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Zur Sampling-Theorie von Rolf Großmann

Ich wurde unlängst auf folgendes Zitat von Rolf Grossmann hingewiesen:

Künstlerische und kulturelle Sampling Techniken können Innovation und SubVersion des Scratching oder der Tape Music nur fortsetzen, wenn sie den geordneten und ordentlichen Zugriff des digitalen Sampling (ich schließe das Frame-Grabbing der Bildwelten mit ein), seine saubere Programmverarbeitung durchbrechen und die Programme selbst zum Gegenstand des Zugriffs machen […] seine Verarbeitunsgsstrukturen [sollen] in einer neuen Stufe der direkten Programmzugriffe und Parameterzugänge […] ästhetisch produktiv werden…

Ich möchte das kommentieren, weil ich es grundfalsch finde und derlei kursiert.

Zwei Fehler stecken in der Aussage:

1. von Materiellem wird auf Immaterielles geschlossen
2. ein linearer Geschichtsverlauf ist supponiert

En Detail:

1. Die fehlerhaft angewendeten Geräte der analogen / physischen elektronischen Musik müssen die Medientheoretiker einst in Ekstase getrieben haben. Nun gut, ein CD-Player ist die Behauptung, dass er CDs ordentlich wiedergibt, und siehe da, die CDs bleiben aber manchmal hängen, und haufenweise ließ man also CDs in allen Rhythmen und Lautstärken hängen. Wo irgendwo ein Video mit Ton synchronisiert war, kam sofort der tugendhafte Reflex, jetzt mal Asynchronität walten zu lassen, dass sich das kräftig gegenreflektiert usw., schön und gut!
Wie sollte das aber im Digitalen passieren? Es gibt keinen „geordneten und ordentlichen Zugriff“ bei heutiger Klangverarbeitungssoftware wie Max/Msp, Pd, et.al. Was diese Software liefert sind Schrauben und Muttern, die funktionieren, was damit angefangen wird, ist dem Musiker-Programmierer überlassen. Professionelle Software wird immer fehlerloser – in dem Sinne, dass es keine Definition von Fehler mehr gibt. Ebensowenig kann da von „sauberer Programmverarbeitung“ gesprochen werden, denn der Komponist selber bestimmt die Regeln. Die vorgegebenen Strukturen von low-Level-Software wie Max/Msp sind viel zu offen, als dass es Sinn machen würde, sie noch irgendwie zu durchbrechen; sie behaupten nichts! Stattdessen gilt einfach: anything goes. Nur mit bescheidenerer, massenmarktorientierter Software wie Songsmith oder Autotune wäre etwas in die Richtung machbar, aber dann auch nur als eine Option. Das führt zu 2.:

2. Großmann bestimmt einen linearen Innovationsweg. Das geht ohnehin in der heutigen pluralistischen Welt nicht, aber schon gar nicht über den „paradigm shift“ zum Digitalen hinweg. Der Übergang vom Materiellen zum Immateriellen ist disruptiv und setzt andere Paradigmen. Beispielsweise ist beim Sampling die Frage des Urheberrechts angesichts der heute vorhandenen Datenmengen ganz ungleich gewachsen, dazu habe ich eine Aktion durchgeführt, die in der Art neu war, aber ganz anders als Großmann es vorsieht. Ein anderes Beispiel für heutige Samplingkunst wäre Cory Arcangels Verwendung von Katzenvideos aus YouTube, um Klavierstücke von Schönberg neu zu interpretieren. Das Medium, YouTube, ist voll von Katzenvideos, und Schönbergs Musik wurde als „Katzenmusik“ diffamiert; Arcangels provokante Verniedlichung einer originär expressionistischen Musik spielt mit dieser Semantik. Dazu passt Harry Lehmanns Theorie der gehaltsästhetischen Wende, weg vom Materialdenken, hin zu Semantiken, bedingt auch durch die heutige Digitaltechnologie. Es ist daher konsequent, dass Großmann das Sample vom Zitat unterschieden wissen will:

Sampling ist im Unterschied zum Zitat, das seine Sinnumgebung transportieren soll, eine Zugriffs- und Verarbeitungstechnik von Medienmaterial. Materialkontexte, Sinnkontexte und Bedeutungen sollen gerade nicht reproduziert, sondern transformiert oder ignoriert werden.

(Quelle)

Mir kommt es so vor, als hörte ich von Pop- und Medientheoretikern ständig Sätze wie „Remix darf man ja nicht mit Collage verwechseln“, „Ich möchte Cover und Remake folgendermaßen unterscheiden“, „Mash-Up ist grundsätzlich anders als Sampling, ich schlage darum lieber einen neuen Begriff vor…“ etc.pp. Blöderweise scheinen das aber stets Privatdefinitionen zu sein, die nicht zünden und weniger erhellen als das Durcheinander von Musique concrète, Sampling, Intertextualität, Collage, Bricollage, Remix, Appropriation Art, Bastard Pop, Mash-Up usw. noch verstärken. Ich glaube, es liegt im anarchischen Wesen der Remix-Kultur, dass sie sich einer strengen Definition entzieht – aus Respekt davor sollte man es wohl besser bleiben lassen. Jedenfalls scheint es keine wirkliche Notwendigkeit für die Unterscheidungsversuche der Theoretiker zu geben – sonst würde sich doch einmal eine Definition durchsetzen.
Dennoch, ein Fehler lässt sich Großmanns Aussage m.E. benennen: Die Distanzierung vom Zitat. Was ist kein Zitat? Auch hier erscheint mir das wieder als ein Statement der älteren Generation, die noch glaubt, dass es neutrales Klangmaterial gibt. Ein Sample ist ein Sample von etwas, und wenn es transformiert wird, dann zu etwas hin!

Großmanns These ist aufschlussreich – sie exemplifiziert den auch in der Medientheorie erfolgenden Generationenkonflikt.

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