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Offener Brief gegen Ausbeutung in der Neuen Musik

Diesen offenen Brief eines mir nicht bekannten Studenten aus Essen möchte ich hier auch bringen, denn er prangert zu Recht eine Stellenanzeige im Bereich der Neuen Musik an, bei der Anforderungen und Bezahlung krass auseinanderklaffen.
So oft es in meinem Dunstkreis ohne Idealismus nicht geht – eine solche Fulltime-Jobofferte darf es politisch einfach nicht geben. Konzerte, die sich der Rundum-Ausbeutung junger Hochschulabsolventen verdanken, sind keine Hochkultur.

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Sehr geehrte Damen und Herren des Ensembles Musikfabrik,

ich möchte ihnen hiermit zu ihrer äußerst gelungenen Satire zur aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt und dem im künstlerischen Bereich und dessen Umfeld gängigen Hang zur Selbstausbeutung gratulieren.

Schon mit der eröffnenden Selbstbeschreibung des Ensembles als einem Hort der kreativen Selbstbestimmung und demokratischer Organisationsstruktur, sowie des Internationalen Renomees, das mit den ausgesuchten Interpretationen sowie Auftragskompositionen einhergeht, gelingt es ihnen beim Leser eine wohlwollende Voreingenommenheit für das kommende zu erzeugen.

Hut ab für ihren Mut, sich selbst für diese Satire herzugeben, denn was folgt lässt einen das vorangegangene Wohlwollen doch recht schnell vergessen.

Es erinnert an die vielen Berichte in den Medien über die “Generation Praktikum” die sich – hochqualifiziert – von einem als “Chance auf Entwicklung” bezeichneten Praktikum zum nächsten hangelt und dabei harte Arbeit verrichtet, ohne dafür auch nur im Ansatz angemessen bezahlt zu werden.

Die von ihnen hier gestellten hohen Anforderungen, angefangen bei Sprach- und Computerkenntnissen sowie der Bereitschaft zu Überstunden und unter Druck gut arbeiten zu können, stehen exemplarisch für obengenanntes – fast wie aus einem Lehrbuch. Es wird sich hier ja nicht umsonst an Hochschul-Absolventen gewandt.

Das aufgerufene Bruttogehalt von 950 € ist eine schmerzhafte Erinnerung an das Fehlen eines einheitlichen Mindestlohnes, sowie ein mahnender Fingerzeig an alle Berufsanfänger, nicht jedem auf den ersten Blick attraktiven Jobangebot unüberlegt nachzugehen.

Geht man bei dem von ihnen so trefflich persiflierten “Job-Angebot”, von 22 Arbeitstagen im Monat aus, macht das 176 Stunden. 950 Euro entspricht dann einem Stundenlohn von weniger als 5,40 €. Nicht zu vergessen, brutto, d.h. netto bleibt noch weniger. Wie sollte man sich davon eine Wohnung finanzieren? Dazu in Köln, wo eine 1-Zimmerwohnung mit 16qm ab ca. 285 € kalt zu bekommen ist. (Kurzer Blick auf http://www.wg-gesucht.de/1-zimmer-wohnungen-in-Koeln.73.1.0.0.html). Von den Kosten für Nahrung und etwas Freizeitgestaltung ganz abgesehen.

Dass sie diesen Hungerlohn als Aufwandsentschädigung bezeichnen halte ich für eine gelungene Finte in Richtung der in der politischen Umgangssprache gebräuchlichen Euphemismen wie Job-Center, Leiharbeit oder Wiedereingliederungsmaßnahmen.

Auch entbindet dieses Wort den damit Angesprochenen davon, diese Stelle als Vollzeitarbeitsstelle zu sehen, da es sich – diesem Duktus gemäß – hierbei ja vor allem um eine Chance für BewerberInnen handeln soll, die

“sich für Neue Musik begeistern und gerne in einem kreativen Umfeld arbeiten”

und nicht um einen Knochenjob, in dem regulär das dreifache bezahlt wird.

Jedem der schonmal kurzfristig für eher wenig Lohn für die Sache der Kunst/Kultur gearbeitet hat, ist sich natürlich darüber im Klaren, dass nicht jede Einrichtung einen Mindestlohn o.ä. leisten kann. Aber davon ist hier ja auch nicht die Rede.

Da sie – wie eingangs erwähnt – diese Arbeitsstelle ja vorgeblich für ihr eigenes Ensemble anbieten, ist der letzte Punkt der Satire sicher die Unterfinanzierung, unter der hochrangige Musikalische Institutionen wie die ihre leiden.

Hier wird deutlich dass es nichts hilft wenn in einem Kuratorium vom Kulturdezernent der Stadt Köln bis hin zum Präsident des Deutschen Bundestages, alle wichtigen zuständigen Vertreter aus Kultur und Politik vertreten sind und dass die Finanzierung immer nur unter dem wünschenswerten Niveau bleiben kann, auch wenn eine Fördererliste (http://musikfabrik.eu/netzwerk/aktuelle-foerderer.html) einen anderen Eindruck erwecken mag.

Unter welchen Umständen als unter chronischem, existenziellen Geldmangel, sollte ein Ensemble mit ihren Meriten sonst ein derartig auf die längerfristige Ausbeutung eines jungen Menschen angelegtes Angebot unterbreiten?

Ich möchte abschließend noch einmal betonen, für wie mutig ich es von ihnen halte, ihren eigenen Namen in diesen Text einzubringen, der schmerzhaft an die bestehenden Unzulänglichkeiten erinnert, die leider gängige Praxis sind.

Ich hoffe dass er allen eine Mahnung ist, dass junge Menschen für den Kulturbetrieb nicht zum Nulltarif zu haben sind.

Mit hochachtungsvollen Grüßen

Nicolas Kretz

Student der Elektronischen Komposition am ICEM Essen

P.S.: Für alle die sich jetzt fragen worum es hierbei geht, habe ich den Originaltext, dem in seiner Aktualität eine große Öffentlichkeit gebührt, angehangen.

Nachzulesen ist er auch hier:

http://musikfabrik.eu/ueber-uns/mitarbeiter/stellenangebote.html

3 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Kretz,

    auf Ihre offene Email möchte ich gerne antworten – ich gehe von Ihrem Einverständnis aus, das ebenfalls öffentlich zu tun. Mir ist gleichzeitig auch an einem persönlichen Austausch gelegen. Gerne treffe ich mich mit Ihnen in Essen.

    Lieber Gruß, Lukas Hellermann
    http://musikfabrik.eu/ueber-uns/mitarbeiter.html

    ________________

    Gestern Nachmittag hat sich Nicolas Kretz per Email an mich gewandt, um Kritik an dieser Ausschreibung zu üben:

    https://twitter.com/musikFabrik/status/377081161065201664
    Stellenausschreibung Assistenz Projektmanagement bei Ensemble @musikFabrik (Jahrespraktikum, vergütet, Frist 19.9.) http://t.co/yOy5uiyLED

    Eine Assistenz bei uns ist in der Tat ein vergütetes Jahrespraktikum, keinen ‚Fulltime-Jobofferte‘. Damit hat die Mitarbeit der Assistenten und Assistentinnen bei uns Ziele, die außerhalb des Einkommens liegen: beim Übergang von Ausbildung ins Berufsleben zu helfen, Kontakte zu potentiellen Arbeitgebern aufzubauen, die einzelnen Arbeitsbereiche bei uns im Haus näher kennenzulernen und noch einmal kritisch zu hinterfragen, wo für den Praktikanten oder die Praktikantin der beste Weg in den Beruf liegt.

    Das war beim Großteil unser bisherigen Assistenten und Assistentinnen sehr erfolgreich – sie haben direkt im Anschluss den Sprung an Institutionen wie Konzerthäuser, Festivals und Opernhäuser geschafft, sie arbeiten in Agenturen, sie haben ein Kundenportfolio für freiberufliche Dienstleistungen aufgebaut, oder wir haben sie einfach selbst fest eingestellt, wenn sich die Möglichkeit ergab.

    Wir haben gerade nicht den Eindruck, dass sich unsere Ehemaligen ‚von Praktikum zu Praktikum hangeln‘ – ein Jahr bei uns ist in der Regel der Ausstieg aus genau diesem Teufelskreis. Hierauf sind wir stolz, und auch die Rückmeldung von Ehemaligen und das dauerhaft gute Verhältnis bestärkt uns darin, das Programm fortzusetzen. Unsere Ehemaligen bilden ein starkes Netzwerk in der Kulturszene.

    Natürlich sind auch wir – und da haben Sie sicher recht – der Meinung, dass wir dafür mehr zahlen sollten. In den letzten Jahren haben wir uns immer wieder bemüht, die Situation im Rahmen unserer Möglichkeiten zu verbessern. Das ist uns nur in kleinen Schritten gelungen. „Aufwandsentschädigung“ soll kein Euphemismus für „Hungerlohn“ sein – das, was wir hier zahlen, ist tatsächlich kein Lohn, schon gar kein angemessener, der in irgendeinem Verhältnis zu dem steht, was bei Einrichtung eines zusätzlichen ‚Jobs‘ angemessen wäre.

    Finanziell ringen wir ständig und bei jedem Projekt neu darum, es umsetzen zu können. Immer wieder werben wir gemeinsam mit Veranstaltern Drittmittel ein, die unsere Arbeit überhaupt erst ermöglichen. Eine lange Fördererliste ist gleichzeitig Erfolg und Zeichen für die prekäre Lage, in der auch wir von Jahr zu Jahr agieren. Unsere finanzielle Situation lässt aber letztlich nur die Wahl zwischen dem schlecht bezahlten Praktikum oder der kompletten Einstellung des Assistenzprogramms zu.

    Das grundsätzliche gesellschaftliche Problem von Einkommen für Absolventen und Absolventinnen in der Phase des Berufseinstieges und der Kulturfinanzierung an sich können wir nicht lösen. Politische Unterstützung von Stadt und Land ist kein Freifahrtschein – was in Ordnung ist. Heute kämpfen auch dort die, die sich für Kultur einsetzen, einen mühsamen Kampf für die gemeinsame Sache. Wenn Sie unsere Situation als Symptom für generelle Probleme sehen, kann ich dem kaum widersprechen. Wir alle versuchen immer wieder in kleinsten Schritten unser Bestes. Das ist leider oft unzulänglich.

    In den Vorstellungsgesprächen weisen wir immer noch einmal sehr deutlich auf diese Rahmenbedingungen hin und stellen sicher, dass niemand eine Assistenz antritt, der sich nicht sicher ist, dass diese Art von Praktikum für den jeweiligen Moment der individuellen Biographie passt und sinnvoll ist. Wir alle hier legen großen Wert auf eine gute Atmosphäre und vertrauensvolle Zusammenarbeit auch unter schwierigen Bedingungen. Die Entscheidung, sich zu bewerben oder das Praktikumsangebot anzunehmen oder nicht, fällt immer sehr gut informiert.

    Seien Sie versichert, dass wir weiter versuchen, die finanziellen Bedingungen zu verbessern, und dass wir ständig daran arbeiten, unseren Absolventinnen und Absolventen einen bestmöglichen Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen.

    Freundlicher Gruß, Lukas Hellermann
    http://musikfabrik.eu/ueber-uns/mitarbeiter.html

  2. Kreidler sagt:

    Lieber Lukas Hellermann,

    danke für die ausführliche Antwort, die die ganze Sache gut beleuchtet. Ihre Position ist verständlich.

    Ich hätte zumindest einen Vorschlag: Könnte die Stelle nicht auf zwei Personen verteilt werden?
    Wenn schon die Bezahlung einfach nicht höher ausfallen kann, sollte man dem Praktikanten / der Praktikantin wenigstens die Möglichkeit geben, noch Zeit für andere Erwerbstätigkeit zu haben, um das Defizit quer zu finanzieren. Das ist bei der jetzigen Beschreibung der Stelle nahezu ausgeschlossen. Es wäre organisatorisch wahrscheinlich etwas mehr Aufwand, die anfallende Arbeit auf zwei zu verteilen, aber mir erscheint das sozialer als die jetzige Form, bei der dem Praktikanten / der Praktikantin wirklich nichts anderes übrig bleibt, als von 950€ brutto zu leben, was einfach unwürdig ist.

    Viele Grüße
    Johannes Kreidler

  3. Lieber Johannes Kreidler,

    danke! Im Bad Blog habe ich gerade im Eintrag von Alexander Strauch kommentiert, u.A. zum Kritikpunkt der fehlenden Möglichkeit der Querfinanzierung durch die Assistenten / Assistentinnen selbst: http://blogs.nmz.de/badblog/2013/09/14/musikfabrik-ausschreibung-arbeit-und-bezahlung-am-fliessband-eines-jahrespraktikum/#comments

    Der Vorschlag macht das eigentliche Problem (zu wenig Geld, um das wirklich Angemessene zu tun) noch schmerzhafter bewusst. Wir werden aktuelle und ehemalige Assistentinnen fragen, wie sie das sehen. Eine Verbesserung der Situation gelingt meistens durch mehrere für sich genommen zu kleine Veränderungen, die gleichzeitig passieren. Wenn es eine einfache Lösung gäbe, hätten wir sie vermutlich bereits gefunden…

    Auf jeden Fall bin ich sehr dankbar für die konstruktive Art der Auseinandersetzung.
    Lieber Gruß, Lukas Hellermann