Skip to content
 

China-Tagebuch #1

Dieser Tage vor genau 10 Jahren war ich mit zwei Freunden in Peking. Ich habe nachträglich Notizen davon gemacht, die ich hier zusammen mit Fotos zeige. Es sind nur kleine Schlaglichter, wir haben in den Tagen wesentlich mehr erlebt.

23.10.2005
Wir, das sind Alberto C. Bernal, Joao Miguel Pais und ich, Trio für Laptopimprovisation, kommen am Abend an, das Wetter ähnlich wie in Deutschland, vielleicht etwas wärmer. Alles ging sehr schnell, im Juni die Bewerbung für das Elektronikfestival in Peking, im August die Zusage, überraschend unbürokratisch und vor allem so extrem kurzfristig finanziert uns das Goethe-Institut die Reise; es scheint als ob der Deutschen Regierung kulturelle China-Projekte besonders förderungswürdig sind.
Am Flughafen erwarten uns, bzw. irgendeinen Popstar der auch im Flugzeug gesessen sein muss eine Horde Teenager. Wir stellen uns einfach mal hin, als ob es uns gälte.

Gleich ins Restaurant und für ein paar Groschen sehr gut gegessen. In der Tram will ich fotografieren und stelle fest, dass wenn ich die Linse auf meine Augenhöhe halte, ich lauter Haarschöpfe überblicke. Die Tatsache, dass ich die Chinesen um einen Kopf überrage und blond bin wird mir in den nächsten Tagen oft eintragen, dass sich Einheimische mit mir fotografieren lassen; mir ist das sympathisch, nicht aus Eitelkeit sondern weil hier die Verhältnisse umgedreht werden: Nicht der Tourist fotografiert die Exotika, sondern ist selber eines.

Auf dem Tian’aMen; ich glaube der surrealistische Charakter den ich bei Peking von Anfang an habe, rührt daher dass es kein Graffitti gibt (soviel zur Architektur), nicht den kleinsten Fleck, und das in einer Millionenstadt. Mulmiges Gefühl, das lässt auf die Strenge der Diktatur hier schließen. Dazu der obligatorische Dunst, wir werden in Peking fast nie den Himmel oder eine Wolke sehen. Angeblich hat er direkt mit den billigen Produktionsweisen zu tun, denen wir in Deutschland die Klamotten, Schuhe und all den Elektronikkram Made in China verdanken.
Abends wollen wir in der Hotelbar im Untergeschoss noch einen trinken; die Bar hat sogar eine Tanzfläche und ein ganzes Rudel schöner Frauen vergnügt sich darauf, bis klar wird (sie kommen gleich auf einen zu), dass das hier ein Bordell ist. „Massage“ ist das Codewort, wir werden es noch häufig hören. Wir schlagen schon wieder den Rückweg ein, gehen aber doch einmal durch die hinteren Gänge, und da sind tatsächlich lauter kleine Art Wohnzimmer, in denen Karaoke gespielt wird, Chinesen mittleren Alters mit blutjungen Nutten (wobei ich mich bei Asiaten im Alter irren kann, manche sehen aus wie Kinder und sind schon über 30), eine singt, eine andere wird unterm Rock befummelt. Karaoke scheint offenbar fester Bestandteil des Puffamüsements zu sein, meine erste musikalische Erfahrung hier.
Im Hotelzimmer kommen erfreulicherweise Netzwerkkabel aus der Wand, und wir schauen natürlich gleich, welche Websites nicht gehen: Wikipedia zum Beispiel. Das ist die große Chinesische Firewall. Spiegel Online geht – spricht nicht gerade für den Spiegel.