„Parzellen statt Erfahrungen“. (Kreppein)
Sicherlich eignet sich der Neue Konzeptualismus besonders gut für den Diskurs, so wie sich für ein Streichquartett Stücke für zwei Geigen, Bratsche und Cello vornehmlich eignen. Konzepte kann man in zwei Sätzen weitererzählen, schon ist ein Stück abermals aufgeführt. Ja, so ist der Konzeptualismus und das verschafft ihm auch oberflächlich Vorteile. (Aber die hat er gegen das Etablierte auch verdient.)
Andererseits ist Konzeptualismus ja sperrig, weil anästhetisch, auch nicht immer soo witzig-pointiert, und die Kleinteiligkeit wird verwechselt mit Kurzatmigkeit und Unterkomplexität. Genauso könnte man Heinrich Schütz vorhalten, dass er ja keinen verschlungenen 12-stimmigen Kontrapunkt mehr geschrieben hat. Kategorienwechsel müssen wohl damit leben, dass Kritik auf der falschen kategorialen Ebene verlässlich eintritt. Es ist nachgerade ein Fettnapf, in den natürlich immer einer reintritt, dass man einen Aphorismus schreibt, und dann kommt einer her und kritisiert, dass das ja kein Roman sei, – ob das ein Argument gegen Aphoristik wäre – oder dass die Reime in dem Roman aber irgendwie gar nicht funktionierten. Als nächstes wird dann die „Welt“ als Vergleichsobjekt herangezogen, was denn nun der Welt adäquater sei, und wenn man da nicht fündig wird, dann sagt man zuletzt, dass es stattdessen eben um Utopien ginge. Damit ist dann endgültig die Auseinandersetzung der Willkür gewichen.
Maximaler Distinktionsgewinn. Musik als unkonzeptuellstes Medium für Konzepte zu nutzen, das ist ein Coup.
Das einzelne, aber feste statt der großen Erzählung, sei sie auch noch so facettenreich. Und sicherlich steht hinter den Einzelheiten eine Haltung – das sind nicht Fragmente, sondern Manifestationen.
Zitieren, entlehnen, Referenzieren. Das kann man parasitär nennen, ist aber schlichtweg auch eine Wahrheit, und Moral ist hier doch fehl am Platz.
Diskurs. Kritik. Man kritisiert selten das, was man nicht gut findet, sondern das, was man selber nicht kann.
Ein Einwand: Die Welt sei komplex, da könne ein Stück das nur eine Idee verfolgt dem nicht gerecht werden, oder jedenfalls nicht einem Anspruch auf >Vielschichtigkeit<. (Schick / Marcoll / Kreppein)
Aber ein Stück, das 10 Minuten geht und auskomponiert ist (und nur Musik ist, ohne multimediale Zusätze), das wird also der komplexen Welt gerecht..?
Erst mal wird der Anspruch erhoben, der komplexen Welt müsse man gerecht werden, und dann wird das auch noch quantitativ bestimmt.
[Der Ausdruck „komplex“ ist eigentlich nur noch prätentiös. Wer sagt, dass Kunst „komplex“ sein müsse? Komplexität, wieder einmal ein undefiniertes Fetischwort in der Neuen Musik. „Komplex“, das ist die Androhung von Erhabenheit, vom strafenden übermächtigen Gott. Ich bin auf der Suche nach der unkomplexesten Musik. Nicht einfache / minuseinfache, sondern nullfache Musik. Zeroalismus.]
Momente der Rahmung, Reduktion auf Strukturen.
Sie sagen, die heutige Welt sei so komplex. Aber alle haben sie in kleines Gerät in der Tasche, auf dem sie diese Komplexität erfahren. Das riesige Word Wide Web, sie alle sehen es durch einen (1) Browser und googeln in einem minimalistischen Suchschlitz. Es gibt immer Ebenen der Erlebens, die ganz simpel sind. Die unendlichen Möglichkeiten sinnlicher Eindrücke, wir alle erleben sie durch gerade mal zwei Koordinaten: Raum und Zeit. Konzeptualismus gestaltet solche Rahmungen, solche Flaschenhälse, durch die jeder Mensch die Welt wahrnimmt. Manche Komplexitätsreklamierer muss man mal wieder an die Kantschen Bedingungen der Erkenntnis erinnern. Denn „Hören“ ist „Hören als“. Konzeptualismus internalisiert die Tatsache der Hörperspektive. Keine Perspektive, sondern Perspektivismus. „Ismus“=Selbstreflexion.
Konzepte sind limitiert (wie alles), aber sie sagen es. Sie formulieren diese Grenze deutlich, das heißt, sie überschreiten sie: dort befindet sich der Hörer.
Als ob Komplexität die ultimative Qualität wäre. Kunst kann auch schön sein, stimulieren, erhaben und Widersprüchlich sein, punktuell, fließend, spitz oder flach.
Duchamps fountain ist so wenig komplex wie die Entdeckung von Amerika. Beides sind just Ideen, die man eben irgendwann gehabt hat.
So, wie im 19. Jahrhundert das höchste Ziel ein „organisches“ Kunstwerk war (eine Lieblingsmetapher von Hanslick), so kann heute Musik laut oder leise, dieser oder jener Stil sein, aber all das hat nur ein Ziel: am Ende müsse es „komplex“ sein.
Man kann diskutieren, wie viel zeitlichen und materiellen Aufwand eine einzige Idee rechtfertigt, aber nicht mit der Ontologie einer >komplexen Welt< argumentieren. Die Macht des Namens. John Cage verdankt seinen Erfolg auch seinem schönen Namen. Hätten die Dadaisten nicht das Wort „Dada“ gefunden, alles darunter geltende würde wenig gelten. „Cabaret Voltaire“, mit diesem gelungenen Namen war die Erfolgsgeschichte grundsteingelegt. Die Fremddetermination (bei Cage ist ja auch die Frage, ob es In- oder Fremddetermination ist, also ob es Zufall überhaupt gibt). Entsubjektivierung, stattdessen lässt man mechanische Kräfte (zB Schwerkraft) oder kollektive (zB Börsenkurse) Töne produzieren. Vgl. Max Ernsts Techniken der Entsubjektivierung, Drip-Painting, Frottage. Schwerkraft, eine Kraft die überall da ist. Was man alles umwerfen kann! Was man alles fallenlassen kann! Noch mal: Wo ihr nach Komplexität ruft, waltet euer primitiver Wille zur Macht. Das Schlagwort „komplex“ ist, mit Verlaub, unterkomplex. Es wäre ein komplexes Konzept, im Diskurs auf das Wort „komplex“ zu verzichten. Der erweiterte Musikbegriff, der begriffliche Musikbegriff.