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Buch „Zahl und Moral“

Heute ein Buchtipp, da dieses Werk wohl bislang wenig Beachtung gefunden hat: Eine sehr, sehr tolle Lektüre, essayistisch-aphoristisch (aber knapp 900 Seiten) über ein Thema, von dem man einerseits denkt, das gibt es gar nicht, andererseits längst darüber gebündelte Reflexionen erwartet. Hier sind sie, 2014 erschienen, von dem Philosophen Albert Breier, der auch Komponist ist. Ein sehr gut lesbarer literarischer Stil, reif in seiner Kohärenz, von stupender Belesenheit, Originalität und Tiefe. Die Sätze beanspruchen vielmehr ästhetische als wissenschaftliche Wahrheit, das macht das Buch so schön. Einzig ein konservativer Zug des Autors stört bisweilen. Nuja, man ist ja nie 100% mit etwas in Einklang. Dafür wiederum so bewundernswert, wie viele Jahre der Autor für dieses Opus Magnum nahm, und formuliert dabei mit eleganter Bescheidenheit.

Das lockere Neben- und Nacheinander der Addition weicht zunächst dem Zwang der Subtraktion, dann dem Gedränge der Multiplikation und schließlich den harten Schlägen der Division.

Jede Division, jeder Bruch bedeutet eine Verletzung.

Die Subtraktion ist eine Buße, die Division eine Strafe.

Vor der Einführung der 0 war die Division gewissermaßen harmloser; erst ihre Verbindung (oder besser gesagt ihr Zusammenstoß) mit der 0 offenbart ihre ganze zerstörerische Kraft.

Die Grundrechenarten sollen zu philosophischen Kategorien werden.

Wenn der Einsame den Mut zur Nacktheit hätte, wäre er aus seiner Einsamkeit erlöst – oder selbst in seiner Einsamkeit erlöst. So aber steht er beständig im Dialog mit seinen Kleidern, denen er seine sinnlosen Geheimnisse anvertraut.

Suggeriert die Multiplikation mit Null Zerstörung, so gibt die Division durch Null gleichsam die Ahnung einer jenseitigen Welt.

Eine der bekanntesten Denkdissonanzen der Mathematik ist der Satz „Minus mal Minus gleich plus.“

Der Eins wurde der Zahlcharakter oft ganz abgesprochen, die Zwei ist weniger Zahl als Bezeichnung eines Gegenüber, mit der Drei aber beginnt die mathematische Komplexität.

Die Addition ist eine freie Jagd nach Zahlenbeute, die Multiplikation eine reiche Ernte aus planvoller Pflanzung.

Auf die subtrahierende Reformation reagiert die Gegenreformation mit der gewaltigen Anstrengung einer Multiplikation.

Bei einigen Indianerstämmen Südamerikas war es anscheinend üblich, von Zwillingskindern jeweils eines sofort nach der Geburt zu töten.

Das, was Kierkegaard die „Unmittelbarkeit nach der Reflexion“ nannte.

https://www.amazon.de/Zahl-Moral-Entwurf-Passagen-Philosophie/dp/3709201322