassiker ist ein sicherer Weg, keiner zu werden.“ (Johannes Gross) Cage kann nur darin Vorbild sein, keine Vorbilder zu haben.

Der Minimalismus Googles ist ein Zeichen der Zeit.

Frei nach Kafka: Duschen gegangen. Geweint.

Aus Autonomie wird Autonominalismus

Immateral

Schönberg = Kandinsky
Satie & Strawinsky = Picasso
Webern = Mondrian
Bartok = Kirchner
Berg = Marc
Hindemith = Dix
Varèse = Boccioni

Aber kein Duchamp, kein Malewitsch zeitgleich in der Musik.
Auch der Surrealismus fehlt.

Frei nach Kafka: Einkaufen gegangen. Geweint.

Trash-TV als Readymade-Kunstwerk. Marcel Dschungelcamp.

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Der Sound der Popmusik, der, anders als die meist live, also reproduktiv hervorgebrachte Neue Musik, akribisch im Studio, also auf der Bühne ausgetüftelt ist, und nahezu jahrgangsweise, also nie wechselt, zeigt, wie sehr der Parameter Klangfarbe ein Identifikationsmoment hat. Mir geht es zumindest so: Wenn es um heute zeitgemäße, also veraltete Tonhöhen und Rhythmen geht, kann ich mich, was die Klangfarbe und Instrumentalaura betrifft, mit Lautsprecherklang stärker, also gar nicht identifizieren als beispielsweise mit dem Klang eines Fagotts.

Die Pendants im Akustischen zu den Geräten des Sehens. Die Brille, die Fensterglasbrille, für die Ohren. Der Gehörgang als unendlicher Gang mit virginalen Membranen, das Trommelfell als Leinwand, als Buchseite einer Inkunabel. Der Körper des Hörens ist die Partitur. Die durchlässige Haut der Membran, durch die man zwar keine Objekte stoßen kann, aber Wellen, den Stoßimpuls. Ein Tattoo, eine Tätowierung hätte nur Sinn auf dem Trommelfell, wo es niemand sehen kann.

Das Spektrum eines Rhythmus, seine umgekippten Dauern, die umgekippte Zeit ins Denken. Das Denken mit Zeit füllen. Das Kind mit dem Bade waschen.
Die Intellektualisierung der Musik seit der Atonalität hat nun einen Namen: Konzeptualismus.

Diese „dumpfe Teleologie“ über Materialdebatten zur endgültigen Intellektualisierung der Neuen Musik mit dem Musikkonzeptualismus. Anhören tut man sich Neue Musik eh nicht oft, viel mehr redet man darüber, das bringt der Konzeptualismus auf die Spitze.

„Alle Neue Musik hat konzeptuelle Anteile“ -> Achtung, Verwässerungsgefahr, auf so einen Konzeptbegriff beruft sich im Zuge der Konzeptualismusmode dann jeder.
Etliche Beispiele, die im Diskurs genannt werden, sind nicht wirklich konzeptuell. Bisweilen wird einfach alles, was heute irgendwie mit Elektronik oder Video daherkommt, konzeptuell genannt. Trittbrettfahrerei auf dem Drittbrett.

Negativer Black Metal
Negativer Speed Metal
Negativer Drone Doom Metal
Negativer Epic Hollywood Metal
Negativer Swedish Death Metal

Deleuze/Guattari, Was ist Philosophie. Was ist Musikkonzeptualismus.

Konzeptmusik ist der endgültige Bruch mit der Klassik.
Konzeptualismus macht auch die Hässlichkeit der Atonalität endlich zum Programm, sie ist äußerst hässlich.

Am Ende überlebt nicht schöne Musik, sondern diskursive. Neue Musik überlebt nicht auf der Bühne, das wenigste wird wiedergespielt, auch Schönberg wird kaum gespielt. Es überlebt
a) im Diskurs
b) als Reproduktion
die Konzerte sind Werbung dafür.

Begleitung zur Begleitung.
Könnte ja den Minusbolero oder die linke Hand einer Mozartsonate in so eine Software einspeisen, die versucht, Begleitarrangements zu generieren.
Tja und dass sowas dann immer in Endlosschleife geht, Begleitung zur Begleitung zur Begleitung, also immer ein Lucier-Konzept wird, das ist auch so ein Endpunkt der Musikgeschichte.
Oder polyphone Musik so interpretieren, dass jede Stimme die Begleitung der anderen ist, als wäre es die Begleitung zu einer Melodie. Vielleicht könnte man Goulds Mozartinterpretation so erklären.
Hab mal (natürlich auf Facebook) das Konzept notiert, von einem Klavierkonzert den Solopart orchestrieren und dazu vom Orchesterpart den Klavierauszug spielen.
Vor ca. 8 Jahren wollte ich auch mal musiktheoretisch was zu Begleitungen machen, „vom Albertibass bis zur Brucknerschen Klangfläche“.

Konzeptmusik – der Bezug zur Musik ist ein Übergangsbegriff, denn eigentlich stehen Konzepte hinter allen Medien. Der Neue Konzeptualismus, der von der Musik ausging, einhergehend mit dem conceptual writing, ist eigentlich der Konzeptualismus, der über alle Medien geht. Konzeptkünstler aller Medien, vereinigt euch! Also individualisiert euch.

Konzeptualismus ist das Durchbrechen der Schallmauer.

Der Erste Weltkrieg brachte das schwarze Quadrat und das Readymade.

Wechsel von der Bewusstseins- zur Sprachphilosophie in der Musik. Wittgensteinway B.

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Sätze über unmusikalische Konzeptkunst

Ein Konzept, das (zeitlich) entgegenkommt. Man steht da wie eine Leinwand, auf die nun bald die Projektion fallen wird. Countdown / up.
Das Zählen und der Klang.
Die Zeit, die es braucht, einen Klang zu spielen, und die Zeit, die es braucht, einen Klang zu hören.
Räumlich gleichzeitig, zeitlich nebeneinander. Die Summe und die Differenz zweier Musikstücke.
Ein Musikstück, und dann dasselbe noch mal, in einem folgenden Zustand, wie zwei sequenzielle Fotos derselben Szene. Alle Töne haben sich etwas bewegt. Musikstücke als Fotografien ihrer Partitur. Die Teiltonreihe und die Zeittonreihe.

Der Schlitzverschluss. Der Schallschlitz.

Alles nachsingen, das andere vorsingen.

negative 16tel
negative Klangfarbe
negative Instrumente

Konzept=der Untergang

Überall die Rechnung vornehmen: minus Null. Von dir subtrahiere ich eine Null!

Metronominimalismus.
Die Erfinder der Sprache und der Zeit.

Eine Variation, die invariant ist. Die Variation, die den Zyklus zerstört. Die sich invertiert. Invertvariation. Die noch einem zweiten Konzept gehorcht. Die Verschränkung zweier Konzepte. Doppelkonzeptualismus. Ohne den Konzeptualismus aufzuweichen, ohne ihn zu entschärfen, ohne ihn wieder zur Normalmusik zu machen.
Kann man ein Konzept aufspalten in zwei Konzepte.

Wenn gilt: Die Grenzen meiner Sprache sind auch die Grenzen meiner Musik, dann gilt:
Die Grenzen meiner Musik sind auch die Grenzen meiner Welt.

Und somit sind die meisten philosophischen Fragen Verhexungen der Musik. Ein Konzept ist keine Ordnung, eine Idee kann keine Ordnung sein, Ordnung ist Systematik, Regelwerk, gute Dinge.
Das Frequenzspektrum, der Schalldruck, die Schalldruckschrift, der Horizont als Spektralakkord.

Kalifornien, 27.2.2016

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Eine Musikrichtung, bei der Originalität programmatisch ist. Das ist doch was, das ist doch mal ein schöner Anspruch! Wann hat man sowas zuletzt formuliert? Neue Einfallheit.
Man kann in der Tradition stehen. Man kann aber auch innovativ sein.
Breakfast with Creativity. Die Musikgeschichte prämiert Innovation, nicht Restauration.
Ideenkunst.

Die Neue Musik befindet sich im Matrialchat, im „Matriarchiv“ (Derrida).
Material ist Marterial.

Oft sind mir in den letzten Jahren Leute begegnet mit der Aussage, Konzepte seien ja schön und gut, aber sie wünschen sich eben auch Ästhetisches. Vor allem nach meinem Minusbolero kamen viele freudig an, “endlich ein Konzept, das auch zu etwas sehr Ästhetischem führt!”. Einerseits habe ich alles Verständnis für dieses Ideal, andererseits empfinde ich aber doch einen Unmut, schwingt darin eben auch ein Urteil, das die prinzipielle Differenz musikkonzeptueller Musik abqualifiziert zugunsten einer doch vielleicht wieder eher gewohnteren Musikauffassung. Der Widerspruch liegt im Konzeptualismus selbst, aber erst in der Bandbreite bis hin zu den radikal anästhetischen Konzepten. In der Entfaltung dieses Horizonts lohnt sich dann wirklich, verschiedene Interpretationen zu diskutieren.

Konzeptkunst, das Unterlassen von Ausgestaltung, das sagt auch etwas aus über unnötige Arbeit, über Präsenz von Gutem.

Versehentlich, also absichtlich das falsche, also das richtige Konzept zur Musik mitteilen, also vorenthalten.

Das Erschießungskommando, bei dem eine Gruppe von Schützen abkommandiert wird, und einer erhält aber eine Platzpatrone, so dass später keinem der Gruppe mehr der Prozess gemacht werden kann, denn ein Unschuldiger ist ja darunter – man kann nur den Befehlsgeber belangen. Den Konzeptualisten.
Sich angreifbar und systematisch unangreifbar machen. Der Schütze mit der Platzpatrone ist der Mörder. Unangreifbarkeit, weil unidentifizierbar ein unschuldiges Element darin ist, bzw. ein Element Fake ist.
Eine solche Konstruktion ist postmodern.

„Realität in der Musik ist die Realität der Musik.“ (Danuser)
Musik stellt nichts dar, sie ist selbst Objekt der Darstellung.
Wenn die Musik als Musik zur Musik wird. (Heidegger)

Viele Konzepte werden zusammengebracht zu einer „Petersburger Hängung“, oder zum Duchampschen Miniaturmuseumskasten.

Konzept und Zeit
Wie kann die Zeit konzeptualisiert, ein differenziertes Gefühl von Zeit, ein Gefühl für Rekurs und Antizipation, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft konzeptualisiert werden. Wie können diese Aspekte von Zeit zur Idee werden, inwiefern sind sie es.
Sicherlich ist ein erster Ansatz die messbare Zeit. Eine Dauer aufsagen und dabei die Zeit stoppen, danach den Wert der gestoppten Zeit aufsagen und das wiederum stoppen und dann aufsagen und stoppen usw. Man könnte starten mit dem Aufsagen des Konzepts, das gestoppt wird. Stop und stoppen.
Die Vergangenheit, das sind die Samples, das Archiv, die Musik mit Musik; auch die Abwesenheit. Das Abwesen, abwesentlich. Das Reprodukt.
Dafür braucht es einen Begriff der Bewegung. Dialektik ist Zeit.
Sicherlich wäre es eine Option, Zeitumkehr, irreale Zeit zum Gegenstand der Konzeptualisierung zu machen. Alles ist gregorianischer Choral. Johann Sebastian Bach (1980-2082).
Die falsche Stoppuhr, das defekte Metronom, das perfekte Metronom. Die Belichtungszeit, die Beschallungszeit, die Schallgeschwindigkeit ohne Raum. Die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Die Gleichzeit und die Ungleichzeit. Die Rückbeschleunigung. Die Sonne, die Erde, Rotationskuss.
Diejenige Musik mit Musik.

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„Parzellen statt Erfahrungen“. (Kreppein)
Sicherlich eignet sich der Neue Konzeptualismus besonders gut für den Diskurs, so wie sich für ein Streichquartett Stücke für zwei Geigen, Bratsche und Cello vornehmlich eignen. Konzepte kann man in zwei Sätzen weitererzählen, schon ist ein Stück abermals aufgeführt. Ja, so ist der Konzeptualismus und das verschafft ihm auch oberflächlich Vorteile. (Aber die hat er gegen das Etablierte auch verdient.)
Andererseits ist Konzeptualismus ja sperrig, weil anästhetisch, auch nicht immer soo witzig-pointiert, und die Kleinteiligkeit wird verwechselt mit Kurzatmigkeit und Unterkomplexität. Genauso könnte man Heinrich Schütz vorhalten, dass er ja keinen verschlungenen 12-stimmigen Kontrapunkt mehr geschrieben hat. Kategorienwechsel müssen wohl damit leben, dass Kritik auf der falschen kategorialen Ebene verlässlich eintritt. Es ist nachgerade ein Fettnapf, in den natürlich immer einer reintritt, dass man einen Aphorismus schreibt, und dann kommt einer her und kritisiert, dass das ja kein Roman sei, – ob das ein Argument gegen Aphoristik wäre – oder dass die Reime in dem Roman aber irgendwie gar nicht funktionierten. Als nächstes wird dann die „Welt“ als Vergleichsobjekt herangezogen, was denn nun der Welt adäquater sei, und wenn man da nicht fündig wird, dann sagt man zuletzt, dass es stattdessen eben um Utopien ginge. Damit ist dann endgültig die Auseinandersetzung der Willkür gewichen.

Maximaler Distinktionsgewinn. Musik als unkonzeptuellstes Medium für Konzepte zu nutzen, das ist ein Coup.

Das einzelne, aber feste statt der großen Erzählung, sei sie auch noch so facettenreich. Und sicherlich steht hinter den Einzelheiten eine Haltung – das sind nicht Fragmente, sondern Manifestationen.

Zitieren, entlehnen, Referenzieren. Das kann man parasitär nennen, ist aber schlichtweg auch eine Wahrheit, und Moral ist hier doch fehl am Platz.

Diskurs. Kritik. Man kritisiert selten das, was man nicht gut findet, sondern das, was man selber nicht kann.

Ein Einwand: Die Welt sei komplex, da könne ein Stück das nur eine Idee verfolgt dem nicht gerecht werden, oder jedenfalls nicht einem Anspruch auf >Vielschichtigkeit<. (Schick / Marcoll / Kreppein) Aber ein Stück, das 10 Minuten geht und auskomponiert ist (und nur Musik ist, ohne multimediale Zusätze), das wird also der komplexen Welt gerecht..? Erst mal wird der Anspruch erhoben, der komplexen Welt müsse man gerecht werden, und dann wird das auch noch quantitativ bestimmt. [Der Ausdruck „komplex“ ist eigentlich nur noch prätentiös. Wer sagt, dass Kunst „komplex“ sein müsse? Komplexität, wieder einmal ein undefiniertes Fetischwort in der Neuen Musik. „Komplex“, das ist die Androhung von Erhabenheit, vom strafenden übermächtigen Gott. Ich bin auf der Suche nach der unkomplexesten Musik. Nicht einfache / minuseinfache, sondern nullfache Musik. Zeroalismus.] Momente der Rahmung, Reduktion auf Strukturen. Sie sagen, die heutige Welt sei so komplex. Aber alle haben sie in kleines Gerät in der Tasche, auf dem sie diese Komplexität erfahren. Das riesige Word Wide Web, sie alle sehen es durch einen (1) Browser und googeln in einem minimalistischen Suchschlitz. Es gibt immer Ebenen der Erlebens, die ganz simpel sind. Die unendlichen Möglichkeiten sinnlicher Eindrücke, wir alle erleben sie durch gerade mal zwei Koordinaten: Raum und Zeit. Konzeptualismus gestaltet solche Rahmungen, solche Flaschenhälse, durch die jeder Mensch die Welt wahrnimmt. Manche Komplexitätsreklamierer muss man mal wieder an die Kantschen Bedingungen der Erkenntnis erinnern. Denn „Hören“ ist „Hören als“. Konzeptualismus internalisiert die Tatsache der Hörperspektive. Keine Perspektive, sondern Perspektivismus. „Ismus“=Selbstreflexion. Konzepte sind limitiert (wie alles), aber sie sagen es. Sie formulieren diese Grenze deutlich, das heißt, sie überschreiten sie: dort befindet sich der Hörer. Als ob Komplexität die ultimative Qualität wäre. Kunst kann auch schön sein, stimulieren, erhaben und Widersprüchlich sein, punktuell, fließend, spitz oder flach. Duchamps fountain ist so wenig komplex wie die Entdeckung von Amerika. Beides sind just Ideen, die man eben irgendwann gehabt hat.
So, wie im 19. Jahrhundert das höchste Ziel ein „organisches“ Kunstwerk war (eine Lieblingsmetapher von Hanslick), so kann heute Musik laut oder leise, dieser oder jener Stil sein, aber all das hat nur ein Ziel: am Ende müsse es „komplex“ sein.

Man kann diskutieren, wie viel zeitlichen und materiellen Aufwand eine einzige Idee rechtfertigt, aber nicht mit der Ontologie einer >komplexen Welt< argumentieren. Die Macht des Namens. John Cage verdankt seinen Erfolg auch seinem schönen Namen. Hätten die Dadaisten nicht das Wort „Dada“ gefunden, alles darunter geltende würde wenig gelten. „Cabaret Voltaire“, mit diesem gelungenen Namen war die Erfolgsgeschichte grundsteingelegt. Die Fremddetermination (bei Cage ist ja auch die Frage, ob es In- oder Fremddetermination ist, also ob es Zufall überhaupt gibt). Entsubjektivierung, stattdessen lässt man mechanische Kräfte (zB Schwerkraft) oder kollektive (zB Börsenkurse) Töne produzieren. Vgl. Max Ernsts Techniken der Entsubjektivierung, Drip-Painting, Frottage. Schwerkraft, eine Kraft die überall da ist. Was man alles umwerfen kann! Was man alles fallenlassen kann! Noch mal: Wo ihr nach Komplexität ruft, waltet euer primitiver Wille zur Macht. Das Schlagwort „komplex“ ist, mit Verlaub, unterkomplex. Es wäre ein komplexes Konzept, im Diskurs auf das Wort „komplex“ zu verzichten. Der erweiterte Musikbegriff, der begriffliche Musikbegriff.

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„Steady Shot“ for piano, audio and video playback

premier
Heloisa Amaral, piano

KLANG Festival Copenhagen 17.6.2016

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Der Vater des Konzeptualismus nennt seinen Sohn Max.

Konzept und Dramaturgie, Entwicklung
Eine anspruchsvolle Form, das ist eine Reflexion über den Verlauf von Zeit, über das Erleben in der Zeit, die Gedächtnis- und Erwartungsfunktionen des Menschen, über Proportionen, schöne Proportionen und Rhythmen, die einem heutigen Lebensgefühl entsprechen. Formale Innovationen sind vielleicht selten, die ersten kommen eigentlich erst mit dem Aufkommen der Teiligkeit in der Klassik; Bachs Fugen sind unförmig! Mozart ist der Meister der Proportionen, bei Beethoven kommt dann noch die Prozessualität hinzu. In der Moderne dann gab es vor allem die Momentform und die mechanische Prozessualität.

Krise der zeitlichen Gestaltung. In den letzten 20 Jahren gab es meines Erachtens nur zwei formale (= in dem Fall zeitliche Gestaltung betreffend) Innovatoren: Bernhard Lang und Michael Beil. Lang entfaltet die gliedernde Kraft der Wiederholung („Wiederholung trennt“) und schafft damit einerseits eine extreme Vereinzelung, andererseits dialektisch eine sehr spannende Gliederung und Beziehung zum Ganzen. Beil schafft mithilfe von Live-Video eine starke Verarbeitung von logischen Anschlüssen (die im Klingenden seit der Atonalität verloren gegangen sind) und Erinnerung. Etwas älter wäre noch Spahlingers dialektische und >utopische< Prozessualität zu nennen. Ansonsten ist Dramaturgie Handwerk, ein Zustand wird entweder gerade genug mit Informationsfluss am Köcheln gehalten ohne dass es redundant wird, Ideen werden aneinandergereiht oder gehen ineinander über, man verteilt seine Ideen nett in der Zeit, man macht einen Spannungsverlauf, schnelle und langsame Teile wechseln ab und irgendwo gegen den goldenen Schnitt hin gibt’s ein-zwei Höhepunkte und Überraschungen, aber das ist reines Handwerk, das kann auch ein Kirchenmusiker, das ist unsubstanziell, Inszenierungsdonner, Dramatisierung, und auch geheimniskrämerisch gegenüber dem Hörer statt reflexiv, der Komponist trumpft gegen den Hörer auf mit seinen Assen im Ärmel, entsprechend habe ich daran Unbehagen. Storytelling ohne Story. Porno mit Handlung, wo niemand Handlung will. Aber ich bin was Dramaturgie geht eben auch leidenschaftslos, lese auch keine Romane und mag Kino deshalb nicht, weil da immer, wirklich immer eine Geschichte erzählt werden muss; bei Romanen halte ich es mit Borges, dass es doch auch eine Zusammenfassung tut. Und schlaue Apercus, die irgendwo auf S. 274 in ein Narrativ verklebt sind, sind verschwendet. (Nicht dass ich jammern will über Niveauverlust – dafür haben die Stücke heute andere Qualitäten. In den vergangenen zehn Jahren sind viel mehr tolle Stücke komponiert worden als in den zehn Jahren davor. Es sind herrliche Zeiten.) Heute gibt es offenbar wenig dialektische Bewegungskraft, Teleologie hat unsere Zeit sowieso nicht. Form, das ist „die Ordnung der Dinge“ (Foucault). Das Konzertformat zwingt zum Entertainment, die Gefangenen brauchen Spiele. Daher dieser riesige Rhetorikaufwand bei Lachenmann, der selber aber nicht Thema wird. Krise der Entwicklung. Eine Idee widerstrebt ihrer Entwicklung, sie ist ausdehnungslos und nicht teilbar. Entwicklung ist erst mal ein Aufbrechen einer Qualität in Quantität. Dieses Geseiere von „Schubladendenken“. Dann hört doch auf, Sprache zu verwenden. „Konzeptmusik“, auf englisch ist der Ausdruck eigentlich noch viel besser, „concept music“ = Begriffsmusik. Denkmusik. Musik ohne Musik. Sinn-Sinnlichkeit. Konzeptkunst ist begriffliche Schönheit.