Interessanter Fall: Der Bildhauer, der für den Konzeptkünstler Maurizio Cattelan einige Skulpturen geschaffen hat, klagt nun auf Beteiligung, aber auch prinzipiell um Anerkennung. Eine kleine Schockwelle geht durch die Kunstwelt, wenn nun alle AssistentInnen Anteile bei Kunstwerken geltend machen. Der Fall könnte Schule machen und zum Präzedenzfall werden.
Ich begrüße das. In Fremdarbeit ist diese Verhältnis von Künstler zu Ausführenden, outgesourcter Arbeit Thema, einschließlich der finanziellen Ungleichheit.
>Fremdarbeit< in der Kunst vor Gericht
Kreidler @GEMA-Diskussion Berlin
Heute abend um 20.30h findet im Rahmenprogramm der zweiten Gruppenausstellung „Handlungsbereitschaft – Skizzen einer Generation am Ende der Gesellschaft“ in der Galerie Kunstsaele in Schöneberg eine Diskussionsrunde, die sich mit den konkreten Formen und Folgen der GEMA-Tarifreform für Produzenten, Verwertern und Konsumenten auseinandersetzt und gleichzeitig den Versuch unternehmen soll einen Zusammenhang zwischen den Themen Generation – Urheberrecht – Handlungsbereitschaften herzustellen.
An der Diskussion nehmen der Pressesprecher der Berliner Piraten Ben Biel, der Pressesprecher der Berliner Clubcommission Lutz Leichensring und ich Teil.
Vorab wird die Dokumentation meiner GEMA-Aktion product placements gezeigt.
Freie Aufnahme der Goldbergvariationen veröffentlicht / Statement zur Kulturflatrate
Die Medien berichten, dass die Pianistin Kimiko Ishizaka die Goldbergvariationen von Johann Sebastian Bach eingespielt hat und diese nun unter Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht, was in dem Fall soviel heißt wie: Jeder darf damit anstellen was er will, das Ergebnis gehört der Menschheit. Finanziert wurde das Projekt durch Crowdfunding. Hier der SpOn-Artikel.
Das ist die wünschenswerteste Lösung: Nach Bezahlung der Arbeit gehört das Werk der Menschheit, so wie es auch mit meinem pd-tutorial erfolgt ist, oder wie beim Fotografie-Erfinder Louis Daguerre (Wikipedia: „Daguerres Resultate wurden dann durch Vermittlung des prominenten Physikers, Astronomen und Politikers François Arago (1786–1853) am 7. Januar 1839 in der französischen Akademie der Wissenschaften vorgestellt und am 19. August 1839 offiziell bekanntgegeben. Auf Aragos Empfehlung hin wurde Daguerres Verfahren von der Regierung aufgekauft, als spektakuläres Geschenk der Grande Nation an die ganze Welt.“).
Man kann davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren freie Aufnahmen des gesamten Klassikrepertoires veröffentlicht werden.
Nun ist Crowdfunding keine unproblematische Sache: Man muss erst mal viel in Werbung investieren, und unpopuläre Ideen haben da kaum eine Chance. Darum wiederhole ich, was ich seit Jahren zur Urheberrechtsdebatte sage:
Macht eine Kulturflatrate, aber keine, bei der dann jeder Download abgerechnet wird, denn dann müsste man ja doch das ganze Netz überwachen und außerdem geht dann marktliberal der große Haufen an Dieter Bohlen & Co (von denen wäre umgekehrt eine ‚Unkulturflatrate‘ fällig). Sondern: Macht eine KULTURflatrate, das heißt man muss sich immer wieder aufs Neue Gedanken darüber machen, was denn Kultur ausmacht. Verteilt das eingehende Flatrate-Geld auf Projektbewerbungen, die Fachjurys sichten, so wie bei Kunst- und Kulturfonds auch, oder so wie die GEZ-Einnahmen gemäß Bildungsauftrag verteilt werden (wenn da auch manches falsch läuft). Dann wäre die Welt eine bessere; trotzdem ist das leider utopisch, denn die Dieter Bohlens und ihre Fans machen in dieser Welt leider die Masse aus. Aber gerade in der Kunst geht es auch um Utopien, darum bleib ich dabei. Hugh.
John Cage über Filesharing, 1972
Glasklar sieht Cage 1972 das Internet und die Möglichkeit des Filesharings voraus, und begrüßt das.
Sehen Sie, meiner Meinung nach sind die Massenmedien nicht so, wie sie in einer positiven Zukunft sein könnten. Wenn wir unsere Technik so einsetzen würden, dass jeder Mensch jeden anderen Menschen über seine Aufführungen oder eine Veröffentlichung, nennen wir es Kommunikationsmittel, erreichen könnte, so hielte ich das für besser als die Art, wie Technik zur Zeit verwendet wird. Ich denke ganz speziell an eine telefonische Einrichtung… die technischen Möglichkeiten hierfür existieren in den Vereinigten Staaten, werden aber nur von der Industrie, der Regierung und der Armee genutzt. Wir können davon ausgehen, dass sie schließlich auch für Zivilisten zugänglich werden, so dass man nur eine Nummer zu wählen bräuchte, um sofort ein Buch oder ein Musikstück zur Verfügung zu haben und es jederzeit durch ein anderes zu ersetzen.
Aus: Richard Kostelanetz, John Cage im Gespräch zu Musik, Kunst und geistigen Fragen unserer Zeit, S.205.
Früher auf Kulturtechno:
Adorno über geistiges Eigentum in der Musik
Stockhausen über geistiges Eigentum, 1960
Goethe, der Filesharer
Adorno über geistiges Eigentum in der Musik
Aus „Musikalische Diebe, unmusikalische Richter“ (1934), Gesamtausgabe Band 17, S.292ff:
Die einzigen Dinge der Musik, die sich stehlen lassen, sind meßbare, zählbare Folgen von Tönen: Motive und Themen. Da mittlerweile auch die harmonische Dimension derart aufgelockert ist, daß ein Akkord so gut ein Einfall sein kann wie ein Thema; und da es keine harmonischen Konventionen mehr gibt, die lediglich eine schmale Zahl von Klängen dem Gebrauch freigeben, dürfte man heute auch gestohlenen Harmonien nachforschen; aber so weit sind die noch nicht, die derlei Sorgen haben. Sie halten sich an das, was sie Melodie nennen, an größere oder kürzere sukzessive Tonreihen, gewöhnlich solche, die auch rhythmisch einander gleichen. […]
Alle Rede vom musikalischen Diebstahl setzt einen Mechanismus der Verdinglichung voraus, der mit der wahren Objektivität der Kunstwerke nicht verwechselt werden darf, in welchem ihr Leben als Geschichte spielt. Erst wo dies Leben erstorben ist, oder nicht mehr wahrgenommen wird, wachen sie eifernd über die bloßen, beharrlichen Einfälle, als wären sie sakrosankt. […]
Kaum Zufall, daß der Zeitraum, auf welchen die Rede von gestohlener Musik überhaupt sich beziehen kann, mit dem der entfalteten kapitalistischen Gesellschaft genau zusammenfällt. […]
Jene Themen, wahrhaft »Einfälle«, die Sternen gleich eingefallen sind und sich behaupten, jenseits aller Formimmanenz, aber auch jenseits aller Dinglichkeit dessen, was vom Hörer gestohlen ist aus der Form, in der es lebt. Das sind die Themen, die schon beim ersten Erscheinen klingen wie Zitate; Schubert ist ihr oberster Hüter. Aber um sie braucht kein Hörer sich Sorgen zu machen. Sie sind gefeit; niemand kann sie sich aneignen, weil sie kein Eigentum sind, sondern Figuren der erscheinenden Wahrheit selber. Sie lassen sich so wenig stehlen wie die authentischen Sprichwörter. Versuchte es einer – sie schlügen nur zum Segen aus.
Die angesprochene Dialektik vom ersten Erscheinen, das wie ein Zitat klingt, hat auch schon Schumann benannt:
„Um zu komponieren, braucht man sich nur an eine Melodie zu erinnern, die noch niemandem eingefallen ist.“ Das Original ist die erste Kopie.
Früher auf Kulturtechno:
Stockhausen über geistiges Eigentum, 1960
Goethe, der Filesharer
Interview zur Urheberrechtsdebatte
In der aktuellen Printausgabe der NMZ steht ein Interview mit mir zur Urheberrechtsdebatte, die Fragen stellte Franzpeter Messmer. Jetzt auch online:
http://www.nmz.de/artikel/urheberrecht-im-internetzeitalter-aber-wie
Jesus, der Filesharer
Matthäus 14, 13-21:
Als Jesus all das hörte, fuhr er mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber die Leute in den Städten hörten davon und gingen ihm zu Fuß nach.
Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen und heilte die Kranken, die bei ihnen waren.
Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät geworden. Schick doch die Menschen weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können.
Jesus antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen!
Sie sagten zu ihm: Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische bei uns.
Darauf antwortete er: Bringt sie her!
Dann ordnete er an, die Leute sollten sich ins Gras setzen. Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten, und alle aßen und wurden satt. Als die Jünger die übrig gebliebenen Brotstücke einsammelten, wurden zwölf Körbe voll.
Es waren etwa fünftausend Männer, die an dem Mahl teilnahmen, dazu noch Frauen und Kinder.
Ja, statt sich das Essen zu kaufen kopiert’s der Meister einfach!
Mozart, der Abschreiber
Opern Source:
Muzio Clementi, Klaviersonate B-Dur Op. 24, 2, erster Satz (1788)
Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte, Ouvertüre, Fuge (1791)
Dazu der Medientheoretiker Felix Stalder:
Es steht ausser Frage, Mozart war ein Ausnahmetalent von historischer Dimension. Aber sogar in diesem einzigartigen Werk lässt sich eine kaum zu überblickende Vielzahl von Bezügen und direkten Übernahmen feststellen. Alleine in einem einzigen Werk, der Zauberflöte, wurden mehrere Dutzend Stellen identifiziert, die aus anderen Werken stammen, sei es aus Mozarts eigenen oder aus Werken dritter (etwa Haydn oder Gluck, beides Zeitgenossen) (vgl. King 1950). Es ist zu vermuten, dass diese Bezüge für das damalige Publikum wesentlich offensichtlicher waren als für ein modernes und dass sie einen wesentlichen Aspekt seiner breiten Popularität ausmachten. Elias (1993) stellt die These auf, dass Mozart bewusst versuchte, den Geschmack seiner Zeit zu treffen, weil er hoffte, durch Popularität seine prekäre soziale Situation (moderner Künstler in einer höfischen Gesellschaft) zu kompensieren.
Van Gogh über Kopieren und seinen Gebrauch von Reproduktionen
Kopieren interessiert mich ungemein. Ich finde, es lehrt einen manches, und vor allem es tröstet einen manchmal. Was ich darin suche und warum es mir gut scheint, diese Sachen zu kopieren, will ich dir sagen zu versuchen. Von uns Malern wird immer verlangt, wir sollten selber komponieren und nur Kompositeure sein. Gut – aber in der Musik ist es nicht so – wenn jemand Beethoven spielt, da gibt er seine persönliche Interpretation dazu – in der Musik und besonders im Gesang ist die Interpretation eines Komponisten eine Sache für sich, und es ist nicht unbedingt erforderlich, dass nur der Komponist seine eigenen Kompositionen spielt. Ich stelle mir das Schwarzweiß von Delacroix oder von Millet oder die Schwarzweiß-Wiedergabe nach ihren Sachen als Motiv vor mich hin. Und dann improvisiere ich darüber in Farbe, doch versteh mich recht – ich bin nicht ganz ich, sondern suche Erinnerung an ihre Bilder festzuhalten, aber diese Erinnerung, der ungefähre Zusammenhang der Farben, die ich gefühlsmäßig erfasse, auch wenn es nicht genau die richtigen sind – ist meine eigene Interpretation.
Vincent van Gogh an seinen Bruder am 19. September 1889.