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Darmstadt 2014, kurzer Rückblick

Die 47. Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, neben den Donaueschinger Musiktagen das bedeutendste Festival für Neue Musik, sind zu Ende. Ich war die ersten 10 Tage vor Ort, teilweise mit meinem eigenen Projekt sehr beschäftigt, zum anderen Teil habe ich dann viele Vorträge, Gespräche und Konzerte besucht und viele (mir) bekannte und unbekannte Kollegen getroffen.

Trotz der Vielzahl der Veranstaltungen war der Neue Konzeptualismus zweifellos ein vorherrschendes Thema in den Diskussionen. Ich bin da freilich parteiisch, würde aber meinen und darin stimmten einige mit mir überein, dass die besagten Panels, in denen es um Fortschrittsfragen ging, ziemlich asymmetrisch besetzt waren – die konservative Kontra-Seite (die passenderweise auf dem Podium auch immer rechts saß) war teilweise intellektuell sehr schwach besetzt. Im „Dead End or Way out“-Talk fanden sich die üblichen Kulturpessimisten und politisch Oberkorrekten ein, im „The concert of the future is online“ fiel einem der Verteidiger nicht mehr ein, als in 8 seiner 10 Vortragsminuten von seinen Vokaltechniken zu erzählen, statt sich dem Thema zu widmen. Ich hoffe, dass sich solche Niveaueinbrüche künftig vermeiden lassen. Wohlfeiles „das ist ja gut, aber nicht radikal genug“ ist keine würdige Argumentation an diesem Ort.

In den Konzerten war die Tendenz zu Multimedia, Durchinszenierung und freier Beweglichkeit des Publikums deutlich. Mein außermusikalisches Highlight: In Alexander Schuberts Stück wurde das Publikum dermaßen mit Nebel vollgeblasen, dass es wie ein Fehler aussah, aber um so stärker die Wirkung. Schöne Stücke habe ich gehört, ich behalte jetzt aber mal für mich, um welche es sich handelt – aber es waren viele. Sehr gefreut habe ich mich jedenfalls, die Jungs von textscoreaday persönlich kennenzulernen!
Nebenbemerkung: Die Opernwerkstatt, die sich allem Multimedialen verweigerte, fühlte sich nachgerade wie eine Parallelwelt an.

Etwas schade fand ich, dass der Open Space nicht so viel genutzt wurde wie vor zwei Jahren, zumindest war das mein Eindruck. Vielleicht ist es auch etwas bedauerlich, dass der Interpretenhauptpreis nur noch an Ensembles zu gehen scheint.
Die erfreulichste technische Neuerung hingegen war, dass die Voice Republic viele Gesprächsveranstaltungen live gestreamed und archiviert hat – das wurde höchste Zeit (Kulturtechno gestern).

Mit einigen Anregungen bin ich nach Hause gekommen. Darmstadt ist der intensivste Ort für den Austausch über Neue Musik. Bin gespannt, welcher Geist 2016 wehen wird. Ich kann mir denken, dass die nächste Generation in den Startlöchern sitzt.

Foto oben: Jenny Walshe’s Workshop.

(Video von Niclas Thobaben)

8 Kommentare

  1. Huflaikhan sagt:

    Ich war ja nur einen Abend da. Und habe die Leute nur von der Bar her oder anderen Festivitäten kennen gelernt. Neben dem Konzeptualismus spielt aber auch Alkohol eine nicht zu unterschätzende Rolle und ist Thema nach 22 Uhr.

    Die Live-Übertragungen von voice republic sind ein Segen, auch wenn sie manchmal gestört waren.

    PS: Man könnte aber auch sagen, Konzerte wie immer häufig genug in avantgardistischer Andacht!

  2. Ich will ja nicht widersprechen, dass die Kritik an der Konzeptmusik manchmal ein nicht besonders hohes Niveau erreicht, und sehr oft einfach an der Sache vorbeigeht. Aber die Frage, welche Seite nun eigentlich ‚konservativ‘ ist und welche nicht, ist meines Erachtens ganz und gar unklar. Nebenbei auch eine recht uninteressante Frage, wenn ich mir erlauben darf: konservativ ist das, was die bestehenden Verhältnisse befestigt, und ob die gehaltsästhetische Wende da eine Alternative bringen wird, oder sich vielleicht doch nur in den Arsch beisst, bleibt noch offen.

    Der Feind ist nicht der Konservatismus per se (weil das Wort einfach zu grobkörnig ist, um hier was zu bedeuten — gibt es eine Musik, der man in keinerlei Hinsicht vorwerfen könnte, dass sie konservativ ist?), sondern man muss sich einzig und allein gegen die Verstarrung des Denkens wehren.

    Jedenfalls würde ich die Behauptung vorlegen, dass alles, was Propaganda-Charakter hat, schnell zur Ideologie sich verhärten kann, und in dem Fall des Konzeptualismus schon sehr nah daran ist, Ideologie zu werden. Da ist Propaganda-Charakter nämlich ziemlich oft so stark vorhanden, dass es jede ästhetische Dimension — Gehalts- oder sonstwelche — schallend übertönt. In allerhöchstens fünf Jahren wird keiner, inklusive Kreidler, von dem Thema mehr was hören wollen. Das sage ich mit viel Optimismus über die Zukunft der befreiten und befreienden musikalischen Arbeit.

  3. Kreidler sagt:

    Ok, das Wort „konservativ“ ist stark, aber ich hatte schon den Eindruck, dass Leute wie Bíro eine klassisch-kulturkonservative Position vertreten, der bei der Konzertsaalfrage gab es auch deutlich die Vertreter einer „konservierenden“ Haltung.
    Das mit der Ideologie sehe ich allerdings ganz anders. NK ist nichts als die Feststellung einer Tendenz in der Gegenwartsmusik, aber nicht im Geringsten ein Imperativ an Irgendjemanden. Wir wollen ja alle versuchen, interessante Musik zu machen, ein Label macht das weder besser noch schlechter, schafft nur sprachlich eine Struktur. Und ich denke und hoffe, dass schon in zwei Jahren in Darmstadt ganz andere Themen auf der Agenda stehen.

  4. Biro ist ja auch nicht dumm. Was ich in seinen Beitrag hineingehört habe, ist dass er sehr skeptisch ist über die Fähigkeit der Konzeptmusik, gesellschaftlich dringende Inhalte zu vermitteln — oder genauer, besser zu vermitteln als andere Musik nur weil da eine zweite, dritte, vierte mediale Ebene hinzukommt… videlicet den Begriff „falsche Öffentlichkeit“. Es reicht ihm z.B. nicht, dass die Dinge ‚unmissverständlich‘ gesagt werden, denn man kann das Darstellungsproblem nicht einfach aus der Welt schaffen, indem man sagt, man habe von dem Problem die Nase voll. Konzeptuelle Klarheit wird allzu oft auf Kosten der für die Kunst äusserst wichtige Qualität der Widersprüchlichkeit gewonnen. Zugegeben, jeder Widerspruch macht die Themen weniger verständlich, aber im Widerspruch ist eben ein wichtiges Körnchen Wahrheit. Oder ist das zu konservativ, irgendwie?
    Ich wünsch mir, dass Kreidler und Biro erkennen, dass sie am selben Strang ziehen. Ich will, dass ich beim Biro-hören nicht das Gefühl habe, ein Glasperlenspiel zu beobachten – und dass ich beim Kreidler-hören wenigstens einmal einen eigenen Gedanken darüber haben darf, was mir gerade vorgesetzt wird.
    … um’s mal ein bisschen übertrieben zu formulieren, LOL.

  5. Kreidler sagt:

    Aha – ich will mal versuchen, ein Mißverständnis zu klären, an dem ich wahrscheinlich schon einige Schuld habe, mit Stücken wie mit Verlautbarungen.
    Die „Klarheit“ möchte ich nicht gleichgesetzt sehen mit „Unmißverständlichkeit“, und über Wirkungen gebe ich keine Prognosen ab. Ich denke, ein Stück wie „Fremdarbeit“ ist konzeptuell sehr präzise, aber eben in sich ziemlich widersprüchlich.

    Was mich an dem Biro’schen Skeptizismus stört, ist, dass das so dermaßen subjektiv argumentiert ist. Wenn es nun mal keine harten Fakten über Wirkungen gibt, dann kann man damit nicht argumentieren, weder pro noch contra, und bei aller Wertschätzung kann ich da keinen gemeinsamen Strang sehen. Die moralische Ebene, die da herangezogen wird kommt mir vorgeschoben vor. Nun gut, das mit dem konservativ nehme ich zurück, in einem anderen Podiumsgespräch hat Biro mal so dermaßen davon erzählt, wie er mit seinen Kindern das tägliche Lesen der heiligen Schrift praktiziert, das konnte man nur erzkonservativ nennen.
    Danke aber für dein offenes Feedback.

  6. Was Dich stört, stört mich auch. Ich hasse das moralisieren und finde auch diese spezielle Form der Subjektivität nicht hilfreich. Aber eine Skepsis über Wirkung ist m.A. legitim, auch ohne tatsächliche Daten.
    Ich schätze ‚Fremdarbeit‘ als Denkanstoss sehr, es ist schlau und gut gemacht, und ist seinen Absichten angemessen. Ich wüsste nicht, wie man dieses Stück ‚besser‘ machen kann, ohne in geschmacksfragen mich zu verlieren. Trotzdem frage ich mich (ohne eine Antwort zu haben) welche Rolle der Klang spielen könnte, ausser dass er bloss Vermittler ist von konzeptuellen Inhalten.
    Diese Kritik („Wo bleibt nun mein beseelter Ton?!“ oder so) ist dem Stück gar nicht angemessen, das weiss ich. Es ist sogar vielleicht ein Thema, zu dem ich meine Antwort anderswo suchen sollte. Es kann nicht jede Musik jede vom Hörer zugetragene Frage ansprechen, und das gilt für Kreidler vielleicht mehr, als für einige andere. Darin (und nicht nur z.B. im Neid, wie Du manchmal behauptet hast, oder in der politischen Brisanz) liegt wohl auch der Grund (n.b. nicht ‚Begründung‘) für die Vehemenz, mit der Kreidler manchmal angegriffen wird.
    Als ob Du von mir Aufmunterung brauchst: Nur weiter so.

  7. Kreidler sagt:

    Merci– Ich muss mal mehr Blume hören (keine Ironie).

  8. und ich muss mal mehr Blume schreiben, LOL.