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Brief an Tim Renner

Wollte ich schon seit Wochen machen, aber irgendwie nicht das Gesäß hochgekriegt, jetzt also, und ich denke, jeder, aber wirklich jeder in der Neuen Musik dürfte Ähnliches denken. Seid so gut und schreibt an den Kulturstaatssekretär. Postalisch.
(Siehe auch Moritz‘ Aufruf)

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Der Regierende Bürgermeister von Berlin
Herrn Staatssekretär Tim Renner
Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten
Brunnenstr. 188
10119 Berlin

 

Sehr geehrter Herr Renner,

auch ich möchte, nein, sehe mich gezwungen, Ihnen zu schreiben wegen des drohenden Endes der Konzertreihe „Unerhörte Musik“. Sie haben schon einige Briefe deswegen erhalten, von denen mir manche bekannt sind, in keinem habe ich ein Argument gelesen, das nicht stichhaltig wäre, und ich kenne niemanden in meinem großen Netzwerk, der vernünftige Gegenargumente parat hätte.

Mir erscheint es sinnvoll, an dieser Stelle etwas Persönliches zu ergänzen – auch wenn es eigentlich nicht meine Art ist, mit derlei gewissermaßen zu prahlen – um Ihnen einen weiteren Einblick zu geben:

Ich bin, als ein ziemlich typischer Neu-Berliner „Kreativer“, 2006 in die Hauptstadt gezogen, nachdem ich mein Diplom als Komponist in der Tasche hatte. Der Ruf der Stadt hatte mich gelockt. Eine erste Möglichkeit eines Konzerts mit meinen neuesten Stücken bot mir als junger, unbekannter Künstler die Reihe „Unerhörte Musik“.
Nach diesem Konzert besaß ich eine gute Aufnahme einer guten Aufführung, mit der ich mich weiterbewerben konnte – bei einem Kompositionswettbewerb gewann ich auf Grundlage der damals in Berlin gespielten Stücke dann einen Auftrag des Ensemble Modern. Und so weiter, ich kürze ab: Heute bin ich ein international bekannter Komponist, der auf den großen Festivals für Neue Musik gespielt wird und der von seiner Kunst leben kann.

Ich bin sicher, das ist nur eines von vielen Beispielen, die hier genannt werden könnten. Die „Unerhörte Musik“ hat direkt und indirekt Wirkungen und Auswirkungen buchstäblich in alle Welt, die so vielzahlig, vielfältig und ohne Vergleich sind, dass sie kaum überschätzt werden können. Kein Wunder, dass die Warteliste für Aufführungsanfragen länger und länger geworden ist.

Die Konzertreihe „Unerhörte Musik“ ist in bester Weise dem Neuen in der Musik verpflichtet, sie bietet den Akteuren eine Bühne, auf der jeder in seiner Weise und mit seinen Mitteln die Welt des Hörens bereichern kann. Man kann sich nicht vorstellen, wie diese Einrichtung durch etwas ‚Neues‘ ersetzt werden könnte – sie selbst ist ja dafür da, Neues in die Welt zu bringen, kontinuierlich jede Woche, seit stolzen 25 Jahren. Die Künste brauchen solche verlässlichen Orte. Gerade im Bereich der Neuen Musik gibt es neben den Festivals davon zu wenig. Diese Konzertreihe finanziell ihrer Grundlage zu entziehen wäre ein Aderlass, von dem jetzt Niemand sagen kann, dass er sich entsprechend wiedergutmachen ließe. Man könnte diese Reihe wöchentlicher Aufführungen Neuer Musik nur ersetzen durch eine Reihe wöchentlicher Aufführungen Neuer Musik. Mit anderen Worten: Es wäre ein Akt der Sinnlosigkeit, ein solch singuläres Format, das sich in jahrzehntelanger Arbeit bewährt hat, aus dem Berliner Kulturleben zu streichen.

Herr Renner, Sie haben es in der Hand, eine unselige, offenbar nicht wirklich durchdachte Entscheidung abzuwenden. Sorgen Sie bitte dafür, dass die Unerhörte Musik bleibt. Sie ist eine bundesweit einzigartige Aufführungsreihe für Neue Musik.

Mit freundlichen Grüßen

Johannes Kreidler
Berlin, 10.6.2014