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Streitgespräch Gisela Nauck / Johannes Kreidler erschienen

In der neuen Ausgabe der „Positionen“ ist ein >Streitgespräch< zwischen Herausgeberin Gisela Nauck und mir erscheinen, in dem es um meinen Text „Der aufgelöste Musikbegriff“ geht.

Snip:

Johannes Kreidler: Thesen
1. Ausgehend von Adornos Schlagwort der »Verfransung der Künste« habe ich in meinem Text festgestellt, dass mittlerweile in einem nicht da gewesenen Ausmaß der Begriff der Musik (wie auch die herkömmlichen Einteilungen anderer Kunstsparten, was schon Juliane Rebentisch oder Peter Osborne beschrieben haben) zur Disposition steht, da in der innovativen künstlerischen Praxis Elemente verschiedener Künste nicht nur verfransen, sondern vielmehr sich durchmischen.
2. Es hat natürlich auch seinen Reiz, weiterhin das Label Musik zu verwenden, obwohl ein darunter präsentiertes Werk diverse andere Medien inkorporiert. Aber ab einem gewissen Ausmaß wird dieses Etikett einfach unzulänglich, beschneidend, wenn nicht albern.
3. Man kann diesen Prozess als Auflösung beschreiben: Parameter verschiedener Medien lösen sich aus traditioneller Spartenzugehörigkeit und treten neu zusammen – ein musikalischer Rhythmus kann mit Licht artikuliert werden, ein Instrumentalist kann im Ausstellungsraum statt auf der Konzertbühne agieren, Noten können Teil eines Videos sein, usw. Der ›Musik‹-Begriff ist dann ein historischer.
4. Es wird aber nicht alles irgendwie ›Medienkunst‹. Anhand basaler Unterscheidungen wie räumlich/zeitlich, visuell/auditiv, materiell/immateriell, verkäuflich/unverkäuflich lassen sich wiederum künstlerische Praktiken differenzieren und verschiedenen Darbietungsformaten, also auch Institutionen, zuordnen. Gleichfalls wandeln sich diese aber, gerade auch was die Ausbildung betrifft.

Gisela Nauck: Angesichts der Entwicklung der musikalischen Moderne in den letzten fünfzig Jahren habe ich mich gefragt, warum Du heute von dem veralteten, Adornoschen Verfransungsbegriff von Musik aus den 1960er Jahren ausgehst und nicht vom Cageschen Musikbegriff, der ja längst nicht nur die Autonomie des Werkbegriffs an seine Grenzen geführt hat, sondern selbst schon in positivem Sinne den Auflösungsbegriff enthält? Deine These von der Auflösung bricht in sich zusammen, wenn dieser Cagesche Musikbegriff zugrunde gelegt wird, der die musikalische Entwicklung des letzten halben Jahrhunderts ja enorm beeinflusst hat.

Auch sonst bietet das Themenheft zur >Entgrenzung< viele interessante Beiträge-

Patrick Frank, Die gedemütigte ernste Musik • Gisela Nauck/Johannes Kreidler, Aufösung von Musik oder Transformation? Quo vadis hybridisierte neue Musik • Anton Wassiljew, Gegen Musik. Ein sehr persönlicher Bericht über Agonie, Ideologie und die Erschöpfung der negativen Logik der Kunst • Antoine Beuger/Nikolaus Gerszewski, Was Musik sein kann. Gespräch zweier Komponisten über 4‘33‘‘, die Konsequenzen und »Musicking« • Malte Giesen, Video killed the string quartet. Zum Einsatz von Video in neuer Musik • Sarah Nemtsov, Warum noch Orchester? • Thomas Gerwin, Demokratisierung der klingenden Kunst • Hans-Ulrich Werner, Angewandte Medienwissenschaft • Martina Seeber, New Disziplin • Gisela Nauck, Musik als Skulptur. Dmitri Kourliandskis Weg vom Kunstwerk zur Wahrnehnehmung • Maximilian Marcoll, Der Schritt ins Visuelle • Thomas Nückel, Ein Wolf im Schafspelz? Das Tripel: Künstler – Werk – Hörer unter algorithmischen Bedingungen • Cornelius Schwehr, Klaus Huber, eine Erinnerung • Katja Heldt, Die Kampagne feld notes. Ein Marketing-Konzept für die Berliner zeitgenössische Musik • Jim Quilty/Karim Haddad/Ziad Nawfal, Die Szene neuer Musik im Libanon •

Vor einem Monat ist in Musik & Ästhetik auch Daniel Feiges Antwort auf meinen Text erschienen (Kulturtechno früher). Schon Anfang des Jahres erschien in den MusikTexten das Gespräch zwischen Hannes Seidl und mir zum Thema “Auflösen / Erweitern”. Auch von Harry Lehmann steht ein Text in der Pipeline, der zu diesen Fragen Stellung bezieht.
Nächstes Jahr werde ich einige >Nachbemerkungen zum aufgelösten Musikbegriff< veröffentlichen, die wiederum den auf den Text Reagierenden antworten wird.