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Thomas Hummels Beitrag zur Digitalisierungsdebatte

Der Komponist und Programmierer Thomas Hummel hat sich in die Debatte um Musik, Ästhetik und Digitalisierung eingeschaltet (Kulturtechno früher). Sein Text „Not als Innovationsmotor“ ist in der aktuellen Ausgabe der Schweizer Zeitschrift für Neue Musik dissonance abgedruckt.

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Seit einem halben Jahr verfolge ich mit grossem Interesse die Diskussion zwischen Harry Lehmann, Johannes Kreidler und Claus-Steffen Mahnkopf, die vor allem in der Zeitschrift MusikTexte zur Frage der digitalen Revolution in der Neuen Musik geführt wird, aber inzwischen auch andernorts aufgegriffen wurde (eine erste Zusammenfassung ist 2010 beim Wolke-Verlag, Hofheim, erschienen: Johannes Kreidler, Harry Lehmann, Claus-Steffen Mahnkopf, Musik, Ästhetik, Digitalisierung. Eine Kontroverse). Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich an dieser Stelle als Praktiker zu Wort zu melden, als jemand, der seit Jahren mit der Entwicklung von Software und mit Projekten beschäftigt ist, um die es in der Diskussion geht. Besonders möchte ich dabei auf die Überlegung von Harry Lehmann eingehen, derzufolge die digitale Revolution zu einer Entinstitutionalisierung der Neuen Musik führt. Ich will diesen Punkt nicht theoretisch durchdiskutieren, möchte aber versuchen, ihn mit einigen praktischen Erfahrungen anschaulich zu machen. Die Zukunft der Neuen Musik wird nicht ohne Institutionen auskommen, das wird niemand ernsthaft bestreiten. Institutionen entstehen letztlich immer durch den Zusammenschluss von Menschen, die gemeinsame Interessen haben. Will man Grosses schaffen, dann kann ein Einzelner zwar viel, aber nicht alles erreichen. Jeder, auch der vermeintliche digitale Einzelkämpfer, ist in vielerlei Institutionen, auch die von ihm selbst geschaffenen, eingebunden. Ohne Festivalveranstalter, Studios und Hochschulen, ohne den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland würde die Kultur der Neuen Musik zusammenbrechen.

Dennoch haben die Thesen von Harry Lehmann ihre Berechtigung. Er schreibt: «Die Ausgangslage der Argumentation ist also folgende: Die Neue Musik, wie sie sich im letzten halben Jahrhundert speziell in Deutschland ausgebildet hat, ist eine stark institutionalisierte Kunst. Warum sollte an diesem Zustand die digitale Revolution etwas ändern? Die kurze Antwort lautet: sie schafft Alternativen. Der Komponist ist nicht länger in dieser ausschließlichen Weise wie bisher darauf angewiesen, bestimmte Leistungen der Institution in Anspruch zu nehmen. Sie gibt den Produzenten jene Produktions- und Distributionsmittel in die Hand, welche bislang nur von der Institution bereitgestellt werden konnten. Mit anderen Worten bricht die digitale Revolution an vielen Stellen zugleich ein Dienstleistungsmonopol.»2 Dem möchte ich mich anschliessen, wobei ich noch einen Punkt besonders betonen möchte. Es werden sich in dem Versuch der Komponisten, sich von bestehenden Institutionen unabhängig zu machen und dazu digitale Medien zu benutzen, auch besondere ästhetische Antworten entwickeln, die von den bestehenden Institutionen nicht gegeben werden. Aus dem Mangel heraus werden Experimente gemacht, die vorhandene Institutionen nicht machen würden. Und es werden Werke aufgeführt, die in vorhandenen Institutionen in Folge der selbstverstärkenden Auswahlmechanismen unter den Tisch fallen. Durch das gemeinsame Interesse an neuen ästhetischen Antworten werden auch neue Institutionen entstehen, die stärker öffentlich gefördert werden, wenn sie professionell erfolgreich sind.

Ein längerer Auszug aus dem Text ist auf der Website von dissonance zu lesen:
http://www.dissonance.ch/de/hauptartikel/149