Skip to content
 

Ulrich Kreppeins Kritik am Konzeptualismus

Der von mir geschätzte Komponistenkollege Ulrich Kreppein hat eine umsichtige Analyse / Kritik am gegenwärtigen Konzeptualismus in der Neuen Musik geschrieben, veröffentlicht in den MusikTexten.

Snip:

Die Bedeutung allerdings, die konzeptueller Kunst momentan zukommt, ist nicht nur Phänomen, sondern auch Symptom eines bestimmten Kunstverständnisses. Konzeptkunst kommt nämlich – und man mag darüber diskutieren ob das nur ein Missverständnis ist – dem oben beschriebenen Bedürfnis, einer komplexen, langwierigen Kunsterfahrung eine weniger mühsame Alternative entgegen zu setzten, allzu bereitwillig entgegen: der Verkürzung eines großen, widersprüchlichen Ganzen. Nur, dass in diesem Fall ein kulinarischer Ausschnitt durch eine spannenden Idee ersetzt wird. In beiden Fällen aber bleiben Parzellen statt Erfahrungen, und das ist eben doch mehr als nur eine zufällige Gemeinsamkeit.

(Der Text steht online: http://musiktexte.de/WebRoot/Store22/Shops/dc91cfee-4fdc-41fe-82da-0c2b88528c1e/MediaGallery/Kreppein.pdf)

Ich teile/bin einverstanden mit/interessiere mich für viele der Beobachtungen, weniger aber deren Wertung. Mit Kreppeins Argumentation könnte man auch die Aphoristik Weberns oder die Fragmentästhetik Nono’scher Provenienz als „Häppchenkultur“ verunglimpfen.
Mir fehlt bei dem Ganzen eine Dimension, die sich aufzeigt, wenn man den Text mit der lakonischen Antwort konfrontiert: „Einigen wir uns darauf, du machst einfach deins und ich mach meins, okay?“ Hindert jemand Kreppein an der Ausübung seines Musikideals? Wenn ja, wer? Oder warum schreibt er eigentlich über eine Musik-/Kunstrichtung, die sehr weit von seiner eigenen Arbeit entfernt ist?

(Siehe auch meine Fußnote 27 in Der erweiterte Musikbegriff)

10 Kommentare

  1. Ulrich Kreppein sagt:

    Ich denke eigentlich nicht, dass mein Text sich vor Allem gegen den Konzeptualismus also solchen wendet, sondern eher dessen Rezeption versucht zu kommentieren. Es gibt auch genug traditionell komponierte Musik, die sich (leider) in wenigen Worten zusammenfassen läßt, wobei ich Webern nicht dazuzählen würde, es geht ja nicht um Kürze, sondern darum ästhetische Erfahrung nicht durch Diskurs zu ersetzen und diese Rezeptionshaltung ist, soweit ich das sehe, nicht auf eine Kunstrichtung begrenzt.

    Nichts desto trotz ist Dein Einwand natürlich richtig. Er hat nur – wenn man ihn zuende denkt – die Folge, dass Du damit wohl alle ästhetischen Debatten für beendet erklärt hättest… Natürlich machst Du Deins und ich Meins und man könnte es dabei belassen und sagen, der Markt entscheidet.

    Mein Text geht auf diesen Punkt übrigens auch ein: “Ästhetische Begrifflichkeiten sind in diesem Kontext auch nicht mehr Positionsbestimmungen einer künstlerischen Haltung – wie noch zu seriellen oder postromantischen Zeiten – sondern sie werden zu Marketinglabels. Insofern ist Konzeptkunst wohl relevanter als die oft als tradierte neue Musik diskreditierte Klang-Zeit-Erfahrung, da dort das Schrebergartenprinzip ökonomischer Nischen endgültig auf die Kunst übertragen wird – natürlich nur solange relevant nur ‚zeitgemäß‘ meint. Allerdings ist Relevanz in diesem Zusammenhang irrelevant. Wenn Ästhetik zum Label wird, gibt es sowieso keinen Grund zum Dissens, es entscheidet der Markt. Während die Etablierung einer ästhetischen Identität Deutungshoheit für sich verlangt, muss sich eine Marke nur verbreiten. Vielleicht ist das auch eine Utopie, die hier aufscheint, in der die ideologischen Schlachten endgültig vorbei sind und jeder sich in seiner Nische einrichtet.”

    Ich kann mich da ehrlich gesagt nicht richtig entscheiden, da ich mir keine ideologischen Debatten zurück wünsche. Gleichzeitig scheinen mir ästhetische Haltungen doch mehr zu sein, als nur ein Angebot, insofern lohnt es sich vielleicht doch – gerade auch wenn Du natürlich weiterhin Deins und ich Meins mache – sich gelegentlich darüber zu streiten.

  2. Kreidler sagt:

    „Du machst deins und ich meins“, der Satz soll den Diskurs nicht wirklich abschaffen, aber ich sehe ihn als Belastungsprobe dafür, zu prüfen und legitimieren, wofür sich wirklich zu streiten lohnt, bzw. an welchem Punkt.

    Worauf ich hinaus will: Es scheint in dem Text so auf, als ob derzeit unverhältnismäßig viel über Konzeptmusik geschrieben und sie unverhältnimäßig viel gespielt wird. Also wenn man nicht alles, was heute mit Elektronik daher kommt, Konzeptmusik nennt (was leider einige unseriöserweise machen), dann hält das aber keiner quantitativen Prüfung stand. Die MusikTexte 146 hatten Konzeptualismus zum Hauptthema, 147 Carola Bauckholt, 148 Neue Musik in/aus der Ukraine, usw. Die Musik von Carola Bauckholt ist ganz dem Ideal verpflichtet, das du in deinem Text verteidigst. Du rennst doch offene Türen ein! Ebenso ist auf Festivals der Anteil (wirklich) konzeptueller Musik marginal, der absolute Standard ist die Art von Musik die auf die „Erfahrungs“-Qualität aus ist, die du hochhältst. Lachenmann, Andre, Rihm sind auf der Höhe ihres Ruhms. Der Neue Konzeptualismus hält da mal teilweise etwas dagegen – und kriegt prompt also eins auf den Deckel. Das finde ich unverhältnismäßig.
    Wenn dann wäre es wünschenswert, dass einfach _deine Musik mehr zur Geltung kommt. Darum würde mich mehr interessieren, wenn du positiv über deine Musik schriebest oder sie gegen Lachenmann/Andre/Rihm abgrenztest, aus Marktgründen…

    Es ist vielleicht bezeichnend, dass du meinen Satz „Ich will, dass die Welt weniger wird“ wörtlich nimmst und ihn verneinst. Nun, so ein Satz ist (intentional) Literatur, ich würde mir wünschen, dass darauf mit Literatur geantwortet wird.

  3. Ulrich Kreppein sagt:

    Sicher schaffst Du dadurch, dass Du mit „Konzeptualismus“ einen Begriff besetzt, hast auch eine Angriffsfläche, die dann – sicher auch etwas undifferenziert – genutzt wird. Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass kritisch, vielleicht auch polemisch beschrieben werden das Gleiche ist, wie „eins auf den Deckel kriegen“. Ich würde mich dazu nicht äußern, wenn ich das für nicht wichtig halten würde. Abgesehen davon habe ich ja auch Deine Stücke als Kunstwerke davon ausgenommen, denke aber, dass Du mit der Besetzung des Begriffs eben einer Rezeptionshaltung eine Basis gibst, die längst nicht nur konzeptuelle Werke betrifft (wie ja auch Martin bei „Konzepte sind Mist“ aufgezeigt hat – und ich glaube, dass wir da nicht mal einen Dissenz haben).

    Ich denke auch nicht, dass unverhältnismäßig viel konzeptuelle Stücke gespielt werden. Was den Diskurs angeht (nicht nur im Bereich der neuen Musik, sondern insgesamt in der Wahrnehmung von Kunst), bin ich mir nicht so sicher, immerhin ist ja auch das Thema „Gehalt“ z.B. in Harry Lehmanns neuem Buch durchaus ein ähnliches Phänomen und ich denke, die Tatsache, dass darüber eher geschrieben/gesendet/diskutiert wird, nur weil darüber besser geschrieben werden kann, finde ich schon bedenkenswert. Insofern sehe ich – was den Diskurs angeht – die offenen Türen eher auf Deiner Seite.

    Was die Frage mit Lachenmann oder Rihm angeht, weiss ich nicht, ob deren Diskurs noch unser Diskurs wäre. Rihm (Stichwort: „Neue Einfachheit“) wird, wie Lachenmann (Stichwort: „Verweigerung“) ja auch, eher über ein Label wahrgenommen als über das, was man hören könnte, wenn man sich von den Labels mal etwas absetzt. Zumal das Thema, das ja meinen ganzen Text prägt: Uneindeutigkeit, Mehrschichtigkeit, „Gehalts“-verweigerung/verzweigung ja für die von Dir genannten Komponisten nicht wirklich Thema ist.

    Und was den letzten Abschnitt angeht, ich würde meinen Satz, dass die Welt ohnehin schon zu klein sei, durchaus auch eher als Literatur verstehen.

  4. @Ulrich Kreppein: „ich würde nicht sagen“, „ich denke auch nicht“, „bin mir nicht so sicher“, „weiss ich nicht“. Ganz schön viele Sachen, die sie nicht tun. Machen sie doch mal was!

  5. @Dennis Schütze, Sie machen offensichtlich den Fehler, von einer rhetorischen Form (hier der schwäbischen indirekten Hanoi-Rhetorik – in Bayern, wo ich herkomme, wäre das Analogon „dat i hätt i war i“) auf eine vermeintliche Untätigkeit Ulrich Kreppeins zu schließen. Ich kann Ihnen versichern, er hat in seinem Leben schon einiges gemacht, und Sie können sich gerne auf seiner Website seine Musik anhören – was wieder unserem (gemeinsamen) Anliegen entspräche (conjunctivus bavaricus), sich der Musik auszusetzen, anstatt nur Gespräche über Musik zu glossieren.

  6. @mozartzuvielenoten: Ich werfe Ulrich Kreppein nicht kompositorische Untätigkeit vor, sondern weise lediglich auf mangelndes commitment hin. Es sind mir zu viele Konjunktive, „Weiss-ich-nicht“ und „Würd-ich nicht“ in seinem Kommentar mit denen er sich sämtliche Hintertüren offen lässt. Hatte den deutlichen Eindruck, dass ihm das selbst anscheinend gar nicht mehr auffällt, deshalb habe ich pointiert darauf hingewiesen. Vielleicht ist das ja aber auch die offizielle Lingo in diesen Kreisen, man will sich ja keine Feinde machen. Was meinen Sie?

  7. Nun, und ich wollte eben darauf hinweisen, dass „commitment“ durchaus auch in musikalischer Form stattfinden kann. Gerade da Kreppein Kunstwerke kritisiert, die sich in wenigen Sätzen paraphrasieren lassen, und für Mehrdeutigkeit und Unklarheit plädiert, wäre es geradezu widersinnig, wenn er seiner Kritik einen Absatz hintanstellte, der in zwei Sätzen seine eigene Musik beschreibt. Man kann natürlich Kreppeins Faible für die Unklarheit in Frage stellen (ich sehe das, was mich betrifft, auch ein bisschen anders, ich mag die Klarheit, allerdings nicht die simple, sondern eher die komplex-verschachtelt-phantasievolle Klarheit), aber das wäre eine ästhetische Kritik, die von der Musik ausgehen müsste, während Sie die Art seines Diskurses kritisieren, die ihm vor seinem ästhetischen Hintergrund eben kaum anders möglich ist.

  8. Kreidler sagt:

    Ich habe den Eindruck, dieses etwas „Herumeiernde“ in der sprachlichen Ausdrucksweise kommt daher, weil da ein Widerspruch drinsteckt – man kann nicht den Diskurs dafür kritisieren, dass er diskursive Stücke bespricht, und die sprachlich schwer- bis gar nicht vermittelbaren hingegen nicht das Thema im Gespräch sind. Dann soll Kreppein wirklich einfach machen, aufgeführt wird es ja, und es wird für andere Kontexte aufgeführt als für das musikwissenschaftliche Seminar (was hat Kreppein gegen musikwissenschaftliche Seminare? „Gerede über Musik“, „Der Diskurs ist dabei nur eine Variante, die Welt auf Distanz zu halten.“ aua, da wird’s dann wirklich übel antiintellektuell). Warum mischt er sich dann überhaupt in den Diskurs ein?

    Kreppein verteidigt auf einer sehr allgemeinen Ebene das, was zu 99% im Konzert gespielt wird und worüber auch zu 99% in den Fachzeitschriften geschrieben wird und worüber 99% der Radiosendungen zu Neuer Musik handeln (wer will dem tisch ich Statistiken auf). Das jetzt noch mal vom Konzeptualismus abzugrenzen hat erst mal der Konzeptualismus selber schon getan. Den aber dann entsprechend abzuwerten (ich kann’s nicht mehr hören, dass ein Konzept ja kurz, also unterkomplex sei. Was für kategorialer Fehler, genauso kann man am Roman monieren, dass er sich nicht reimt. Wo ist die Definition, was „komplex“ ist? Viele Töne? Mindestens 10 Minuten Länge? Was ist denn der Vergleich, 1 Konzept mit 1 Partiturstück? Welcher Werkbegriff liegt hier zugrunde? Wenn der Konzeptualismus wirklich so unterkomplex ist, wie konnte er dann ein Thema in der Neuen Musik werden? Weil alle versaut sind von der Klassikradio/Facebookmentalität, und Kreppein gibt jetzt Bescheid, dass es noch was anderes, edleres gibt?) ist irgendwie dann doch eher ein Neiddiskurs als ein substanzieller. Was unterscheidet Kreppeins Musik von der von Mark Andre? Das würde ich gerne erfahren, irgendwie kommt mir der Eindruck, diese Auseinandersetzung scheut er und sucht sich stattdessen lieber ein einfacheres Ziel, weil da die Fronten eh schon klar sind. (Ich mag übrigens Andres Musik genauso wie die von Kreppein.)

    Ich finde es gibt in Kreppeins Text gute Beobachtungen, bei der Kritik an Antragskonzepten sind wir uns eh einig, auch die Problematik von Verbalisierung Neuer Musik stimmt, aber die Wertungen wie „Konzept = Kleingarten“, „Diskurs = Abkehr von der eigentlichen Musikerfahrung“ halte ich dann selber für kleinlich. Und es klingt ja okay wenn er am Ende davon spricht, man solle statt der Weltabbildung die Utopie auch anführen, aber das sollte dann doch wesentlich konkreter gesagt werden, sonst wird’s halt völlig willkürlich und damit ist der Diskurs dann auch beendet – was nicht in die Welt passt ist dann eben utopisch.

  9. Ich bin sicherlich der falsche, um darauf zu antworten, das muss Ulrich selbst machen, wenn er noch mitliest. Ich will nur kurz hierauf eingehen, weil Du das ja allgemein formuliert hast:

    „Man kann nicht den Diskurs dafür kritisieren, dass er diskursive Stücke bespricht, und die sprachlich schwer- bis gar nicht vermittelbaren hingegen nicht das Thema im Gespräch sind.“

    Ich denke, man kann den Diskurs sehr wohl dafür kritisieren, jedenfalls solange es sich um sprachlich schwer– – und nicht um garnichtvermittelbare Stücke handelt. Stefan Keller hat ja z.B. in seinem aktuellen Text gezeigt, dass man auch schwergreifbare Themen adäquat verbalisieren kann – allerdings kostet es mehr Mühe, sowohl für den Autor wie für den Leser. Wenn sich der Diskurs diese Mühe nicht macht (und das sehe ich tatsächlich leider oft), dann ist der Schrebergarten wirklich nicht mehr weit.

  10. Kreidler sagt:

    Finde Kellers Text prima. Herkulisch schwer sprachlich zu fassen sind die darin beschriebenen Dinge aber m.E. nicht.