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Kommentar zu Peter Krauts Text „Diskurs ohne Folgen. Acht Thesen zu blinden Flecken und Chancen der Kunstmusik“

In der Schweizer Zeitschrift „Dissonance“ ist im Sommer ein Artikel mit dem Titel Diskurs ohne Folgen. Acht Thesen zu blinden Flecken und Chancen der Kunstmusik von Peter Kraut erschienen, den ich interessant finde und kommentieren möchte.

Der Artikel ist hier vollständig online lesbar, ich greife ein paar Gedanken auf.

Zunächst wird festgestellt, dass sich die Kunstmusik unter Legitimierungszwang befindet. Es ist sehr wichtig, dass das deutlich festgestellt wird: Nur weil die Kunstmusik so viel Geld kostet, kann so etwas wie „Diskurs ohne Folgen“ überhaupt moniert werden, denn erst der Subventionsaufwand erhebt den Anspruch auf irgendeinen Sinn und Nutzen, irgendeine Folge. Ich sage noch schärfer: Alle ästhetischen Debatten sind Gelddebatten.

These 1 beschreibt, dass die Kunstmusik an einem gesellschaftlich marginalen Ort, im Konzertsaal, stattfindet.

These 2 beschreibt, dass die Kunstmusik um sich selbst kreist, um ihr Medium der traditionellen Instrumente. Der Autor vermisst Bezüge zur Lebenswelt, beispielsweise durch musique concrète-Elemente. Paradigmatisch wird Lachenmann genannt, ein „konservativer Revolutionär“, der, statt das Cello in Frage zu stellen, nur das tradierte Cellospiel in Frage stellt.
Gut, dass das endlich mal jemand sagt. Ich halte Lachenmann mittlerweile schlicht für einen Restaurator, ähnlich wie Rihm, nur raffinierter, und leider musikalisch-rhetorisch brilliant.

These 4 kritisiert die Fixierung auf die Notenschrift, die zwar hohe Komplexität ermöglicht, aber einige Limitierungen mit sich bringt.
In der Tat wird das durch heutige Möglichkeiten der Elektronik immer deutlicher, dass das Partitur-Paradigma nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Partituren meiner Stücke sagen über das Stück nur teilweise etwas aus, denn der Elektronik-Teil lässt sich nicht adäquat notieren. Das ist aber beispielsweise bei Bewerbungen ein Problem, wo aus Zeitgründen meist nur in Partituren geblättert wird. Ebenso ist Elektronik bei Verlagen nicht gern gesehen. Ein Institutionenproblem.

These 5 beklagt, dass Komponisten Solitäre sind, wo doch in anderen Kunstsparten es hervorragende Kollaborationen gibt (Fischli&Weiss zB).
Nun ja, da bleibe ich skeptisch, zumindest ist sehr schwierig, dass sich Künstler diesbezüglich finden (dazu habe ich mal einen kurzen Text verfasst). Auch in der Bildenden Kunst halte ich das für Ausnahmen, wenn auch häufiger anzutreffen als in der Musik.

These 6 stellt umgekehrt fest, dass auch Pop, der mal annähernd Kunstcharakter besaß, den Bach des Kommerzes runtergegangen ist.
Man könnte aber noch fragen, ob sich hier nicht neues Potenzial auftut, wo Pop eben nicht mehr so kommerziell erfolgreich ist, weil der Tonträgermarkt eingebrochen ist.

These 7 bemängelt, dass die Kunstmusik sich zu wenig von den Errungenschaften des Pop inspirieren lässt.
Dem kann nur zugestimmt werden!!

These 8 empfiehlt zusammenfassend:
Es würde der Kunstmusik gut anstehen, „etwas weniger Respekt vor der eigenen Tradition und ihren Formen und Ritualen, ihren Texten und Standards, ihren Lehr- und Lernformen zu zeigen, mehr aktives Ausfransen an den Rändern und Medien zu betreiben, mehr rebellischen Umgang mit Technologien und (neuen) Instrumenten zu pflegen, mehr Rückeroberung gesellschaftlicher Plattformen einzufordern und vermehrt Kooperationen mit anderen zeitgenössischen Kunstpraxen einzugehen.“

Soweit der Text, und wie man sich denken kann, stimme ich ihm im Großen und Ganzen zu, er ist zudem gut geschrieben und wägt ab, erfreulich, dass jemand die Initiative ergriffen hat.

Ich möchte aber (konstruktiv) daran kritisieren:

Was dem Text mangelt (ein „blinder Fleck“?), ist Selbstreflexion bzw. eine Befragung der eigenen Methodik: Wie kann es der Text erreichen, dass er selbst nicht wiederum „ohne Folgen“ bleibt?
– Es wird die Abgeschiedenheit der Kunstmusik beklagt, aber der Text selber ist in einer Fachzeitschrift abgedruckt. Vielleicht publiziert Peter Kraut ja auch in populäreren Organen, ich hoffe es. Auf Facebook oder Twitter ist er nicht aktiv. Korrektur: Ist auf Facebook aktiv! Ich nehm’s zurück, sorry.
– Der Text nennt fast keine Namen. Lachenmann wird einmal kritisiert, Helmut Oehring als gutes Beispiel genannt, eingangs werden als regelbestätigende Ausnahmen lauter Komponisten aufgezählt, die schon tot oder alt sind. Wäre es nicht produktiver, man würde mehr Namen nennen? Die Verallgemeinerungen sind gleichsam Entschärfungen, niemand fühlt sich ernsthaft angesprochen.
– Freilich gibt es mitterweile Unmengen an Beispielen, an Komponisten, die den Weg gehen, den der Autor empfiehlt, aktuell kann man in der Zeitschrift „Positionen“ zum Thema „Diesseitigkeit“ einige kennenlernen. Darum ist die ‚Schuld’ bei den Geldgebern / Organisatoren zu suchen, den die bestimmen, wer gespielt wird! Ich denke, es ist erst mal nötig, dieses Bewusstsein zu schaffen, für die Macht der Programmmacher, der Festivalleiter und Ensembles – für das Dispositiv. Es ist wohl ein fruchtloses Unterfangen, einen Komponisten, der bislang jene exklusive Art Neue Musik komponiert hat, welche der Autor rügt, dazu bringen zu wollen, dass er anders komponiert. Mir ist kein Fall aus den letzten fünfzig Jahren bekannt, in dem so eine „Bekehrung“ stattgefunden hätte. Der Hebel müsste stattdessen an den Institutionen, bei den Programmmachern angesetzt werden, der Appell müsste sich explizit an sie richten. Alles andere halte ich annähernd für Scheindebatten. (Im Übrigen ist mein Eindruck, dass sich zumindest in Deutschland die Dinge wirklich beginnen zu ändern.)

Zurück zur eingangs aufgestellten Prämisse, dass die Kunstmusik unter Legitimierungszwang steht. Tatsächlich passiert momentan aber etwas, das aus dieser jahrzehntelang ungebrochenen Tatsache ausschert. Dank Digitalisierung lassen sich Werke produzieren und verbreiten, ohne dass sie Subventionsgelder in Anspruch nehmen. Als nur ein Beispiel: Anton Wassiljews „Serialismus 2.0“ (hier). Fraglos eine typische ‚elitäre’ Neue Musik, aber völlig erhaben über Kritik, wie sie oben formuliert wurde – denn das Werk hat keinen Steuercent gekostet. Nicht, dass ich dafür plädiere, die teuren Konzerte sollten zugunsten allein solcher Formen aufgegeben werden. Aber gerade im Bezug zu der Diskussion um Relevanz der Kunstmusik wird interessant, dass die Kunstmusik in Teilen beginnt, sich einen wirklichen Freiraum zu schaffen, der frei vom unsäglichen Legitimierungszwang steht. Und irgendwie, obwohl oder gerade weil ich selber oft genug die Weltabgewandtheit der Kunstmusik kritisiert habe, freue ich mich, dass dieser Kritik auf diese Weise Boden unter den Füßen weggezogen wird.

2 Kommentare

  1. peter kraut sagt:

    lieber johannes kreidler
    eben geht die freundschaftsanfrage in FB an Sie ab… Sie scheinen ja einigermassen einverstanden, das freut mich! zu Ihrem kommentar am ende vielleicht soviel – ja, ich schreibe in fachzeitschriften, weil diese nicht nur von komponistInnen gelesen werden. nein, ich will niemanden bekehren oder rügen (bin kein missionar), bloss den pluralismus hochhalten, der unter vielen nivellierungstendenzen (nicht nur solchen des geldes) und traditionsfetischen leidet. wichtiger aber: mein schreiben ist nur die theorie zur praxis. aktuelles beispiel: http://www.muhsiiik.ch. oder ca 600 konzerte, die ich den vergangenen 25 jahren produziert habe, die im schnittfeld von kunstmusik, soundart, DJ kultur, musiktheater und improviasation versucht haben, nicht in erster linie bekannte kategorien und interpretationsgeschichten zu bestätigen, sondern eher einer wie auch immer gearteten subversiven autorschaft raum boten. das war auch an dem wunderbaren abschlussabend in darmststadt diesen sommer in gewissem sinne der fall, ein schönes beispiel, wie man heute aktuell und trotzdem mit traditionsbezug, aber etwas ferner von den mühsamen ritualen neue musik präsentieren kann. (vielleicht haben Sie auch die ausstellung A HOUSE FULL OF MUSIC besucht, wo ich mit den kollegen schäfer, fricke, beil ähnliches versucht habe).
    die diesseitigskeitsnummer der positionen hat mir übrigens auch gefallen und ich sehe und höre, dass eine neue generation an musikautorInnen sich ans werk macht. endlich.
    mit besten grüssen
    peter kraut

  2. Kreidler sagt:

    Lieber Peter Kraut,
    vielen Dank für diese Infos, die das Verständnis des Textes ergänzen, bzw. rückt er so in ein etwas anderes Licht.
    Die Ausstellung in Darmstadt fand ich ganz großartig (sage ich unabhängig davon, dass ich selber mit einem Exponat vertreten war).
    Herzlich
    Johannes Kreidler