Letztes Jahr wurde ich um einen Beitrag für die Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Elektronischen Studios des Mozarteum Salzburg gebeten. Es sollte ein Statement sein zur Frage: „Der Komponist ist tot. Es lebe der Komponist !?“ Zur Verortung der zeitgenössischen Komposition an der Grenze physikalischer Manifestationen durch Musiker, Instrumente und architektonische Räume zwischen Hoch-, Sub- und Netzkultur, Akademie und freier Szene.
Hier ist der Text und ab jetzt auch in der Essaysammlung auf meiner Website, die ich auch sonst mal wieder auf Vordermann gebracht habe.
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Die Ursache liegt in der Zukunft
Wer sich die letzten zehn Jahre intensiv mit digitaler Technik befasst hat, kann mit relativer Sicherheit Prognosen abgeben. Sicher, weil bereits eingeschlagene Tendenzen hauptsächlich nur von mangelnder Hardwareleistung und alten Institutionen gebremst sind; die Hardware wird aber ständig weiterentwickelt, die Leistungen der Institutionen dadurch dann ersetzt.
Für die Musik ist abzusehen, dass Sensorik die klassischen Instrumente ablösen kann. Dann gibt es statt für Klavier, Geige und Oboe Studiengänge für Tast-, Streich- und Blasmodule. Ein Komponist wird „instrumentieren“, indem er bestimmte Klangparameter bestimmten Körperbewegungen zuweist. Lautsprecher wiederum werden so gut sein, dass ihr Klang edler ist als der einer Stradivari. Physisches Musizieren bleibt aber faszinierend, live oder auf Video.
Auf Softwareseite wird die künstliche Intelligenz uns noch verblüffen – man denke an den Sieg des Schachcomputers –: Es wird Programme geben, mit denen sich Partituren vieler Stile der Neuen Musik per Klick erstellen lassen. Neben dem Aspekt der dann möglichen riesigen Quantitäten wird Mash-Up das zentrale kompositorische Verfahren sein, das Quermixen der Objekte.
Wenn die letzte Generation der Haptiker ausgestorben ist, wird man Bücher, Filme und Musik (von der Live-Aufführung abgesehen) fast nur noch auf digitalen Geräten konsumieren, und all das wird umsonst sein: weil es verlustfrei in Sekunden vervielfältigbar ist; Verlage und Labels der heutigen Form wird es nicht mehr geben. Künstler stellen ihre Werke ins Netz und erreichen damit mehr Publikum als live und auf physischen Medien. Rundfunkstationen bekommen die unabhängige Konkurrenz der Blogs und Netzwerke. Souveräner von institutionellen Vorgaben lässt sich Kunst viel mehr am Maßstab der lebensweltlichen Relevanz machen und verbreiten (Problem ist die Finanzierung, aber das hat die Neue Musik ohnehin).
Obwohl oder gerade weil diese Entwicklungen noch in den Kinderschuhen stecken, kann für die Gegenwart daraus nur der Imperativ gefolgert werden, sich dem unbedingt zuzuwenden. All das ist ja nur eine Frage der Zeit, aber das ist Musik immer.
Juli 2009