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Aus Tralien #8

Im Flug, 6.8.
Im Flugzeug gibt es jetzt ein eigenes Lichtlein für das Verbot elektronischer Zigaretten.
Außerdem: Integriert in das Display ein Kompass, der immer Mekka anzeigt. Stelle mir vor: Wenn das Flugzeug abstürzt, also wenn selbst hartgesottene Atheisten die Hände falten – wenn dann aber die Bordelektronik ausfällt und die Mekkarichtung nicht verfügbar ist. Auch ein Trudelflug würde das Richtungsbeten sehr schwierig machen. So bleibt ausgerechnet das wohl wichtigste Gebet des Lebens unerhört.
»Auf dem Sterbebett werden alle katholisch.« (Harald Schmidt). Ernst Jünger prahlte damit, dass er im Ersten Weltkrieg angesichts der Stahlgewitter nicht gen Himmel flehte – doch im Alter von 101 ließ er sich dann taufen. Aber nicht so: Voltaire! Verweigerte bis zuletzt die Sakramente.

Dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis es einen Flugzeugabsturz gibt, bei dem alle Insassen ums Leben kommen, aber von dem Handyvideos der letzten Minuten drinnen gefunden werden und die ins Netz gelangen.

Melbourne, 7.8.2016

Die erste Übernachtung in einem Privathaus. Eigentlich eine ruhige Gegend, aber just diese Nacht ist nebenan eine laute Party. Der Blick aus dem Fenster offenbart das Nachbarsgrundstück als Venusstätte, Silhouetten von Brüsten und aufgesteiften Schwänzen, die in Mündern verschwinden, Frauen reiten im Gras liegende Männer. Dort unten befindet sich ein ThinkTank des >savoir vivre<. Morgens gleich auf den Uni-Campus, im Café ein Frühstück bestellt, das sich als Sandwich mit absurd vielen Fleischschichten entpuppt. Danach ins Uni-eigene Museum, irgendwie einfach zu früh für Museumsgang. Aber eine schöne Ausstellung: Ein kokosölbetriebener Filmprojektor zeigt eine Doku über eine revolutionäre Gruppe auf Neuguinea, die aufgrund eines Embargos Filmeprojektoren mit Kokosöl betrieben. Dann Fahrt aufs Land, 1.5h hinaus in eine Kleinstadt von Melbourne-Aussteigern, wo ein kleines Konzert stattfindet. Mein Gastgeber Joel tritt auf; das Stück besteht im öffentlichen Abhören neuer Mailboxnachrichten, von denen er genügend hat, und dann entscheidet er ob Speichern oder Löschen. Das andere Stück ist ein Anruf beim Finanzamt, bei dem man sich mit einem Stimmsample identifizieren kann, was der Künstler durch eine live-Einspielung allerlei trötender Instrumente ersetzt. Fortan kann er sich in der australischen Finanzamthotline mit einer Tröte ausweisen. (Was natürlich nicht funktioniert, wie er mehrmals vergebens versucht.) Joels weitere Performance-Ideen: Die Polizei rufen wegen einer Lärmbelästigung und dann warten bis sie kommt, mit ihrem Erscheinen ist das Stück zu Ende. Und: Mein Flughafenkonzept („Einen unaussprechbaren Namen haben und dann am Flughafen provozieren, dass man ausgerufen wird.“) hat er umgesetzt, besitzt schon über ein Dutzend Ausrufe nach seinem Namen, der nur allerdings ziemlich leicht aussprechbar ist. Beim Spaziergang sehe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen in freier Wildbahn lebenden Papageien, bzw. sieht mutmaßlich zum ersten mal in seinem Leben ein in freier Wildbahn lebender Papagei mich (ebenfalls frei).