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Präpariertes Hören – Essay #3 zum Musiktheater

Präpariertes Hören

Zum Musiktheater Feeds. Hören TV.

1.

Da praktisch alle Klänge ausgeforscht sind, und auch aus ihren Kombinationen sich immer mehr bekannte Muster herauskristallisieren, setzt Objektivierung ein: Topoi, Idiome, Standardsituationen, Versatzstücke. Die kann man als solche nutzen – Musik mit Musik.

Nun ist nicht alles sogleich griffige Vokabel. Man kann aber auch aktiv Musik semantisieren, durch andermediale Zuschreibung: Sprache, Video, Inszenierung. Eine Aufgabe und Potenzial fürs Theater: Klängen Namen geben.

2.

Schon als Jugendlicher hatte ich die Idee für ein Klavierstück in fünf Sätzen, die alle die gleichen Noten haben, aber der erste Satz trägt einen philosophisch-religiösen Titel, der zweite einen abstrakten, der dritte einen privat-amourösen, der vierte einen ironischen und der fünfte keinen.

Ähnliche Filmexperimente sind bekannt: Zur Aufnahme eines Mannes, der ein Haus betritt, lässt man Alltagsmusik, Horrormusik, Slapstickmusik etc. erklingen. In jedem Fall ist es eine andere Handlung.

Mein Stück Fremdarbeit, bei dem ich Komponisten aus Billiglohnländern für mich habe komponieren lassen, moderiere ich, um das Konzept den Hörern wissen zu lassen. Bei der Uraufführung war ich tendenziell herablassend und ironisch, und prompt urteilten die meisten, dass die Auftragsmusiken auch schlecht waren. Bei der zweiten Aufführung musste ich englisch sprechen und war viel sachlicher, und das Publikum fand die Stücke gelungen.

3.

Der Neue-Musik-Evergreen also: Musik und Sprache! (Beziehungsweise: die Kommentarbedürftigkeit moderner Kunst (Arnold Gehlen).) Mit sprachlichen Mitteln wird die Musik be-zeichnet, kontextualisiert, das Hören justiert. Wenn zum Beispiel darüber hinzuinformiert wird, dass zu diesem Mozart hier noch unhörbar CDU-Wahlwerbung läuft.

Das kommt aus der Tradition der Präparation: John Cage begann in den 1940ern, das Klavier im Innenraum mit allerlei Gegenständen derart zu präparieren, dass gänzlich andere Klänge hervorkamen. In das Instrument wird eingegriffen, bestimmte Dinge werden herausgefiltert und voneinander getrennt. Das kann man durchaus als aggresiven Akt ansehen, die Manipulation, die Denaturierung des Bestehenden.

4.

Die musikalische Wahrnehmung verbal einzugrenzen ist absolut verpönt. Man will ja eigentlich unvoreingenommen hören. Wir aber wollen kanalisieren, schließen, fixieren. Außerdem kann ich nicht non stop Musik auf einem Keyboard spielen, das Made in China ist. Mit textlichen Zusätzen sind stärkere Wirkungen möglich als mit den immer kleinteiligeren Materialkombinationen im Neue-Musik-Duktus (der anstrengungslos-begriffslos ist). Denn möglich ist dann erst mal viel:

5.

Jedes Medium kann gebraucht werden. Die Klarinette in pianissimo-Septolen ist nicht von vornherein besser als die vier Akkorde einer Rockband. Im Musiktheater kann es nicht vornehmlich um Strukturhören gehen.

6.

In Feeds geht es um das Hören schlechthin – nicht um Politik, nicht um Liebe, nicht um Musik. All das kommt aber vor, es dient dazu, das Hören zu erschweren. Insofern geht es um das Hören. (Aber Informationen schaden nicht.)

Diese Themen sind Ballaststoff, Einspeise, Aufhänger, Mittel zum Zweck, Ideen, Kommunikationsmedien, Beispiele der Erweiterung und Einschränkung von Klang. Das ist aber auch etwas Inhaltliches: die Entweihung, die Besudelung (Mozart vergiftet – durch Sprache!).

7.

Beispiel Politik: Politik ist zu einem hohen Grad Konsumgut. Das meiste, worüber man in den Nachrichten liest, tangiert das eigene (Er)Leben nicht wirklich. Es passiert in der Welt ja auch immer gerade so viel, wie in fünfzehn Minuten Tagesschau-Komposition passt. Politik ist medial auch für uns: Medium.

(Mit der Musik ist es heute wie mit der linken Avantgarde: Am schönsten ist sie als Konzept.)

8.

Manche Inhalte sind aber doch Herzensangelegenheiten. Nicht alles ist uneigentlich (was?), nicht alles ist Medium für etwas anderes. Die Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen der CDU sind eine Katastrophe, ich habe wirklich Tinnitus, Prostitution ist scheußlich, etc.

9.

In Feeds wird Musik mit Sprache aufgeladen. Auch dieser Text trägt noch seinen Teil bei, unsynchronisiert: Die einen werden ihn noch vor der Aufführung lesen, die anderen währenddessen, oder erst danach. Er ist eine frei begehbare Installation zum Stück, so wie jedes Programmheft.

10.

Was für ein Hören ist das, das verbal sensibilisiert, bekräftigt, gestützt, fokussiert, gelenkt, gegängelt, verwirrt, hintertrieben, malträtiert wird? Zwangsbegleitete Melodien, Verfremdungseffekte, „konzeptuelle Zumutungen“ (Mahnkopf). Differenz zwischen dem Hören und dem Gehörten, zwischen Zeichen und Bezeichnetem; sie bilden Intervalle, Akkorde. Auftrennung immerzu, Falschheit als Distanzierungsmittel. (Kunst soll Handlungsbedarf schüren – es muss erst schlechter werden, damit es besser wird!)

WAS hören wir wirklich? Hören ist ein Filter und ein Synthesizer.

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