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Theorie der Provokation 1

Da ich in den letzten Monaten mit Kunstaktionen in Erscheinung getreten bin, die provozierten, nun eine theoretische Ergründung. Literatur zur Provokation in der Kunst, abgesehen von den Skandal-Historiographien, gibt es keine wirkliche, wenn’s um Theorie davon geht. Darum zuerst einen Blick ins (Online-)Lexikon zum Stichwort Provokation geworfen:

Als Provokation bezeichnet man eine […] Verhaltensweise, die mit Übertreibungen, Regelverletzungen einher geht und die den Provozierten gezielt zu Verhaltensweisen anregen soll.

Dem ganzen liegt zu Grunde, dass es einen Widerspruch, einen Widerstreit, einen Gegensatz der Ansichten gibt. Gewalttätige Provokationen klammere ich hier natürlich aus. Widersprüche ausreizen bringt die Nähe zum Humor / Satire.

Zur Differenzierung werde ich aber erst fündig bei der Provokationstechnik, einer Kreativitätstechnik:

Folgende Ansätze existieren, um Provokationen zu gewinnen:

* Annahme aufheben („In der Universitätsbibliothek gibt es keine Bücher.“)
* Idealfall („Jeder Studienanfänger bekommt einen Abschluss.“)
* Umkehrung („Studenten unterrichten Professoren.“)
* Übertreibung („Das Studium dauert 20 Jahre.“)
* Zufall („Universität Papagei“)
* Verfälschung („Die Universitätsmauern sind aus Legosteinen gebaut.“)

Das kann man wiederum zusammenfassen. Wenn die Grundlage ist, dass es zwei Meinungsseiten gibt, von der die eine die angegriffene und die andere die Summe aller Alternativen dazu ist, dann sehe ich folgende Techniken:

  • die Gegenposition (über-)affirmieren („Umkehrung“) (Charts Music)
  • die Gegenposition übertreiben („Übertreibung“) (GEMA-Aktion) oder die eigene übertreiben („Idealfall“)
  • Rechtsverletzung (nahe an Gewalttätigkeit) oder besser noch den Graubereich ausfinden (nenne ich „Grenzverwirrung“) (Call Wolfgang)
  • Konfusion der Gegenposition („Annahme aufheben“, „Zufall“, „Verfälschung“)

Noch exemplifiziert an Provokationsmeister Schlingensief:

  • Gegeposition überaffirmieren: Demonstration FÜR die Streichung ALLER Theatersubventionen in Zürich
  • Gegenposition übertreiben: AUSLÄNDER RAUS – Plakat, der FPÖ untergeschoben
  • Grenzverwirrung: TÖTET HELMUT KOHL – Slogan (bzw. könnte man das auch einen „Idealfall“ nennen..)
  • Konfusion: Parteislogan „Wähle dich selbst“

Man könnte noch eine weitere Kategorie anbringen, die mehr oder weniger abgeleitet ist aus den genannten: Die Verknüpfung zweier eigentlich sich widersprechender Meinungen, auch eine Grenzverwirrung. Ein Titanic-Beispiel:

Der Selbstmord von Ratiopharm-Boß Adolf Merckle schockt Deutschland: Denn statt für sein Ableben zu seinen eigenen Produkten zu greifen (und so die Binnennachfrage zu steigern), warf sich Merckle einfach vor einen Regionalexpress! „Schade! So ist das allenfalls ein kleiner Impuls für den Reinigungssektor“, so Arbeitsagentur-Chef Weise.

Auf einen für die eine Seite tragischen Fall (Suizid) wird eine anderweitige Kategorisierung (Kapitalismus) angewandt, wobei der Clou daran ist, dass der Selbstmörder ein Kapitalist war. Ein anderes Beispiel ist die Aktion von Santiago Sierra, Armen für wenige Dollars eine große hässliche Tätowierung zu machen. Die Übertreibung des Kapitalismus (Arme tun alles für Geld) konfligiert mit der Menschenwürde, und das sehr anschaulich ins Extrem geführt (lebenslängliche Verunstaltung für wenig Geld).

Die Technik der Konfusion ist Sinnverwirrung, Sinnentleerung oder von vornherein Sinnlosigkeit. Der Extremfall ist sinnlose Zerstörung, wie es Sierra mit Benzin unternahm. Gekonnter ist es, wiederum durch eine Meinungsverknüpfung die Zerstörung von anderen ausführen zu lassen, wenn er z.B. Brot auf die Straße legt und Straßenkehrer ihren Job verrichten müssen.