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Eltär vs. Populär – Essay

Letzten Oktober war ich zu einer Podiumsdiskussion mit dem Thema „populär vs. elitär“ im Rahmen der Dresdner Tage für zeitgenössische Musik eingeladen. Zur Vorbereitung hatte ich einige Skizzen gemacht, die ich jetzt zu einem Text zusammenbringe. Hier die Vor-Veröffentlichung.

Johannes Kreidler

Eltär vs. Populär

 

-2.

 

Wie in jeder Wissenschaft ist auch in der praktischen Ästhetik – vulgo Design und Kunst – „Grundlagenforschung“ unverzichtbar. Im Chemielabor forschen Spezialisten an Dingen, die außer ihnen keiner versteht – aber aus den Ergebnissen entsteht später vielleicht etwas allgemein Nutzbares. Auch das „strukturelle Hören“, ein Paradigma der Neuen Musik und im Grunde ganz der akademischen Elite vorbehalten, hat seine längerfristigen kulturellen Auswirkungen. (Stockhausen wurde zu Recht als „Großvater des Techno“ bezeichnet, und die Neue Musik reklamiert ja gerne, dass sie experimentell ergründet, was der Pop mit mehreren Dekaden Verspätung übernimmt.) Selbst das sperrigste Musikstück bewirkt möglicherweise ein Stück Aufklärung in den Köpfen Einzelner, die wiederum ihre demokratische Stimme geltend machen. Niemand kann widerlegen, dass auch Weberns Quartett Opus 22 ein kleines Bisschen zum Fall der Mauer beigetragen hat!

 

-1.

 

Was lässt sich für solche bildungselitären, inhaltlich kompromisslos anspruchsvollen Güter zunächst tun? Vermittlung – Bildung, Bildung, Bildung. Aber allererst: Verbreitung. Jedes Laborergebnis gehört ins Internet.

 

0.

 

Auch wenn die „Grundlagenforschung“ wichtig ist, habe ich in meiner Arbeit mitunter eine andere Intention. Zumindest möchte ich nicht nur im Labor stehen.

 

„Die Inakzeptanz der modernen Musik ist eines

der größten Desaster der Kunstgeschichte.“

Jean-Luc Godard

 

1.

 

„Kulturelle Lernprozesse sind stets verschlungene“ schrieb unlängst ein auch als Publizist sehr aktiver Komponist. „Stets“? Das ist falsch, bequem kulturpessimistisch und im schlechtesten Sinne elitär. (Der Relativitätstheorie kann man nicht Elitarismus vorwerfen, nur weil sie fast niemand versteht; einer Haltung aber sehr wohl.) Die Aussage, Weberns Quartett erbrachte einen Teil zur friedlichen Revolution 1989, darf kein Trostbrief für „verkannte Genies“ sein. Sonst kann man auch gleich im Glauben arbeiten, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings andernorts ein Unwetter auslöst – bei dem auch noch glatt ein Diktator vom Ast erschlagen wird. Es gibt direktere Möglichkeiten.

 

 

2.

 

In anderen Medien ist die Kunstavantgarde des 20. Jahrhunderts ja angekommen. Warhols knallfarbene Marilyn Monroe ist eine Ikone, Apples Logo – Augen frontal und Nase im Profil – zitiert den kubistischen Klassiker, und unlängst erhielt ich in einer schwäbischen Kleinstadt eine Brottüte, deren Hintergrunddruck unverkennbar von Mondrian abgekupfert worden war. Analog hätte in der schwäbschen Kleinstadtbäckerei dann eigentlich ein leicht elektronisierter Webern aus dem Radio klingen müssen – das allerdings geschieht bekanntlich nicht. Offenbar gibt es angeborene oder kulturelle Divergenzen in der Wahrnehmung verschiedener Medien. Aber immerhin können wir Warhol & Co als Hoffnungszeichen nehmen, dass es nicht grundsätzlich an intellektuellen Fähigkeiten mangelt.

 

3.

 

Ich habe mit den nicht-professionellen Musikern aus meinem Freundeskreis, also vor allem mit Künstlern anderer Sparten und Akademikern, eine kleine (nicht-repräsentative, aber beispielhafte) Umfrage durchgeführt: Was für Musik hört ihr? – Anders gefragt: Wodurch zeichnet sich anspruchsvolle Popmusik aus? Denn Neue Musik hören sie kaum bis gar nicht, aber auch nicht gerade Dieter Bohlen (ich glaube, man kann das unabhängig vom funktionalen Bezug verschiedener Musiken betrachten; es geht überhaupt um’s Kennen und Wertschätzen). Ein erstes Ziel der Ausweitung des Neue-Musik-Radius wäre schließlich, neben der Jugend, diese Gruppe.

(Wenn man Poptheoretiker wie Diedrich Diederichsen liest, bekommt man das Gefühl, U sei das neue E und in House Music steckt mehr Dialektik als Adorno je bei Schönberg entdeckte.)

Ich habe die genannten Musiken im engeren Sinne analysiert; ich beschreibe die Unterschiede dieses „Intellektuellenpop“ als Gegensätze zur Neuen Musik:

 

a) Die Popmusik ist allermeist mit Text (Gesang), die semantische Ebene wird also durchgehend mitstimuliert.

b) Die Popmusik hat andere Instrumente (Band / Elektronisches und oft sehr charismatische, unverwechselbare Sänger).

c)  Die Popmusik ist, trotz gelegentlicher Wagnisse, letztlich tonal (harmonisch, metrisch, formal).

d) Die Popmusik ist primär auf Reproduktionsmedien angelegt.

 

 

Das ist jetzt sehr schwarz-weiß, aber ich meine doch feststellen zu können, dass die Neue Musik größtenteils als „reine Musik“ ohne Text angelegt ist, ihre instrumentale Basis die klassischen, akademisch eingeschulten und institutionell gruppierten Instrumente sind, sie bei aller Re-Inklusion tonaler Mittel im Wesen atonal ist und ihr eigentlicher Austragungsort der Konzertsaal ist. (Und umgekehrt, dass das Gros der Popmusik den obigen Analysen entspricht.) Indes möchte ich in Frage stellen, ob diese Distinktionen einen Qualitätsunterschied bedeuten.

 

4.

 

Ich bin der Ansicht, dass die Neue Musik einige Aspekte ihres Elitarismus abschütteln könnte und ihr das gut täte, ohne einen Anspruch preiszugeben:

 

a) Text

 

„Absolute Musik“ gibt es nicht, auch nicht „autonome“, Musik steht in Zusammenhängen (ökonomisch, gesellschaftlich, politisch, privat, …). Komponisten geben ihren Stücken ja zumindest Titel und schreiben meist eine Programmnotiz. Ich bin dafür, die Textseite zu stärken; nicht unbedingt gesungen, das gleitet zu schnell in (unverständliche) Musik, nicht als Programmtext, da ist viel zu unklar, von wem-wann-ob-wie das gelesen wird, sondern mit Moderationen, Textprojektionen, Videos, Handouts. Beispielsweise habe ich in meinem Stück Fremdarbeit nicht selber komponiert, sondern Komponisten aus Billiglohnländern dafür bezahlt, mir Stilkopien meiner Musik anfertigen zu lassen. Dieses Konzept musste natürlich mitkommuniziert werden, die Musik versteht sonst keiner, weder Laie noch Profi. Also habe ich das Stück moderiert, was zu einem lebendigem Konzertereignis führte.

Solche Konzeptualisierung ermöglicht grundsätzlich, Themen – und das heißt auch gesellschaftlich brisante Themen – in die Musik zu bringen und ein reflexives Niveau einzunehmen. Weitere „Vermittlung“ sollte dann eigentlich nicht nötig sein.

 

b) Instrumente

 

Großen Reformbedarf sehe ich beim Instrumentarium. Ich gehe oft ins Theater, vor allem in mein Lieblingstheater, dem HAU in Berlin, einer der fortschrittlichsten Spielstätten Deutschlands. Sehr bekannt ist mittlerweile die ansässige Gruppe Rimini Protokoll, die ein aktualitätsbezogenes Dokumentartheater inszeniert; gerne arbeiten sie dabei auch mit Musik. Ich glaube, wenn die mich nach einer Musik fragten, und ich käme ihnen mit Streichquartett oder Fagott an, würden sie mir den Vogel zeigen! Mit Recht: Die Aura dieser Instrumente ist bürgerlich, altmodisch, unsexy, verschlissen. Die Neue Musik dockt meist ans klassische Publikum an, aber ich glaube, dadurch versperrt sie mehr möglichen Hörern den Zugang als sie gewinnt. Das Klassikimage ist schädlich, die Berliner Philharmonie ein Altenheim – als junger Mensch, so sehr ich persönlich Beethoven liebe, möchte als Künstler kein Altenpfleger sein.

 

Ich hoffe, dass digitale Controller, heute noch im experimentellen und spektakulären Stadium, in Zukunft probate Alternativen zu den alten Instrumenten sein werden. Neue Musik soll nicht neue klassische Musik sein, sondern die eigenständige, ästhetisch und technisch avancierte Kunstmusik der Gegenwart.

 

c) Tonales

 

Mir fällt es schwer, Tonales einzubeziehen. Die Freiheit der Atonalität ist ein hohes Gut; zweiwertige Beats und funktionsharmonische Turnarounds empfinde ich als ästhetisch unterkomplex. Wohl die meisten Komponisten der Neuen Musik hierzulande denken so. Damit verschließt man sich aber freilich dem Gros der Hörer; allem Anschein nach ist Atonalität absolut unvereinbar mit Pop. Natürlich gibt es Ausnahmen – es gibt ja alles irgendwo –, doch das systemlose, systemnegierende Hören bedarf in den allermeisten Fällen der professionellen Schulung und wird darum gemieden.

Integration von Tonalem ist aber natürlich möglich; es ist ein Unterschied, ob tonal gedacht oder Tonales genutzt wird; auch wenn das dann wesensmäßig atonal bleibt (Versöhnung halte ich für schwer möglich), ist vielleicht doch eine Öffnung geschehen. Ein Unterscheid ist allerdings auch, ob jene Tonalität des 19. Jahrhunderts, sprich der „klassischen Musik“ genutzt wird, wie es in der Neuen Musik meist der Fall ist, oder die tonale Musik der Gegenwart – der Popmusik. Hier greift wiederum das Manko der alten Instrumente.

 

Mit stärkerem konzeptuellen Verständnis ist auch für mich Tonales nutzbar; in meinem Stück Charts Music war durch eine konterkarierende Video-Addition möglich, ausschließlich Popmusik zu verwenden (nur die Form ist eine atonale Reihenform bzw. eine Collage). Ich halte das Stück, das weltweit ein großer Erfolg war, dennoch für „Neue Musik“ (der oben zitierte Publizist nicht).

 

d) Reproduktionen

Ein Paradigmenwechsel in der Verbreitung liegt auf der Hand: Im Konzertsaal findet eine einmalige (sehr teure) Aufführung statt, und in der Regel können zwischen 50 und 500 Stühle besetzt werden. An Rechnern mit Internetzugang, von denen sich auf alles Kopierbare zugreifen lässt, stehen derzeit rund 2 000 000 000 Stühle. Ich halte es für sinnvoll und die Neue Musik für wert, sie kopierbar fürs World Wide Web zu gestalten, sie auf „Virtugenität“ (Harry Lehmann) von vornherein anzulegen. Mittlerweile sind Aufführungen für mich zu erheblichem Grad auch dazu da, später dem „Long Tail“ des Internets in Form von Dokumentationen zur Verfügung zu stehen.

 

5.

Alle diese Maßnahmen erachte ich im Grunde nicht als generöses ‚Entgegenkommen’ an ein breiteres Publikum, sondern als gegebene Optionen der heutigen Kunstmittel. Jeder der genannten Punkte hat mit den Novitäten der Digitalen Revolution zu tun. Diese zu nutzen ist schlichtweg Avantgarde.

Darum soll jedes Heilsversprechen unterbleiben und schon gar kein Dogma ausgesprochen werden. Hier ist von nicht mehr und nicht weniger als von Möglichkeiten die Rede; aber wer an die Möglichkeit des „Neuen“ in der Musik glaubt, wird sie nutzen.

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5 Kommentare

  1. BibaBibaBooo sagt:

    Hi Johannes,

    ich mag deinen Text, die Aussage und die Argumente. Ganz besonders auch die Mühe, die du dir machst, den Alten die neue Weltordnung zu erklären. ;)

    Ich bin mir allerdings deiner Motivation nicht so sicher. Irgendwie beißen sich da zwei Welten und das funktioniert meiner Meinung nach nicht so gut. Auf der einen Seite dieses streiterische Auffälligwerden in relativ isoliertem Diskursen, anderseits die kreative Lust im wilden Netz. Ich weiß gar nicht, ob die Weltfremdheit des ersten wirklich mit dem alten Elite Begriff einhergeht. Die können einem doch eigentlich gar nichts mehr wegschnappen.

    Na gut, das ist natürlich auch eine Frage des eigenen Kontexts. Und wenn man da dauernd merkt, dass die anderen nicht mitkommen, will man halt helfen…

    Auch noch ein bisserl zu den Beispielen:

    Ich seh die Gefahr, Konsonanz von Popmusik mit Tonalität zu verwechseln. Ich kenn beinah kein Techno-Set, bei dem man von harmonischer Entwicklung sprechen kann. Außer vielleicht im Zeitraffer, wenn man den ganzen Abend auf 5 Minuten strafft… Und das gilt wirklich für viel ‚electro‘. Und eigentlich auch für einen ganzen Haufen andere Genres (viel Rap, früher auch einiger Hardcore, etc.)
    Und dementsprechend (aber das hast du ja angesprochen) gibt es so viele ‚tonalen‘ Gesten in – bloß – dissonanter Neuer Musik.

    Ich werde allerdings das Gefühl nicht los, dass ‚tonal‘ begrifflich hier nicht mehr weiter hilft. Dann fängt man an bestimmte Zeitverteilungen tonal zu nennen, Aussagen auch, eben Gesten oder Funktionen (Filmmusik). Da schrumpft Ideologiekritik zur Ideologie.

    Irgendwie fehlt mir auch, wofür man welchen Krams denn hört. Alles hat seine Zeit, sach ich mal. Und einen Anspruch bezüglich dem zu Erlebenden. Und einen Sinn der genau darin liegt. Und wenn das nicht gelingt, darf man hoffen, dass ein produktiver Fehler draus wird.

    Vielleicht liegt darin auch die leichte Unterschätzung von nicht-musikprofessionellen Hörgewonheiten. Die interviewten Künstler haben wahrscheinlich einfach nach Häufigkeit aufgezählt, oder ihrem Anschaffungsverhalten nach. Aber die experimentellen Hörerlebnisse aus Museen, aus dem Netz, in irgendwelchen Bars, vielleicht gar mal ab und an in Konzertsälen, weggelassen. Obwohl die zur allgemeinen Hörerfahrung sicher auch gehören. Ich hab auch keine Neue Musik in meinem iTunes folder. Nachher shuffelt mir das da noch plötzlich rein, man.

    Neu sind ja – in bekannter Abkehr vom chronologischen Verständnis – die neuen Erfahrungen. Meinetwegen auch die gesellschaftlichen und die technischen. Und die kommunikativen. Und für Kommunikation muss man mittendrin stecken. Sonst hört man gar nichts.

    Das mit dem Text. Mir gefällt deine Popanalyse (obwohl in Popmusik seit den 90gern, wiedermal durch Techno – oder Aciiiiid – instrumentale Musik einen ziemlich großen Platz eingenommen hat. Wie Techno auch das 3-Minuten Vorurteil widerlegt hat. Mais bon, …). Also, stimmt, Text hat gar hier und da an Gewicht gewonnen, weil plötzlich so viele Englisch verstehen. Stimmt auch, dass in konzertanter Kunstmusik zu sehr davon ausgegangen wird, dass die ganzen 15 Minuten Stücke (das hätte Techno doch gleich mal mitabschaffen können…) alle denselben Ausgangspunkt haben. Ich finde aber, dass das gar keine Vergleichbaren Text Ebenen sind. Das eine ist Dichterei, eine zusätzlich musikalische Ebene, dass andere ist Hintergrund. Ich fände dein Beispiel viel eher an der bildenden Kunstpraxis relatierbar.
    Und die Neue Musik Musikgeschichte kennet eigentlich durch ihre direkte Verbundenheit mit der Geschichte des Radios eher viel Anmoderationen und Erklärungsbemühungen. Die Vermittlungsdiskussion ist da ja schon seit 50 Jahren sozusagen Lehrauftrag.

    Ach, Beethoven hör ich mir übrigens nur noch auf youtube an.

    Lieben Gruß!

    David

  2. Kreidler sagt:

    Lieber David,

    > ich mag deinen Text, die Aussage und die Argumente. Ganz besonders auch
    > die Mühe, die du dir machst, den Alten die neue Weltordnung zu erklären. ;)
    >
    > Ich bin mir allerdings deiner Motivation nicht so sicher. Irgendwie
    > beißen sich da zwei Welten und das funktioniert meiner Meinung nach
    > nicht so gut. Auf der einen Seite dieses streiterische Auffälligwerden
    > in relativ isoliertem Diskursen, anderseits die kreative Lust im wilden
    > Netz. Ich weiß gar nicht, ob die Weltfremdheit des ersten wirklich mit
    > dem alten Elite Begriff einhergeht. Die können einem doch eigentlich gar
    > nichts mehr wegschnappen.
    >
    > Na gut, das ist natürlich auch eine Frage des eigenen Kontexts. Und wenn
    > man da dauernd merkt, dass die anderen nicht mitkommen, will man halt
    > helfen…

    Nun ja, es ist halt ‚meine‘ Szene, doch gut das irgendwie im Rücken zu haben, bei allen Streitereien; außerdem ist da natürlich auch Geld & Netzwerk.
    Den (meinen) Elitebegriff hab ich ja versucht zuerst zu klären (Bildungselite).

    > Ich seh die Gefahr, Konsonanz von Popmusik mit Tonalität zu verwechseln.
    > Ich kenn beinah kein Techno-Set, bei dem man von harmonischer
    > Entwicklung sprechen kann. Außer vielleicht im Zeitraffer, wenn man den
    > ganzen Abend auf 5 Minuten strafft… Und das gilt wirklich für viel
    > ‚electro‘. Und eigentlich auch für einen ganzen Haufen andere Genres
    > (viel Rap, früher auch einiger Hardcore, etc.)
    > Und dementsprechend (aber das hast du ja angesprochen) gibt es so viele
    > ‚tonalen‘ Gesten in – bloß – dissonanter Neuer Musik.
    >
    > Ich werde allerdings das Gefühl nicht los, dass ‚tonal‘ begrifflich hier
    > nicht mehr weiter hilft. Dann fängt man an bestimmte Zeitverteilungen
    > tonal zu nennen, Aussagen auch, eben Gesten oder Funktionen (Filmmusik).
    > Da schrumpft Ideologiekritik zur Ideologie.

    das sehe ich nicht so. Natürlich gibt’s Grenzfälle, aber bei allem was ich gehört hab würde ich tatsächlich diese Unterscheidung machen. Man merkt doch, wie selbstverständlich es immer wieder auch in Clubmusik ist, dass dann ein tonaler Akkord eingestreut wird. Von der völlig quadratischen Metrik ganz zu schweigen.

    > Irgendwie fehlt mir auch, wofür man welchen Krams denn hört. Alles hat
    > seine Zeit, sach ich mal. Und einen Anspruch bezüglich dem zu
    > Erlebenden. Und einen Sinn der genau darin liegt. Und wenn das nicht
    > gelingt, darf man hoffen, dass ein produktiver Fehler draus wird.

    Ja, das habe ich bewusst ausgeklammert. („Ich habe die genannten Musiken im engeren Sinne analysiert“). Das sollte ich aber viell. doch noch extra dazuschreiben.

    > Vielleicht liegt darin auch die leichte Unterschätzung von
    > nicht-musikprofessionellen Hörgewonheiten. Die interviewten Künstler
    > haben wahrscheinlich einfach nach Häufigkeit aufgezählt, oder ihrem
    > Anschaffungsverhalten nach. Aber die experimentellen Hörerlebnisse aus
    > Museen, aus dem Netz, in irgendwelchen Bars, vielleicht gar mal ab und
    > an in Konzertsälen, weggelassen. Obwohl die zur allgemeinen Hörerfahrung
    > sicher auch gehören. Ich hab auch keine Neue Musik in meinem iTunes
    > folder. Nachher shuffelt mir das da noch plötzlich rein, man.

    Ich denke allgemeiner an „kennen“ und „wertschätzen“. Egal ob im Konzert, im Film oder zum Kochen, erscheint mir bei meinen Probanden das Verhältnis zur Musik aufgrund der untersuchten Merkmale prinzipiell anders. Ich bin (zur Zeit) außerdem auch der Ansicht, dass zum Kochen Neue Musik laufen darf.

    > Ausgangspunkt haben. Ich finde aber, dass das gar keine Vergleichbaren
    > Text Ebenen sind. Das eine ist Dichterei, eine zusätzlich musikalische
    > Ebene, dass andere ist Hintergrund. Ich fände dein Beispiel viel eher an
    > der bildenden Kunstpraxis relatierbar.

    Ja, könnte man da auch gut anlegen. Ich denke aber auch, dass der gesungene Pop-Text damit verwandt ist, Text und Musik bilden eine ziemliche Einheit, man fühlt mit aufgrund Text wie Musik.

    > Und die Neue Musik Musikgeschichte kennet eigentlich durch ihre direkte
    > Verbundenheit mit der Geschichte des Radios eher viel Anmoderationen und
    > Erklärungsbemühungen. Die Vermittlungsdiskussion ist da ja schon seit 50
    > Jahren sozusagen Lehrauftrag.

    Jupp! Nur finde ich zB Programmtexte medial einfach ungenügend(hab mal darüber mal eigens geschrieben: http://www.kreidler-net.de/theorie/textinstallationen.htm).

    > Ach, Beethoven hör ich mir übrigens nur noch auf youtube an.

    jo, ich kenn ja die ganze Musikgeschichte durch Reproduktionen; bis zu meinem 18. Lebensjahr war ich viell. in 10 Konzerten.

    Best!
    Johannes

  3. Kreidler sagt:

    Hier noch ein Nachtrag, aus einem Interview mit „Scooter“:

    „Den Text gibt es übrigens nur, weil es einen Text zwingend geben muss. Die Menschen reagieren auf die Stimme, nicht auf den Instrumentaltrack darunter. Es gibt in der Popgeschichte nur eine Handvoll Instrumentaltracks, die es zum Hit gebracht haben.“

    http://www.welt.de/print/wams/kultur/article12183745/Es-geht-um-die-Aufloesung-jeglichen-Sinns.html

  4. BibaBibaBooo sagt:

    lieber johannes,

    jetzt komm ich mal dazu.

    ich glaube, anstatt jetzt nochmal auf antworten zu antworten sollte man es lieber ein wenig konkretisieren. mich reizt am meisten die tonalitäts und text debatte. ich glaube, dass das oehlen zitat nicht richtig ist. natürlich haben es instrumental tracks nicht in die charts geschaft, allerdings ist das erstens noch kein zeichen dafür, dass die semantische ebene von liedtexten im vordergrund der erfahrung steht, und zweitens sind charts nur kommerzielle statistiken und sagen gar nichts über die weite des feldes von popmusik aus. in vielen clubs wird an wocheenden überhaupt keine chartsmusik gespielt, sonder minutenlange instrumental tracks, die auch noch unmerklich ineinander verschmelzen. wobei tatsächlich die metrik hilft, aber eben nicht (immer) die harmonische tonalität. damit zum zweiten aspekt:
    ein eingestreuter tonaler akkord macht meiner meinung nach noch keine tonale musik aus. das hängt doch vom kontext ab. (ich kenn‘ da einen komponisten …).

    eben in dieser kürze.
    Lieben Gruß!

    David

  5. Kreidler sagt:

    hey david,
    du hast natürlich recht, dass es nicht so schwarz-weiss ist, dass es viele non-vokale und nicht-so-richtig-tonale popmusik gibt. ich denke halt, die vokale-tonale ist schon so dominant, dass diese gegenüberstellung legitim ist, zumindest um mal impulse zu setzen.
    herzlich!
    johannes